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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Uleltpolitik

Kundgebungen von amtlichen oder fast amtlichen Charakter sehr gern von der
britische" oder angelsächsischen Rasse sprechen, wo man früher von dem Volke
sprach. Das ist ein Zeichen, wie das Gefühl immer weiter greift, daß nur
die umfassendsten Begriffe die umfassendsten Vestrebuugeu ausdrücken können,
die die Geschichte gesehen hat. Wenn Lord Roseberrh (in einem Vortrag im
Royal Colonial Institute 1893) sagt: "Wir haben über das Geschwätz der
Rednerbühnen und die Leidenschaften der Parteien hinaus die Zukunft der
Nasse im Auge zu halten, deren Vertrauensmänner wir gegenwärtig sind,"
oder wenn sich Sir Charles Dilke zu der Hyperbel versteigt: "England wird
durch Amerika zur Welt sprechen," so hören wir mit Staunen ans solchem
Munde England als die Vertreterin des englisch sprechenden Teils der Mensch¬
heit hinstellen. Wenn die englische Sprache heute von etwa 120 Millionen, die
deutsche im besten Fall von 70 Millionen gesprochen wird, so scheint das ja gar
keinen so großen Vorsprung der "angelsächsischen Rasse" zu bedeuten. Aber welche
Gebiete beherrschen diese Millionen, wie zusammengedrängt und wieder wie klein¬
lich und planlos zersplittert wohnen unsre 70 Millionen! Die Statistik sagt uns
natürlich nichts von der Geltung des Englischen als Handelssprache in Nord-
europa, Nordamerika, Australien, Südafrika, Südasien, in allen großen Plätzen
des Mittelmeeres, des Indischen und Stillen Ozeans, eigentlich fast in allen
großen Seehandels- und Vcrkehrsplützen der Welt. Aber wissen wir nicht alle
welche Stelle das Englische in der ganzen gebildeten Welt als Kultur-, Littera¬
tur- und Wissenschaftssprache neben dem Französischen und Deutschen einnimmt?

In diesem Betonen der Gesamtheit der Völker des angelsächsischen Blutes
liegt etwas politisch viel prakterisches, als etwa in der "lateinischen Völker¬
familie," die uns Schriftsteller romanischen Stammes entgegenhalten. Wie tief
sich auch die Vereinigten Staaten von Amerika vom Mutterlande getrennt haben,
wie zahlreich die Anzeichen beginnender Sonderung in Kanada, Australien und
Südafrika sein mögen, man braucht nur der durch alle politischen Zerklüftungen
sich durchziehenden Gemeinsamkeit des Stammesgefühls und Rassenstolzes
zwischen Engländern und Nordamerikanern nachzugehen, um sich zu über¬
zeuge", daß hier alle Bedingungen sür die Bildung eines "Weltvvlkes" vor¬
handen sind. Es hat an Grund zu Entfremdungen zwischen beiden nie gefehlt,
und doch wie gern beantwortet der Jarl'ce die Frage ^.r<z ^nglo-LÄxous?
bejahend. Wieviel Beifall haben die großbritischen Liebenswürdigkeiten der
Freemcm, Fronde, Matthew Arnold in Amerika gefunden, wo man doch wohl
fühlte, daß gerade diese das Bedürfnis hatten, dem Glänze des immer kleiner wer¬
denden Altenglands mit amerikanischem Schimmer aufzuhelfen. In den tiefern
Schichten artet dieses Stammesgefühl in einen oft brutal ausgesprochnen
Nafsenstvlz ans. Da wird der Kampf des Angelsachsen mit seinen keltischen
und deutschen Wettbewerbern selbstgefällig als "der Kampf zwischen dem teuern
und dem billigen Manne" bezeichnet. Es ist wahr, daß der Engländer und der


Zur Kenntnis der englischen Uleltpolitik

Kundgebungen von amtlichen oder fast amtlichen Charakter sehr gern von der
britische» oder angelsächsischen Rasse sprechen, wo man früher von dem Volke
sprach. Das ist ein Zeichen, wie das Gefühl immer weiter greift, daß nur
die umfassendsten Begriffe die umfassendsten Vestrebuugeu ausdrücken können,
die die Geschichte gesehen hat. Wenn Lord Roseberrh (in einem Vortrag im
Royal Colonial Institute 1893) sagt: „Wir haben über das Geschwätz der
Rednerbühnen und die Leidenschaften der Parteien hinaus die Zukunft der
Nasse im Auge zu halten, deren Vertrauensmänner wir gegenwärtig sind,"
oder wenn sich Sir Charles Dilke zu der Hyperbel versteigt: „England wird
durch Amerika zur Welt sprechen," so hören wir mit Staunen ans solchem
Munde England als die Vertreterin des englisch sprechenden Teils der Mensch¬
heit hinstellen. Wenn die englische Sprache heute von etwa 120 Millionen, die
deutsche im besten Fall von 70 Millionen gesprochen wird, so scheint das ja gar
keinen so großen Vorsprung der „angelsächsischen Rasse" zu bedeuten. Aber welche
Gebiete beherrschen diese Millionen, wie zusammengedrängt und wieder wie klein¬
lich und planlos zersplittert wohnen unsre 70 Millionen! Die Statistik sagt uns
natürlich nichts von der Geltung des Englischen als Handelssprache in Nord-
europa, Nordamerika, Australien, Südafrika, Südasien, in allen großen Plätzen
des Mittelmeeres, des Indischen und Stillen Ozeans, eigentlich fast in allen
großen Seehandels- und Vcrkehrsplützen der Welt. Aber wissen wir nicht alle
welche Stelle das Englische in der ganzen gebildeten Welt als Kultur-, Littera¬
tur- und Wissenschaftssprache neben dem Französischen und Deutschen einnimmt?

In diesem Betonen der Gesamtheit der Völker des angelsächsischen Blutes
liegt etwas politisch viel prakterisches, als etwa in der „lateinischen Völker¬
familie," die uns Schriftsteller romanischen Stammes entgegenhalten. Wie tief
sich auch die Vereinigten Staaten von Amerika vom Mutterlande getrennt haben,
wie zahlreich die Anzeichen beginnender Sonderung in Kanada, Australien und
Südafrika sein mögen, man braucht nur der durch alle politischen Zerklüftungen
sich durchziehenden Gemeinsamkeit des Stammesgefühls und Rassenstolzes
zwischen Engländern und Nordamerikanern nachzugehen, um sich zu über¬
zeuge«, daß hier alle Bedingungen sür die Bildung eines „Weltvvlkes" vor¬
handen sind. Es hat an Grund zu Entfremdungen zwischen beiden nie gefehlt,
und doch wie gern beantwortet der Jarl'ce die Frage ^.r<z ^nglo-LÄxous?
bejahend. Wieviel Beifall haben die großbritischen Liebenswürdigkeiten der
Freemcm, Fronde, Matthew Arnold in Amerika gefunden, wo man doch wohl
fühlte, daß gerade diese das Bedürfnis hatten, dem Glänze des immer kleiner wer¬
denden Altenglands mit amerikanischem Schimmer aufzuhelfen. In den tiefern
Schichten artet dieses Stammesgefühl in einen oft brutal ausgesprochnen
Nafsenstvlz ans. Da wird der Kampf des Angelsachsen mit seinen keltischen
und deutschen Wettbewerbern selbstgefällig als „der Kampf zwischen dem teuern
und dem billigen Manne" bezeichnet. Es ist wahr, daß der Engländer und der


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[0409] Zur Kenntnis der englischen Uleltpolitik Kundgebungen von amtlichen oder fast amtlichen Charakter sehr gern von der britische» oder angelsächsischen Rasse sprechen, wo man früher von dem Volke sprach. Das ist ein Zeichen, wie das Gefühl immer weiter greift, daß nur die umfassendsten Begriffe die umfassendsten Vestrebuugeu ausdrücken können, die die Geschichte gesehen hat. Wenn Lord Roseberrh (in einem Vortrag im Royal Colonial Institute 1893) sagt: „Wir haben über das Geschwätz der Rednerbühnen und die Leidenschaften der Parteien hinaus die Zukunft der Nasse im Auge zu halten, deren Vertrauensmänner wir gegenwärtig sind," oder wenn sich Sir Charles Dilke zu der Hyperbel versteigt: „England wird durch Amerika zur Welt sprechen," so hören wir mit Staunen ans solchem Munde England als die Vertreterin des englisch sprechenden Teils der Mensch¬ heit hinstellen. Wenn die englische Sprache heute von etwa 120 Millionen, die deutsche im besten Fall von 70 Millionen gesprochen wird, so scheint das ja gar keinen so großen Vorsprung der „angelsächsischen Rasse" zu bedeuten. Aber welche Gebiete beherrschen diese Millionen, wie zusammengedrängt und wieder wie klein¬ lich und planlos zersplittert wohnen unsre 70 Millionen! Die Statistik sagt uns natürlich nichts von der Geltung des Englischen als Handelssprache in Nord- europa, Nordamerika, Australien, Südafrika, Südasien, in allen großen Plätzen des Mittelmeeres, des Indischen und Stillen Ozeans, eigentlich fast in allen großen Seehandels- und Vcrkehrsplützen der Welt. Aber wissen wir nicht alle welche Stelle das Englische in der ganzen gebildeten Welt als Kultur-, Littera¬ tur- und Wissenschaftssprache neben dem Französischen und Deutschen einnimmt? In diesem Betonen der Gesamtheit der Völker des angelsächsischen Blutes liegt etwas politisch viel prakterisches, als etwa in der „lateinischen Völker¬ familie," die uns Schriftsteller romanischen Stammes entgegenhalten. Wie tief sich auch die Vereinigten Staaten von Amerika vom Mutterlande getrennt haben, wie zahlreich die Anzeichen beginnender Sonderung in Kanada, Australien und Südafrika sein mögen, man braucht nur der durch alle politischen Zerklüftungen sich durchziehenden Gemeinsamkeit des Stammesgefühls und Rassenstolzes zwischen Engländern und Nordamerikanern nachzugehen, um sich zu über¬ zeuge«, daß hier alle Bedingungen sür die Bildung eines „Weltvvlkes" vor¬ handen sind. Es hat an Grund zu Entfremdungen zwischen beiden nie gefehlt, und doch wie gern beantwortet der Jarl'ce die Frage ^.r<z ^nglo-LÄxous? bejahend. Wieviel Beifall haben die großbritischen Liebenswürdigkeiten der Freemcm, Fronde, Matthew Arnold in Amerika gefunden, wo man doch wohl fühlte, daß gerade diese das Bedürfnis hatten, dem Glänze des immer kleiner wer¬ denden Altenglands mit amerikanischem Schimmer aufzuhelfen. In den tiefern Schichten artet dieses Stammesgefühl in einen oft brutal ausgesprochnen Nafsenstvlz ans. Da wird der Kampf des Angelsachsen mit seinen keltischen und deutschen Wettbewerbern selbstgefällig als „der Kampf zwischen dem teuern und dem billigen Manne" bezeichnet. Es ist wahr, daß der Engländer und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/409>, abgerufen am 23.07.2024.