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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Untergang der LIbe

mehr als das doppelte übertraf, selbst in schwerer See recht gut, als seine
niedergebrochne Maschine die Schiffswand durchstoßen hatte, und nicht nur der
Maschinenraum, sondern auch die Nebenabteilung vollgelaufen war; der Zu¬
wachs an Gewicht betrug mehr als 3000 Tonnen oder ein Viertel des Ge¬
samtdeplacements lGewicht von Schiff und gewöhnlicher Ladung), der Tiefgang
wuchs um 2 Meter. Schwerlich hätte es die Elbe ertragen, wenn ihr auch
nur die Maschinenabteilung ersoffen wäre. Und wie leicht kann der verderb¬
liche Stoß gerade die Ansatzstelle eines Schotts treffen oder in einem Augen¬
blick geschehen, wo die Thüren zu den Nachbarabteilungen offen stehen, sodaß
sich das Wasser ungehindert aus einem Raume in den andern ergießen kann,
ein Vorkommnis, das allerdings der Schiffsordnuug durchaus zuwiderläuft,
aber da, wo gearbeitet wird, sich nie ganz vermeiden lassen wird, wie es denn
mich bei der Oregon der Fall war. Auf den neuesten Dampfern sind die
Schottenthüren von Deck aus verschließbar. Überdies hat man die Zahl der
Schotten vermehrt, bei den Zweischraubeudampfern auch dadurch, daß man die
Maschinenanlage -- bei der Elbe ein Raum von 50 Metern -- ihrer ganzen
Länge nach teilte. Die Elbe hatte bei nicht ganz 130 Metern Länge sieben
Schotten, während die größten zur Zeit vorhandnen Dampfer auf 170 bis
190 Meter Länge fünfzehn bis achtzehn Schotten haben. Gegen die Gefahr
des Sinkens und Verbrennens bieten die Schotten ohne Zweifel die beste
Sicherung. Um die Kollisionsgefahr zu vermindern, hat man den Vorschlag
machen lvollen, die großen Personendampfer in der Wasserlinie zu panzern.

Die Nettungsvvrrichtungen sind eine schöne Sache, sie haben sich uuzühlige-
male bewährt. Aber das Verhängnis darf nicht gar zu plötzlich herein¬
brechen und die Witterung nicht allzu unfreundlich sein. Bei den Parade¬
übungen, die die Schiffsmannschaft von Zeit zu Zeit abhält, um sich mit
dem Gebrauche der Nettungsgegenstänoe vertraut zu machen und zugleich deren
andauernd gute Beschaffenheit zu erproben, gelingt es, die in Flaschenzügen
hängenden Boote in etwa fünf Minuten "zu Wasser" zu bringen. Wie
aber, wenn der übereiste Boden dem Fuße keinen Halt gewährt, oder wenn
das Tauwerk "unklar" geworden, oder seitliches Überueigen des Schiffes
das Ausschwingen der Boote teilweise vereitelt, weil die eine Hälfte, sagen
wir fünf von zehn, statt nach dem Wasser hinaus übers Schiff herein-
hüngt? Oder wenn bei Sturm und Wogengebraus die meterhoch auf- und
niedertanzenden Nußschalen jeden Augenblick an der Schiffswand zu zer¬
schellen drohen? Um die Schwierigkeiten der Lage der Elbe, deren größte
der Mangel an Zeit war, zu verstehen, genügt es, sich der sehr ähnlichen
Umstände bei der Cimbria zu erinnern, die fünf Seemeilen nordöstlich von
Borkum, also ziemlich in dem Bereiche der friesischen Küste verunglückte. In
die Mitte getroffen, legte sie sich so rasch auf die Seite, daß vou ihren acht
Booten nur die vier tiefhängenden zu Wasser gebracht werden konnten. Ein


Der Untergang der LIbe

mehr als das doppelte übertraf, selbst in schwerer See recht gut, als seine
niedergebrochne Maschine die Schiffswand durchstoßen hatte, und nicht nur der
Maschinenraum, sondern auch die Nebenabteilung vollgelaufen war; der Zu¬
wachs an Gewicht betrug mehr als 3000 Tonnen oder ein Viertel des Ge¬
samtdeplacements lGewicht von Schiff und gewöhnlicher Ladung), der Tiefgang
wuchs um 2 Meter. Schwerlich hätte es die Elbe ertragen, wenn ihr auch
nur die Maschinenabteilung ersoffen wäre. Und wie leicht kann der verderb¬
liche Stoß gerade die Ansatzstelle eines Schotts treffen oder in einem Augen¬
blick geschehen, wo die Thüren zu den Nachbarabteilungen offen stehen, sodaß
sich das Wasser ungehindert aus einem Raume in den andern ergießen kann,
ein Vorkommnis, das allerdings der Schiffsordnuug durchaus zuwiderläuft,
aber da, wo gearbeitet wird, sich nie ganz vermeiden lassen wird, wie es denn
mich bei der Oregon der Fall war. Auf den neuesten Dampfern sind die
Schottenthüren von Deck aus verschließbar. Überdies hat man die Zahl der
Schotten vermehrt, bei den Zweischraubeudampfern auch dadurch, daß man die
Maschinenanlage — bei der Elbe ein Raum von 50 Metern — ihrer ganzen
Länge nach teilte. Die Elbe hatte bei nicht ganz 130 Metern Länge sieben
Schotten, während die größten zur Zeit vorhandnen Dampfer auf 170 bis
190 Meter Länge fünfzehn bis achtzehn Schotten haben. Gegen die Gefahr
des Sinkens und Verbrennens bieten die Schotten ohne Zweifel die beste
Sicherung. Um die Kollisionsgefahr zu vermindern, hat man den Vorschlag
machen lvollen, die großen Personendampfer in der Wasserlinie zu panzern.

Die Nettungsvvrrichtungen sind eine schöne Sache, sie haben sich uuzühlige-
male bewährt. Aber das Verhängnis darf nicht gar zu plötzlich herein¬
brechen und die Witterung nicht allzu unfreundlich sein. Bei den Parade¬
übungen, die die Schiffsmannschaft von Zeit zu Zeit abhält, um sich mit
dem Gebrauche der Nettungsgegenstänoe vertraut zu machen und zugleich deren
andauernd gute Beschaffenheit zu erproben, gelingt es, die in Flaschenzügen
hängenden Boote in etwa fünf Minuten „zu Wasser" zu bringen. Wie
aber, wenn der übereiste Boden dem Fuße keinen Halt gewährt, oder wenn
das Tauwerk „unklar" geworden, oder seitliches Überueigen des Schiffes
das Ausschwingen der Boote teilweise vereitelt, weil die eine Hälfte, sagen
wir fünf von zehn, statt nach dem Wasser hinaus übers Schiff herein-
hüngt? Oder wenn bei Sturm und Wogengebraus die meterhoch auf- und
niedertanzenden Nußschalen jeden Augenblick an der Schiffswand zu zer¬
schellen drohen? Um die Schwierigkeiten der Lage der Elbe, deren größte
der Mangel an Zeit war, zu verstehen, genügt es, sich der sehr ähnlichen
Umstände bei der Cimbria zu erinnern, die fünf Seemeilen nordöstlich von
Borkum, also ziemlich in dem Bereiche der friesischen Küste verunglückte. In
die Mitte getroffen, legte sie sich so rasch auf die Seite, daß vou ihren acht
Booten nur die vier tiefhängenden zu Wasser gebracht werden konnten. Ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/359>, abgerufen am 26.06.2024.