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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Renntnis der englischen Weltpolitik

philosophischen Betrachtungen ziehen --, ein andres Weltreich gründen, wo es
vermutlich viel besser zugehen wird.

Aber während wir uns vom britischen Weltreich dieses Bild machen, ist
schon ein ganz andres entstanden und ziemlich weit herangewachsen. Ans den
Ausbeutungskolonien sind selbständige Länder englischer Nation geworden, in
denen sich ein neues englisches Volk entfaltet, das in dem so viel weitern
Raum so günstige Lebensbedingungen findet, daß es wieder jung und thaten-
frvh wird, wie das kühne weltumfassende England der Elisabeth und Crom-
wells. Zwar sind solche Fälle von Verjüngung schon dagewesen und ordnungs¬
mäßig verzeichnet worden. Der deutsche Geschichtsfreund braucht nur Buch 5
Kapitel 7 der Römischen Geschichte von Mommsen aufzuschlagen, so findet
er den schönen, wahren Satz: "Es war ein genialer Gedanke, eine großartige
Hoffnung, die Cäsar über die Alpen führte: der Gedanke und die Zuversicht,
dort seinen Mitbürgern eine neue, grenzenlose Heimat zu gewinnen und den
Staat zum zweitenmal dadurch zu regeneriren, daß er ihn auf eine breitere
Basis stellte." Was Mommsen so gut in der 2000 Jahre alten Geschichte
Roms erkannt hat, das geht heute in zehnfach vergrößertem Maße und mit
verzehnfachter Gefahr vor sich: aus dem britischen Weltreich entwickelt sich
ein britisches Weltvolk, das unser nationales Dasein bedroht, wie das Welt¬
reich uns wirtschaftlich und politisch überschatten will.

Die Thatsachen sind in kürzestem Auszug folgende. Die nördliche
Hälfte von Nordamerika hat sich zu der Dominion von Kanada zusammen¬
geschlossen, die siebzehnmal so groß als Deutschland ist und 5 Millionen
Menschen zählt; der ganze Weltteil Australien ist im Begriff, den Bund des
<nom.rQornvc!Ateti ot' ^U8ers.1i^ zu stiften, sechzehnmal so groß als Deutschland
und ebenfalls mit etwa 5 Millionen Menschen, und in Südafrika bereitet
sich eine dnrch Zölle und gemeinsame Expansionsbestrebungeu verbundene,
vier Deutschlande umfassende Staatenbildung vor, die mehr als 4 Millionen
Menschen umfaßt. Jeder von diesen Staaten ist ein neues, größeres England,
das in erster Linie für die englische Einwandrung bestimmt ist und ihr die
besten Aussichten bietet, die es auf unsrer Erde noch giebt. Zu diesen jungen,
politisch und in ihrer Kultur noch unfertigen Völkern kommt ein älteres von
etwa 63 Millionen Menschen, in der überwältigenden Mehrheit angelsächsisch
von Stamm oder Anpassung, die südliche Hälfte von Nordamerika bewohnend,
wo sein Staat, die Vereinigten Staaten von Amerika, das siebzehnfache des
Areals unsers Reiches einnimmt. Es hat sich politisch auf eigne Füße ge¬
stellt, bekennt sich aber mit Stolz, trotz vieler fremde" Beimengungen, zur
angelsächsischen Nasse und hilft die Geltung der englischen Sprache, der eng¬
lischen Sitten und Anschauungen mit Macht über die Welt hin verbreiten
und sieht ganz Europa nur wie den Hintergrund von Altengland an. Trotz
der demokratischen Gleichheit wirft sich der ^ng'loWxoll gegen den Teutonen


Zur Renntnis der englischen Weltpolitik

philosophischen Betrachtungen ziehen —, ein andres Weltreich gründen, wo es
vermutlich viel besser zugehen wird.

Aber während wir uns vom britischen Weltreich dieses Bild machen, ist
schon ein ganz andres entstanden und ziemlich weit herangewachsen. Ans den
Ausbeutungskolonien sind selbständige Länder englischer Nation geworden, in
denen sich ein neues englisches Volk entfaltet, das in dem so viel weitern
Raum so günstige Lebensbedingungen findet, daß es wieder jung und thaten-
frvh wird, wie das kühne weltumfassende England der Elisabeth und Crom-
wells. Zwar sind solche Fälle von Verjüngung schon dagewesen und ordnungs¬
mäßig verzeichnet worden. Der deutsche Geschichtsfreund braucht nur Buch 5
Kapitel 7 der Römischen Geschichte von Mommsen aufzuschlagen, so findet
er den schönen, wahren Satz: „Es war ein genialer Gedanke, eine großartige
Hoffnung, die Cäsar über die Alpen führte: der Gedanke und die Zuversicht,
dort seinen Mitbürgern eine neue, grenzenlose Heimat zu gewinnen und den
Staat zum zweitenmal dadurch zu regeneriren, daß er ihn auf eine breitere
Basis stellte." Was Mommsen so gut in der 2000 Jahre alten Geschichte
Roms erkannt hat, das geht heute in zehnfach vergrößertem Maße und mit
verzehnfachter Gefahr vor sich: aus dem britischen Weltreich entwickelt sich
ein britisches Weltvolk, das unser nationales Dasein bedroht, wie das Welt¬
reich uns wirtschaftlich und politisch überschatten will.

Die Thatsachen sind in kürzestem Auszug folgende. Die nördliche
Hälfte von Nordamerika hat sich zu der Dominion von Kanada zusammen¬
geschlossen, die siebzehnmal so groß als Deutschland ist und 5 Millionen
Menschen zählt; der ganze Weltteil Australien ist im Begriff, den Bund des
<nom.rQornvc!Ateti ot' ^U8ers.1i^ zu stiften, sechzehnmal so groß als Deutschland
und ebenfalls mit etwa 5 Millionen Menschen, und in Südafrika bereitet
sich eine dnrch Zölle und gemeinsame Expansionsbestrebungeu verbundene,
vier Deutschlande umfassende Staatenbildung vor, die mehr als 4 Millionen
Menschen umfaßt. Jeder von diesen Staaten ist ein neues, größeres England,
das in erster Linie für die englische Einwandrung bestimmt ist und ihr die
besten Aussichten bietet, die es auf unsrer Erde noch giebt. Zu diesen jungen,
politisch und in ihrer Kultur noch unfertigen Völkern kommt ein älteres von
etwa 63 Millionen Menschen, in der überwältigenden Mehrheit angelsächsisch
von Stamm oder Anpassung, die südliche Hälfte von Nordamerika bewohnend,
wo sein Staat, die Vereinigten Staaten von Amerika, das siebzehnfache des
Areals unsers Reiches einnimmt. Es hat sich politisch auf eigne Füße ge¬
stellt, bekennt sich aber mit Stolz, trotz vieler fremde» Beimengungen, zur
angelsächsischen Nasse und hilft die Geltung der englischen Sprache, der eng¬
lischen Sitten und Anschauungen mit Macht über die Welt hin verbreiten
und sieht ganz Europa nur wie den Hintergrund von Altengland an. Trotz
der demokratischen Gleichheit wirft sich der ^ng'loWxoll gegen den Teutonen


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[0404] Zur Renntnis der englischen Weltpolitik philosophischen Betrachtungen ziehen —, ein andres Weltreich gründen, wo es vermutlich viel besser zugehen wird. Aber während wir uns vom britischen Weltreich dieses Bild machen, ist schon ein ganz andres entstanden und ziemlich weit herangewachsen. Ans den Ausbeutungskolonien sind selbständige Länder englischer Nation geworden, in denen sich ein neues englisches Volk entfaltet, das in dem so viel weitern Raum so günstige Lebensbedingungen findet, daß es wieder jung und thaten- frvh wird, wie das kühne weltumfassende England der Elisabeth und Crom- wells. Zwar sind solche Fälle von Verjüngung schon dagewesen und ordnungs¬ mäßig verzeichnet worden. Der deutsche Geschichtsfreund braucht nur Buch 5 Kapitel 7 der Römischen Geschichte von Mommsen aufzuschlagen, so findet er den schönen, wahren Satz: „Es war ein genialer Gedanke, eine großartige Hoffnung, die Cäsar über die Alpen führte: der Gedanke und die Zuversicht, dort seinen Mitbürgern eine neue, grenzenlose Heimat zu gewinnen und den Staat zum zweitenmal dadurch zu regeneriren, daß er ihn auf eine breitere Basis stellte." Was Mommsen so gut in der 2000 Jahre alten Geschichte Roms erkannt hat, das geht heute in zehnfach vergrößertem Maße und mit verzehnfachter Gefahr vor sich: aus dem britischen Weltreich entwickelt sich ein britisches Weltvolk, das unser nationales Dasein bedroht, wie das Welt¬ reich uns wirtschaftlich und politisch überschatten will. Die Thatsachen sind in kürzestem Auszug folgende. Die nördliche Hälfte von Nordamerika hat sich zu der Dominion von Kanada zusammen¬ geschlossen, die siebzehnmal so groß als Deutschland ist und 5 Millionen Menschen zählt; der ganze Weltteil Australien ist im Begriff, den Bund des <nom.rQornvc!Ateti ot' ^U8ers.1i^ zu stiften, sechzehnmal so groß als Deutschland und ebenfalls mit etwa 5 Millionen Menschen, und in Südafrika bereitet sich eine dnrch Zölle und gemeinsame Expansionsbestrebungeu verbundene, vier Deutschlande umfassende Staatenbildung vor, die mehr als 4 Millionen Menschen umfaßt. Jeder von diesen Staaten ist ein neues, größeres England, das in erster Linie für die englische Einwandrung bestimmt ist und ihr die besten Aussichten bietet, die es auf unsrer Erde noch giebt. Zu diesen jungen, politisch und in ihrer Kultur noch unfertigen Völkern kommt ein älteres von etwa 63 Millionen Menschen, in der überwältigenden Mehrheit angelsächsisch von Stamm oder Anpassung, die südliche Hälfte von Nordamerika bewohnend, wo sein Staat, die Vereinigten Staaten von Amerika, das siebzehnfache des Areals unsers Reiches einnimmt. Es hat sich politisch auf eigne Füße ge¬ stellt, bekennt sich aber mit Stolz, trotz vieler fremde» Beimengungen, zur angelsächsischen Nasse und hilft die Geltung der englischen Sprache, der eng¬ lischen Sitten und Anschauungen mit Macht über die Welt hin verbreiten und sieht ganz Europa nur wie den Hintergrund von Altengland an. Trotz der demokratischen Gleichheit wirft sich der ^ng'loWxoll gegen den Teutonen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/404>, abgerufen am 22.07.2024.