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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Untergang der Lide

englischen Gesellschaft, der vor einigen Jahren infolge von Zahlungsschwierig¬
keiten eingegangnen Jnmanlinie, die wegen ihrer Fürsorge für die Auswandrer
berühmt war, im Jahre 1854, bald nach ihrer Gründung, ein Dampfer mit
477 Personen verschollen ist, und später noch ein zweiter. Seit dem Auf¬
treten der Cunardgesellschaft verzeichnet die Geschichte der nordtransatlantischen
Persvnendampfschiffahrt mehr als hundert gescheiterte oder auf hoher See ge-
sunkne oder verbrannte Fahrzeuge, außerdem ein Viertelhundert verschollne;
der Cunardgesellschaft aber waren die Umstände stets so günstig, daß bei den
Schiffsverlnsten sogar die Post, deren Beförderung von Anfang an eine Haupt¬
aufgabe der früher vom Staate stark subventionirten Gesellschaft bildete, stets
vollständig gerettet werden konnte, außer bei dem Untergänge der Oregon, wo
es aber immer uoch mit einem Teile von 500 bis 600 Postsäcken gelang. (Ein
solcher Sack hat gewöhnlich Kartosfelsackgröße.) Das ist ohne Frage in erster
Linie Glück und nochmals Glück; doch soll darum das Verdienst der Geschäfts¬
leitung nicht verkannt werden. Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen,
daß auf den englischen Schnelldampfern die Offiziere (Steuerleute) in drei Ab¬
teilungen vorhanden sind, auf den deutschen dagegen nur in zwei, obschon der
ungemein schwierige Weg durch die Nordsee und die Straße von Dover für
die englischen Schiffe wegfällt. Der deutsche Schiffsoffizier hat täglich zwölf,
der englische nur acht Stunden Dienst. Für den Deutschen wechseln vier
Stunden Arbeit auf Deck mit vier freien Stunden zum Essen, Schlafen u. f. w.,
in Anbetracht der hohen Anforderungen des Dienstes offenbar keine ge¬
sunde Einrichtung; sie ist aber von den deutschen Steuermannsvereinen bisher
vergeblich bekämpft worden. Die Vermehrung der Autvritätspersouen (Offiziere)
von vier auf sechs wäre sicherlich auch für den Notfall von Wert.

Die Elbe war der älteste und kleinste der sogenannten Schnelldampfer
des Norddeutschen Lloyd; seine Einrichtungen sind daher nicht ohne weiteres
für die ganze Lloydflotte maßgebend. Bei den luxuriösen neuern Dampfern
des Lloyd ist es namentlich um deu Bootsraum besser bestellt, indem z. B.
der Kaiser Wilhelm II. aus 800 Fahrgäste zwölf Boote führt. Havel und
Spree, die die Elbe an Tonnengehalt um die Hälfte übertreffen, fassen je
274 Fahrgäste in der ersten, 148 in der zweiten Kajüte und 384 im Zwischen¬
deck, während die Elbe 179, 142 und 796 faßte. Voll besetzt hätte die Elbe
über 1100 Reisende und 180 Mann Schiffspersonal gehabt. Von dieser
Menschenmenge kann selbst bei günstigem Wetter kaum die Hälfte in
zehn Booten unterkommen, das Schiff muß also noch andre Hilfsmittel
führen. Zu solchen gehören insbesondre die Klappbvote und die Rettungs¬
flöße. Klappboote können von vier Mann über Bord gesetzt werden, Rettungs¬
flöße stehen in Form von Bänken ans dem Oberdeck und Promenadendeck, man
braucht sie nur ins Wasser zu werfen. Dem Anschein nach war die Lage der
Elbe derart, daß selbst bei ruhigem Wetter nicht die Zeit geblieben wäre, die


Grenzboten I 189S 45
Der Untergang der Lide

englischen Gesellschaft, der vor einigen Jahren infolge von Zahlungsschwierig¬
keiten eingegangnen Jnmanlinie, die wegen ihrer Fürsorge für die Auswandrer
berühmt war, im Jahre 1854, bald nach ihrer Gründung, ein Dampfer mit
477 Personen verschollen ist, und später noch ein zweiter. Seit dem Auf¬
treten der Cunardgesellschaft verzeichnet die Geschichte der nordtransatlantischen
Persvnendampfschiffahrt mehr als hundert gescheiterte oder auf hoher See ge-
sunkne oder verbrannte Fahrzeuge, außerdem ein Viertelhundert verschollne;
der Cunardgesellschaft aber waren die Umstände stets so günstig, daß bei den
Schiffsverlnsten sogar die Post, deren Beförderung von Anfang an eine Haupt¬
aufgabe der früher vom Staate stark subventionirten Gesellschaft bildete, stets
vollständig gerettet werden konnte, außer bei dem Untergänge der Oregon, wo
es aber immer uoch mit einem Teile von 500 bis 600 Postsäcken gelang. (Ein
solcher Sack hat gewöhnlich Kartosfelsackgröße.) Das ist ohne Frage in erster
Linie Glück und nochmals Glück; doch soll darum das Verdienst der Geschäfts¬
leitung nicht verkannt werden. Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen,
daß auf den englischen Schnelldampfern die Offiziere (Steuerleute) in drei Ab¬
teilungen vorhanden sind, auf den deutschen dagegen nur in zwei, obschon der
ungemein schwierige Weg durch die Nordsee und die Straße von Dover für
die englischen Schiffe wegfällt. Der deutsche Schiffsoffizier hat täglich zwölf,
der englische nur acht Stunden Dienst. Für den Deutschen wechseln vier
Stunden Arbeit auf Deck mit vier freien Stunden zum Essen, Schlafen u. f. w.,
in Anbetracht der hohen Anforderungen des Dienstes offenbar keine ge¬
sunde Einrichtung; sie ist aber von den deutschen Steuermannsvereinen bisher
vergeblich bekämpft worden. Die Vermehrung der Autvritätspersouen (Offiziere)
von vier auf sechs wäre sicherlich auch für den Notfall von Wert.

Die Elbe war der älteste und kleinste der sogenannten Schnelldampfer
des Norddeutschen Lloyd; seine Einrichtungen sind daher nicht ohne weiteres
für die ganze Lloydflotte maßgebend. Bei den luxuriösen neuern Dampfern
des Lloyd ist es namentlich um deu Bootsraum besser bestellt, indem z. B.
der Kaiser Wilhelm II. aus 800 Fahrgäste zwölf Boote führt. Havel und
Spree, die die Elbe an Tonnengehalt um die Hälfte übertreffen, fassen je
274 Fahrgäste in der ersten, 148 in der zweiten Kajüte und 384 im Zwischen¬
deck, während die Elbe 179, 142 und 796 faßte. Voll besetzt hätte die Elbe
über 1100 Reisende und 180 Mann Schiffspersonal gehabt. Von dieser
Menschenmenge kann selbst bei günstigem Wetter kaum die Hälfte in
zehn Booten unterkommen, das Schiff muß also noch andre Hilfsmittel
führen. Zu solchen gehören insbesondre die Klappbvote und die Rettungs¬
flöße. Klappboote können von vier Mann über Bord gesetzt werden, Rettungs¬
flöße stehen in Form von Bänken ans dem Oberdeck und Promenadendeck, man
braucht sie nur ins Wasser zu werfen. Dem Anschein nach war die Lage der
Elbe derart, daß selbst bei ruhigem Wetter nicht die Zeit geblieben wäre, die


Grenzboten I 189S 45
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[0363] Der Untergang der Lide englischen Gesellschaft, der vor einigen Jahren infolge von Zahlungsschwierig¬ keiten eingegangnen Jnmanlinie, die wegen ihrer Fürsorge für die Auswandrer berühmt war, im Jahre 1854, bald nach ihrer Gründung, ein Dampfer mit 477 Personen verschollen ist, und später noch ein zweiter. Seit dem Auf¬ treten der Cunardgesellschaft verzeichnet die Geschichte der nordtransatlantischen Persvnendampfschiffahrt mehr als hundert gescheiterte oder auf hoher See ge- sunkne oder verbrannte Fahrzeuge, außerdem ein Viertelhundert verschollne; der Cunardgesellschaft aber waren die Umstände stets so günstig, daß bei den Schiffsverlnsten sogar die Post, deren Beförderung von Anfang an eine Haupt¬ aufgabe der früher vom Staate stark subventionirten Gesellschaft bildete, stets vollständig gerettet werden konnte, außer bei dem Untergänge der Oregon, wo es aber immer uoch mit einem Teile von 500 bis 600 Postsäcken gelang. (Ein solcher Sack hat gewöhnlich Kartosfelsackgröße.) Das ist ohne Frage in erster Linie Glück und nochmals Glück; doch soll darum das Verdienst der Geschäfts¬ leitung nicht verkannt werden. Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen, daß auf den englischen Schnelldampfern die Offiziere (Steuerleute) in drei Ab¬ teilungen vorhanden sind, auf den deutschen dagegen nur in zwei, obschon der ungemein schwierige Weg durch die Nordsee und die Straße von Dover für die englischen Schiffe wegfällt. Der deutsche Schiffsoffizier hat täglich zwölf, der englische nur acht Stunden Dienst. Für den Deutschen wechseln vier Stunden Arbeit auf Deck mit vier freien Stunden zum Essen, Schlafen u. f. w., in Anbetracht der hohen Anforderungen des Dienstes offenbar keine ge¬ sunde Einrichtung; sie ist aber von den deutschen Steuermannsvereinen bisher vergeblich bekämpft worden. Die Vermehrung der Autvritätspersouen (Offiziere) von vier auf sechs wäre sicherlich auch für den Notfall von Wert. Die Elbe war der älteste und kleinste der sogenannten Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd; seine Einrichtungen sind daher nicht ohne weiteres für die ganze Lloydflotte maßgebend. Bei den luxuriösen neuern Dampfern des Lloyd ist es namentlich um deu Bootsraum besser bestellt, indem z. B. der Kaiser Wilhelm II. aus 800 Fahrgäste zwölf Boote führt. Havel und Spree, die die Elbe an Tonnengehalt um die Hälfte übertreffen, fassen je 274 Fahrgäste in der ersten, 148 in der zweiten Kajüte und 384 im Zwischen¬ deck, während die Elbe 179, 142 und 796 faßte. Voll besetzt hätte die Elbe über 1100 Reisende und 180 Mann Schiffspersonal gehabt. Von dieser Menschenmenge kann selbst bei günstigem Wetter kaum die Hälfte in zehn Booten unterkommen, das Schiff muß also noch andre Hilfsmittel führen. Zu solchen gehören insbesondre die Klappbvote und die Rettungs¬ flöße. Klappboote können von vier Mann über Bord gesetzt werden, Rettungs¬ flöße stehen in Form von Bänken ans dem Oberdeck und Promenadendeck, man braucht sie nur ins Wasser zu werfen. Dem Anschein nach war die Lage der Elbe derart, daß selbst bei ruhigem Wetter nicht die Zeit geblieben wäre, die Grenzboten I 189S 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/363>, abgerufen am 01.07.2024.