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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Victor Ain6 Huber

noch größere Donquixoterie, wenn ein Teil unsrer Deutschnationalen die
Juden für die alleinige Ursache unsers Verderbens ansieht und das heroische
Mittel einer Judenaustreibung nicht allein sür angebracht, sondern auch für
ausführbar hält. Was den ersten Punkt anlangt -- würde denn durch
die Ausrottung des Judentums der Mammonismus ausgerottet? Wundert
dieses Gewächs nicht ohne Zuthun der Juden in Nordamerika, Schottland,
England, und hat nicht von da aus der Mammonsgeist in ganz Europa weit
kräftigere Antriebe empfangen als von den Juden? Beruht nicht der ganze
moderne mammonistische Gesellschaftsbau auf wirtschaftlichen Grundsätzen, die
nicht von den polnischen Juden, sondern von den Engländern und Schotten
aufgestellt worden sind? Der Mammonismus ist -- leider -- längst kein
fremder Tropfen mehr im deutschen Blute. Für das spanische war er es
damals und ist er es heute noch. Trotz aller von geldgierigen Konquistadoren
verübten Greuel sind die Spanier im großen und ganzen kein erwerbssüchtiges
Volk, sondern sehr genügsam; es soll noch heute dort Kaufleute geben, die
nicht jedes Geschäft machen, wozu sich ihnen die Gelegenheit darbietet, weil
sie, wie sie sagen, das dabei zu verdienende Geld nicht brauchen. Deshalb
sind sie ja eben kein Jndustrievolk geworden. Man mag es sündhafte Faulheit
oder dummen Stolz oder albernes Vorurteil nennen, daß sie so sind, aber sie
sind so, und wir Deutschen, d. h. alle bei uns ausschlaggebenden Persönlich¬
keiten, sind schon seit langem anders, und darauf kommt es hier an.

Und was das andre, die Ausführbarkeit, betrifft, fo müßten doch Re¬
gierung und Volk einig fein, wenn eine so ungewöhnliche Maßregel beschlossen
werden sollte. Zu untersuchen, wie weit die Juden mit unsern Mächtigen
verbunden und ihnen unentbehrlich sind, überlassen wir andern. Ein deutsches
Volk aber in dem Sinne, wie das spanische eins ist, ein Volk, das einmütige
Entschlüsse fassen oder Entschließungen der Negierung einmütig billigen könnte,
giebt es leider nicht mehr oder noch nicht. Die Spanier sind noch heute
unzweifelhaft, oder wie der heutige Gebildete sagt, fanatisch katholisch -- Herr
Fliedner weiß davon zu erzählen --, Deutschland ist zur Hälfte teils katho¬
lisch, teils atheistisch, und in der protestantischen Hälfte versteht keiner den
andern. Der Spanier war damals und ist zum Teil noch heute, in seiner
Heimat wenigstens, von den Menschen andrer Nationalität leicht zu unter¬
scheiden, desgleichen alles Spanische in Denkungsart, Sitte und Kunst. Woran
erkennt man aber den heutigen Deutschen, außer etwa an dem ungezognen
Rauchen und dem übermäßigen Biertrinken? Was nutzt es uns, daß unsre
Deutschnationalen fortwährend versichern, sie wären deutschnational, wenn sie
weder Sitten, noch Thaten, noch Werke aufzuweisen haben, denen ein un¬
zweifelhaft deutscher Charakter aufgeprägt ist? Den Bildern der großen spa¬
nischen Maler sieht man meistens auf den ersten Blick an, daß sie spanisch
sind; ist das bei unsern auch der Fall? Die alten spanischen Dramen find


Victor Ain6 Huber

noch größere Donquixoterie, wenn ein Teil unsrer Deutschnationalen die
Juden für die alleinige Ursache unsers Verderbens ansieht und das heroische
Mittel einer Judenaustreibung nicht allein sür angebracht, sondern auch für
ausführbar hält. Was den ersten Punkt anlangt — würde denn durch
die Ausrottung des Judentums der Mammonismus ausgerottet? Wundert
dieses Gewächs nicht ohne Zuthun der Juden in Nordamerika, Schottland,
England, und hat nicht von da aus der Mammonsgeist in ganz Europa weit
kräftigere Antriebe empfangen als von den Juden? Beruht nicht der ganze
moderne mammonistische Gesellschaftsbau auf wirtschaftlichen Grundsätzen, die
nicht von den polnischen Juden, sondern von den Engländern und Schotten
aufgestellt worden sind? Der Mammonismus ist — leider — längst kein
fremder Tropfen mehr im deutschen Blute. Für das spanische war er es
damals und ist er es heute noch. Trotz aller von geldgierigen Konquistadoren
verübten Greuel sind die Spanier im großen und ganzen kein erwerbssüchtiges
Volk, sondern sehr genügsam; es soll noch heute dort Kaufleute geben, die
nicht jedes Geschäft machen, wozu sich ihnen die Gelegenheit darbietet, weil
sie, wie sie sagen, das dabei zu verdienende Geld nicht brauchen. Deshalb
sind sie ja eben kein Jndustrievolk geworden. Man mag es sündhafte Faulheit
oder dummen Stolz oder albernes Vorurteil nennen, daß sie so sind, aber sie
sind so, und wir Deutschen, d. h. alle bei uns ausschlaggebenden Persönlich¬
keiten, sind schon seit langem anders, und darauf kommt es hier an.

Und was das andre, die Ausführbarkeit, betrifft, fo müßten doch Re¬
gierung und Volk einig fein, wenn eine so ungewöhnliche Maßregel beschlossen
werden sollte. Zu untersuchen, wie weit die Juden mit unsern Mächtigen
verbunden und ihnen unentbehrlich sind, überlassen wir andern. Ein deutsches
Volk aber in dem Sinne, wie das spanische eins ist, ein Volk, das einmütige
Entschlüsse fassen oder Entschließungen der Negierung einmütig billigen könnte,
giebt es leider nicht mehr oder noch nicht. Die Spanier sind noch heute
unzweifelhaft, oder wie der heutige Gebildete sagt, fanatisch katholisch — Herr
Fliedner weiß davon zu erzählen —, Deutschland ist zur Hälfte teils katho¬
lisch, teils atheistisch, und in der protestantischen Hälfte versteht keiner den
andern. Der Spanier war damals und ist zum Teil noch heute, in seiner
Heimat wenigstens, von den Menschen andrer Nationalität leicht zu unter¬
scheiden, desgleichen alles Spanische in Denkungsart, Sitte und Kunst. Woran
erkennt man aber den heutigen Deutschen, außer etwa an dem ungezognen
Rauchen und dem übermäßigen Biertrinken? Was nutzt es uns, daß unsre
Deutschnationalen fortwährend versichern, sie wären deutschnational, wenn sie
weder Sitten, noch Thaten, noch Werke aufzuweisen haben, denen ein un¬
zweifelhaft deutscher Charakter aufgeprägt ist? Den Bildern der großen spa¬
nischen Maler sieht man meistens auf den ersten Blick an, daß sie spanisch
sind; ist das bei unsern auch der Fall? Die alten spanischen Dramen find


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[0378] Victor Ain6 Huber noch größere Donquixoterie, wenn ein Teil unsrer Deutschnationalen die Juden für die alleinige Ursache unsers Verderbens ansieht und das heroische Mittel einer Judenaustreibung nicht allein sür angebracht, sondern auch für ausführbar hält. Was den ersten Punkt anlangt — würde denn durch die Ausrottung des Judentums der Mammonismus ausgerottet? Wundert dieses Gewächs nicht ohne Zuthun der Juden in Nordamerika, Schottland, England, und hat nicht von da aus der Mammonsgeist in ganz Europa weit kräftigere Antriebe empfangen als von den Juden? Beruht nicht der ganze moderne mammonistische Gesellschaftsbau auf wirtschaftlichen Grundsätzen, die nicht von den polnischen Juden, sondern von den Engländern und Schotten aufgestellt worden sind? Der Mammonismus ist — leider — längst kein fremder Tropfen mehr im deutschen Blute. Für das spanische war er es damals und ist er es heute noch. Trotz aller von geldgierigen Konquistadoren verübten Greuel sind die Spanier im großen und ganzen kein erwerbssüchtiges Volk, sondern sehr genügsam; es soll noch heute dort Kaufleute geben, die nicht jedes Geschäft machen, wozu sich ihnen die Gelegenheit darbietet, weil sie, wie sie sagen, das dabei zu verdienende Geld nicht brauchen. Deshalb sind sie ja eben kein Jndustrievolk geworden. Man mag es sündhafte Faulheit oder dummen Stolz oder albernes Vorurteil nennen, daß sie so sind, aber sie sind so, und wir Deutschen, d. h. alle bei uns ausschlaggebenden Persönlich¬ keiten, sind schon seit langem anders, und darauf kommt es hier an. Und was das andre, die Ausführbarkeit, betrifft, fo müßten doch Re¬ gierung und Volk einig fein, wenn eine so ungewöhnliche Maßregel beschlossen werden sollte. Zu untersuchen, wie weit die Juden mit unsern Mächtigen verbunden und ihnen unentbehrlich sind, überlassen wir andern. Ein deutsches Volk aber in dem Sinne, wie das spanische eins ist, ein Volk, das einmütige Entschlüsse fassen oder Entschließungen der Negierung einmütig billigen könnte, giebt es leider nicht mehr oder noch nicht. Die Spanier sind noch heute unzweifelhaft, oder wie der heutige Gebildete sagt, fanatisch katholisch — Herr Fliedner weiß davon zu erzählen —, Deutschland ist zur Hälfte teils katho¬ lisch, teils atheistisch, und in der protestantischen Hälfte versteht keiner den andern. Der Spanier war damals und ist zum Teil noch heute, in seiner Heimat wenigstens, von den Menschen andrer Nationalität leicht zu unter¬ scheiden, desgleichen alles Spanische in Denkungsart, Sitte und Kunst. Woran erkennt man aber den heutigen Deutschen, außer etwa an dem ungezognen Rauchen und dem übermäßigen Biertrinken? Was nutzt es uns, daß unsre Deutschnationalen fortwährend versichern, sie wären deutschnational, wenn sie weder Sitten, noch Thaten, noch Werke aufzuweisen haben, denen ein un¬ zweifelhaft deutscher Charakter aufgeprägt ist? Den Bildern der großen spa¬ nischen Maler sieht man meistens auf den ersten Blick an, daß sie spanisch sind; ist das bei unsern auch der Fall? Die alten spanischen Dramen find

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/378>, abgerufen am 23.07.2024.