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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

und Nordgermanen wie ein Völkeraristokrat in die Brust. In diesen vier
Ländern und in dem Vereinigten Königreich wohnen ungefähr doppelt so viel
Englischredende, als es Deutschredende auf der Erde giebt, und außer diesen
Ländern giebt es jetzt keinen Boden mehr, wo ähnliche Völker aus deutschem
Samen aufzuwachsen vermöchten.

Diese nationale Seite der Ausdehnung des englischen Reichs kann gar
nicht mit unsern deutschen, französischen u. s. w. nationalen Bewegtingen und
Bestrebungen verglichen werden. Bei uns handelt es sich immer mir um das
Festhalten eines an und für sich schon beschränkten Besitzstandes, der gegen
einzelne große und tausend kleine Bedrängungen mit gewaltigem und doch kläg¬
lich zersplitterten Aufwand von Mut, Geduld, Zähigkeit verteidigt werden
muß. Es ist ein Ringen reich an Qual und Haß und mit der abstumpfenden
Wirkung alles Kleinlichen. Und die Frucht? Die Erlaubnis, so wie bisher
weiter zu leben, weiter nichts.

Der nationale Zug, der durch die angelsächsische Welt geht, ist völlig
anders. Die bindet nicht die Furcht um einen Fußbreit Landes zusammen, son¬
dern das Streben, sich in König- und Kaiserreichen aufs bequemste auszubreiten
und mit der Kraft des vorwärts- und emporstrebenden Egoismus, der es sich
immer besser schaffen will und jede Einmischung in dieses möglichst schrankenlose
Ausleben einmütig zurückweist. Wie klein die Absonderungstendenzen in Austra¬
lien, Neufundland u. f. w. neben der Kraft eines solchen gemeinsamen Strebens
und einem solchen Ziel gegenüber! Nehmen wir einmal die antipodisch ge¬
legnen Glieder des Reichs: England und Neuseeland, die Mutter und das
jüngste Kind. Neuseeland hat in dem glücklichsten Klima aus etwas größerer
Fläche als England, Wales und Schottland erst ein Siebennndsiebzigstel von
der Bevölkerung dieser drei Länder, bietet also einen praktisch noch unbeschränkten
Raum der Kolonisation dar. Diese alten, übervölkerten Länder sind froh, ihren
Menschenüberfluß dorthin zu ergießen, und in Neuseeland ist man froh, ihn
aufzunehmen, weil der Angelsachse den Angelsachsen für den besten Kolonisten
der Welt hält und mit Recht nur bei ihm das volle Verständnis für die
Politische Entwicklung einer sich selbst regierenden, ganz in englischen Formen
ein reges politisches Leben führenden Kolonie erwartet. Aber nicht der Ko¬
lonist allein wandert ein, mit ihm zugleich auch das englische Kapital. Eine
werdende Kolonie hat gerade wie ein heranwachsender Mensch nie genug Geld,
ihre Bedürfnisse wachsen weit über ihre augenblicklichen Mittel hinaus. Daher
Finanz- und Handelskrisen, wie sie Australien in den letzten Jahren erdbeben¬
gleich heimgesucht habe", und wie wir sie jetzt in Neufundland erleben. Da zeigt
sich nun die gewaltiget tatsächliche Abhängigkeit des Tvchterstciats vom Mutter¬
land: die freiheitsstolzeu Kolonisten, die so gern mit ihrer Unabhängigkeit
Prahlen, ja sogar drohen, flehen England um Unterstützung an, ja noch mehr,
sie sind bereit, auf Freiheiten zu verzichten, um Ordnung in ihr Geldwesen zu


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

und Nordgermanen wie ein Völkeraristokrat in die Brust. In diesen vier
Ländern und in dem Vereinigten Königreich wohnen ungefähr doppelt so viel
Englischredende, als es Deutschredende auf der Erde giebt, und außer diesen
Ländern giebt es jetzt keinen Boden mehr, wo ähnliche Völker aus deutschem
Samen aufzuwachsen vermöchten.

Diese nationale Seite der Ausdehnung des englischen Reichs kann gar
nicht mit unsern deutschen, französischen u. s. w. nationalen Bewegtingen und
Bestrebungen verglichen werden. Bei uns handelt es sich immer mir um das
Festhalten eines an und für sich schon beschränkten Besitzstandes, der gegen
einzelne große und tausend kleine Bedrängungen mit gewaltigem und doch kläg¬
lich zersplitterten Aufwand von Mut, Geduld, Zähigkeit verteidigt werden
muß. Es ist ein Ringen reich an Qual und Haß und mit der abstumpfenden
Wirkung alles Kleinlichen. Und die Frucht? Die Erlaubnis, so wie bisher
weiter zu leben, weiter nichts.

Der nationale Zug, der durch die angelsächsische Welt geht, ist völlig
anders. Die bindet nicht die Furcht um einen Fußbreit Landes zusammen, son¬
dern das Streben, sich in König- und Kaiserreichen aufs bequemste auszubreiten
und mit der Kraft des vorwärts- und emporstrebenden Egoismus, der es sich
immer besser schaffen will und jede Einmischung in dieses möglichst schrankenlose
Ausleben einmütig zurückweist. Wie klein die Absonderungstendenzen in Austra¬
lien, Neufundland u. f. w. neben der Kraft eines solchen gemeinsamen Strebens
und einem solchen Ziel gegenüber! Nehmen wir einmal die antipodisch ge¬
legnen Glieder des Reichs: England und Neuseeland, die Mutter und das
jüngste Kind. Neuseeland hat in dem glücklichsten Klima aus etwas größerer
Fläche als England, Wales und Schottland erst ein Siebennndsiebzigstel von
der Bevölkerung dieser drei Länder, bietet also einen praktisch noch unbeschränkten
Raum der Kolonisation dar. Diese alten, übervölkerten Länder sind froh, ihren
Menschenüberfluß dorthin zu ergießen, und in Neuseeland ist man froh, ihn
aufzunehmen, weil der Angelsachse den Angelsachsen für den besten Kolonisten
der Welt hält und mit Recht nur bei ihm das volle Verständnis für die
Politische Entwicklung einer sich selbst regierenden, ganz in englischen Formen
ein reges politisches Leben führenden Kolonie erwartet. Aber nicht der Ko¬
lonist allein wandert ein, mit ihm zugleich auch das englische Kapital. Eine
werdende Kolonie hat gerade wie ein heranwachsender Mensch nie genug Geld,
ihre Bedürfnisse wachsen weit über ihre augenblicklichen Mittel hinaus. Daher
Finanz- und Handelskrisen, wie sie Australien in den letzten Jahren erdbeben¬
gleich heimgesucht habe», und wie wir sie jetzt in Neufundland erleben. Da zeigt
sich nun die gewaltiget tatsächliche Abhängigkeit des Tvchterstciats vom Mutter¬
land: die freiheitsstolzeu Kolonisten, die so gern mit ihrer Unabhängigkeit
Prahlen, ja sogar drohen, flehen England um Unterstützung an, ja noch mehr,
sie sind bereit, auf Freiheiten zu verzichten, um Ordnung in ihr Geldwesen zu


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[0405] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik und Nordgermanen wie ein Völkeraristokrat in die Brust. In diesen vier Ländern und in dem Vereinigten Königreich wohnen ungefähr doppelt so viel Englischredende, als es Deutschredende auf der Erde giebt, und außer diesen Ländern giebt es jetzt keinen Boden mehr, wo ähnliche Völker aus deutschem Samen aufzuwachsen vermöchten. Diese nationale Seite der Ausdehnung des englischen Reichs kann gar nicht mit unsern deutschen, französischen u. s. w. nationalen Bewegtingen und Bestrebungen verglichen werden. Bei uns handelt es sich immer mir um das Festhalten eines an und für sich schon beschränkten Besitzstandes, der gegen einzelne große und tausend kleine Bedrängungen mit gewaltigem und doch kläg¬ lich zersplitterten Aufwand von Mut, Geduld, Zähigkeit verteidigt werden muß. Es ist ein Ringen reich an Qual und Haß und mit der abstumpfenden Wirkung alles Kleinlichen. Und die Frucht? Die Erlaubnis, so wie bisher weiter zu leben, weiter nichts. Der nationale Zug, der durch die angelsächsische Welt geht, ist völlig anders. Die bindet nicht die Furcht um einen Fußbreit Landes zusammen, son¬ dern das Streben, sich in König- und Kaiserreichen aufs bequemste auszubreiten und mit der Kraft des vorwärts- und emporstrebenden Egoismus, der es sich immer besser schaffen will und jede Einmischung in dieses möglichst schrankenlose Ausleben einmütig zurückweist. Wie klein die Absonderungstendenzen in Austra¬ lien, Neufundland u. f. w. neben der Kraft eines solchen gemeinsamen Strebens und einem solchen Ziel gegenüber! Nehmen wir einmal die antipodisch ge¬ legnen Glieder des Reichs: England und Neuseeland, die Mutter und das jüngste Kind. Neuseeland hat in dem glücklichsten Klima aus etwas größerer Fläche als England, Wales und Schottland erst ein Siebennndsiebzigstel von der Bevölkerung dieser drei Länder, bietet also einen praktisch noch unbeschränkten Raum der Kolonisation dar. Diese alten, übervölkerten Länder sind froh, ihren Menschenüberfluß dorthin zu ergießen, und in Neuseeland ist man froh, ihn aufzunehmen, weil der Angelsachse den Angelsachsen für den besten Kolonisten der Welt hält und mit Recht nur bei ihm das volle Verständnis für die Politische Entwicklung einer sich selbst regierenden, ganz in englischen Formen ein reges politisches Leben führenden Kolonie erwartet. Aber nicht der Ko¬ lonist allein wandert ein, mit ihm zugleich auch das englische Kapital. Eine werdende Kolonie hat gerade wie ein heranwachsender Mensch nie genug Geld, ihre Bedürfnisse wachsen weit über ihre augenblicklichen Mittel hinaus. Daher Finanz- und Handelskrisen, wie sie Australien in den letzten Jahren erdbeben¬ gleich heimgesucht habe», und wie wir sie jetzt in Neufundland erleben. Da zeigt sich nun die gewaltiget tatsächliche Abhängigkeit des Tvchterstciats vom Mutter¬ land: die freiheitsstolzeu Kolonisten, die so gern mit ihrer Unabhängigkeit Prahlen, ja sogar drohen, flehen England um Unterstützung an, ja noch mehr, sie sind bereit, auf Freiheiten zu verzichten, um Ordnung in ihr Geldwesen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/405>, abgerufen am 23.07.2024.