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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Victor Aias Huber

dürftigen wiederzugeben, was ich ihnen entziehe, um dich so gut erziehen zu
lassen, und mir in meinem nahenden Alter die Sorgen zu ersparen, die ich
jetzt auf mich nehme." Und im Jahre 1816 schreibt sie: "Mir thut das Herz
weh, wenn ich wahrnehme, auf welche elenden Faschingspossen sich das Deutsch¬
tum unsrer Jünglinge beschränkt. Schimpfen, renommiren, altdeutsche Röcke,
schlechte Verse, Verachten aller bestehenden Form und geschmackloses Nachjagen
nach neuen Abzeichen. Doch Zucht, Nüchternheit, Fleiß, Andacht bleibt ihnen
fremd. Du liebst dein Vaterland, und diese Liebe kann ich dir nicht genug
empfehlen. Aber sie sei des hohen Begriffs würdig, der mit diesem Worte
verbunden ist. Strebe du, der edlere Mensch zu sein, dann bist du der bessere
Deutsche. Aber bekämpfe die Sucht der Schwächlinge, die in Geschrei und
Mummerei ihr Deutschtum beweisen." Einen längern Brief aus dem Jahre
1814 über die beste Art und Weise, den 18. Oktober würdig zu feiern, mag
man in dem Buche selbst mit Andacht lesen.

Der Geschmack der Mutter wurde ganz sein eigner; als er einmal einen
Kommers mitgemacht hatte, sagte er: Einmal und nie wieder! Diese Ab¬
neigung gegen das Treiben der deutschen Studenten entsprang nicht etwa aus
Philistrositüt; denn niemand ist weniger Philister gewesen als Huber; er fühlte
sich als junger Mann unter den Pariser Litteraten, unter den spanischen Li¬
beralen in seinem Element, führte in Spanien ein wahres Zigeunerleben und
rechnete, ganz Kraft und Frische, trotz tiefem Ernste doch fröhlich zu sein und
andre froh zu machen unter seine Lebensaufgaben. Aber was nicht echt und
nicht ivahrhaftig war und keinen gediegnen Inhalt hatte, konnte er nicht leiden.
Der angedeuteten Richtung zufolge fühlte er sich der ganzen Menschheit ver¬
pflichtet, der er in seinem Volke, und zwar vorzugsweise in den Armen seines
Volkes, zeitlebens gedient hat. Mit langer und enger Bindung an eine Ve-
rufsstellung vertrug sich seine Art von Thätigkeit nicht; als vereinsamter Privat¬
mann ist er 1869 in Wernigerode gestorben.

Eine so feste und geschlossene Persönlichkeit ändert niemals ihr Wesen,
sondern nur mit wachsender Erkenntnis der Dinge ihre Ansichten. Hubers
Ansichten änderten sich besonders in zwei Stücken: aus einem Liberalen wurde
er ein strenger Monarchist, und von der Gefühlsreligion schritt er zur dog¬
matischen sort. Aber der Sache der Bolksfreiheit ist er niemals untreu ge¬
worden; im Gegenteil: unter einem unumschränkten Monarchen fand er sie
besser gewahrt als unter der Herrschaft der "Liberalen," die den schönen Namen
der Freiheit zur Unterdrückung der übrigen zu mißbrauchen Pflegen; und eng¬
herzig konfessionell ist er nie geworden. Nichts haßte er mehr als religiösen
und moralischen Pharisäismus; er sagte einmal geradezu: "Ich kann die edeln
Menschen von Profession nicht leiden, so wenig wie die Tugendhaften." Er
wird also auch im spätern Leben nicht zurückgenommen haben, was er als
junger Mann über die neuromantische Poesie in Frankreich schrieb. Er nahm


Grenzboten I 1395 -16
Victor Aias Huber

dürftigen wiederzugeben, was ich ihnen entziehe, um dich so gut erziehen zu
lassen, und mir in meinem nahenden Alter die Sorgen zu ersparen, die ich
jetzt auf mich nehme." Und im Jahre 1816 schreibt sie: „Mir thut das Herz
weh, wenn ich wahrnehme, auf welche elenden Faschingspossen sich das Deutsch¬
tum unsrer Jünglinge beschränkt. Schimpfen, renommiren, altdeutsche Röcke,
schlechte Verse, Verachten aller bestehenden Form und geschmackloses Nachjagen
nach neuen Abzeichen. Doch Zucht, Nüchternheit, Fleiß, Andacht bleibt ihnen
fremd. Du liebst dein Vaterland, und diese Liebe kann ich dir nicht genug
empfehlen. Aber sie sei des hohen Begriffs würdig, der mit diesem Worte
verbunden ist. Strebe du, der edlere Mensch zu sein, dann bist du der bessere
Deutsche. Aber bekämpfe die Sucht der Schwächlinge, die in Geschrei und
Mummerei ihr Deutschtum beweisen." Einen längern Brief aus dem Jahre
1814 über die beste Art und Weise, den 18. Oktober würdig zu feiern, mag
man in dem Buche selbst mit Andacht lesen.

Der Geschmack der Mutter wurde ganz sein eigner; als er einmal einen
Kommers mitgemacht hatte, sagte er: Einmal und nie wieder! Diese Ab¬
neigung gegen das Treiben der deutschen Studenten entsprang nicht etwa aus
Philistrositüt; denn niemand ist weniger Philister gewesen als Huber; er fühlte
sich als junger Mann unter den Pariser Litteraten, unter den spanischen Li¬
beralen in seinem Element, führte in Spanien ein wahres Zigeunerleben und
rechnete, ganz Kraft und Frische, trotz tiefem Ernste doch fröhlich zu sein und
andre froh zu machen unter seine Lebensaufgaben. Aber was nicht echt und
nicht ivahrhaftig war und keinen gediegnen Inhalt hatte, konnte er nicht leiden.
Der angedeuteten Richtung zufolge fühlte er sich der ganzen Menschheit ver¬
pflichtet, der er in seinem Volke, und zwar vorzugsweise in den Armen seines
Volkes, zeitlebens gedient hat. Mit langer und enger Bindung an eine Ve-
rufsstellung vertrug sich seine Art von Thätigkeit nicht; als vereinsamter Privat¬
mann ist er 1869 in Wernigerode gestorben.

Eine so feste und geschlossene Persönlichkeit ändert niemals ihr Wesen,
sondern nur mit wachsender Erkenntnis der Dinge ihre Ansichten. Hubers
Ansichten änderten sich besonders in zwei Stücken: aus einem Liberalen wurde
er ein strenger Monarchist, und von der Gefühlsreligion schritt er zur dog¬
matischen sort. Aber der Sache der Bolksfreiheit ist er niemals untreu ge¬
worden; im Gegenteil: unter einem unumschränkten Monarchen fand er sie
besser gewahrt als unter der Herrschaft der „Liberalen," die den schönen Namen
der Freiheit zur Unterdrückung der übrigen zu mißbrauchen Pflegen; und eng¬
herzig konfessionell ist er nie geworden. Nichts haßte er mehr als religiösen
und moralischen Pharisäismus; er sagte einmal geradezu: „Ich kann die edeln
Menschen von Profession nicht leiden, so wenig wie die Tugendhaften." Er
wird also auch im spätern Leben nicht zurückgenommen haben, was er als
junger Mann über die neuromantische Poesie in Frankreich schrieb. Er nahm


Grenzboten I 1395 -16
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[0371] Victor Aias Huber dürftigen wiederzugeben, was ich ihnen entziehe, um dich so gut erziehen zu lassen, und mir in meinem nahenden Alter die Sorgen zu ersparen, die ich jetzt auf mich nehme." Und im Jahre 1816 schreibt sie: „Mir thut das Herz weh, wenn ich wahrnehme, auf welche elenden Faschingspossen sich das Deutsch¬ tum unsrer Jünglinge beschränkt. Schimpfen, renommiren, altdeutsche Röcke, schlechte Verse, Verachten aller bestehenden Form und geschmackloses Nachjagen nach neuen Abzeichen. Doch Zucht, Nüchternheit, Fleiß, Andacht bleibt ihnen fremd. Du liebst dein Vaterland, und diese Liebe kann ich dir nicht genug empfehlen. Aber sie sei des hohen Begriffs würdig, der mit diesem Worte verbunden ist. Strebe du, der edlere Mensch zu sein, dann bist du der bessere Deutsche. Aber bekämpfe die Sucht der Schwächlinge, die in Geschrei und Mummerei ihr Deutschtum beweisen." Einen längern Brief aus dem Jahre 1814 über die beste Art und Weise, den 18. Oktober würdig zu feiern, mag man in dem Buche selbst mit Andacht lesen. Der Geschmack der Mutter wurde ganz sein eigner; als er einmal einen Kommers mitgemacht hatte, sagte er: Einmal und nie wieder! Diese Ab¬ neigung gegen das Treiben der deutschen Studenten entsprang nicht etwa aus Philistrositüt; denn niemand ist weniger Philister gewesen als Huber; er fühlte sich als junger Mann unter den Pariser Litteraten, unter den spanischen Li¬ beralen in seinem Element, führte in Spanien ein wahres Zigeunerleben und rechnete, ganz Kraft und Frische, trotz tiefem Ernste doch fröhlich zu sein und andre froh zu machen unter seine Lebensaufgaben. Aber was nicht echt und nicht ivahrhaftig war und keinen gediegnen Inhalt hatte, konnte er nicht leiden. Der angedeuteten Richtung zufolge fühlte er sich der ganzen Menschheit ver¬ pflichtet, der er in seinem Volke, und zwar vorzugsweise in den Armen seines Volkes, zeitlebens gedient hat. Mit langer und enger Bindung an eine Ve- rufsstellung vertrug sich seine Art von Thätigkeit nicht; als vereinsamter Privat¬ mann ist er 1869 in Wernigerode gestorben. Eine so feste und geschlossene Persönlichkeit ändert niemals ihr Wesen, sondern nur mit wachsender Erkenntnis der Dinge ihre Ansichten. Hubers Ansichten änderten sich besonders in zwei Stücken: aus einem Liberalen wurde er ein strenger Monarchist, und von der Gefühlsreligion schritt er zur dog¬ matischen sort. Aber der Sache der Bolksfreiheit ist er niemals untreu ge¬ worden; im Gegenteil: unter einem unumschränkten Monarchen fand er sie besser gewahrt als unter der Herrschaft der „Liberalen," die den schönen Namen der Freiheit zur Unterdrückung der übrigen zu mißbrauchen Pflegen; und eng¬ herzig konfessionell ist er nie geworden. Nichts haßte er mehr als religiösen und moralischen Pharisäismus; er sagte einmal geradezu: „Ich kann die edeln Menschen von Profession nicht leiden, so wenig wie die Tugendhaften." Er wird also auch im spätern Leben nicht zurückgenommen haben, was er als junger Mann über die neuromantische Poesie in Frankreich schrieb. Er nahm Grenzboten I 1395 -16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/371>, abgerufen am 25.08.2024.