Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsch-japanische Beziehungen

ausgearbeitet, der den japanischen Verhältnissen Rechnung trägt, und der be¬
sondres Gewicht auf die sittliche Ausbildung der Schüler legt, die in den japa¬
nischen Schulen bisher sast ganz vernachlässigt wurde.

Ganz in deutschen Händen und von deutschem Geiste beseelt ist die kaiser¬
liche medizinisch-chirurgische Akademie von Tokio. Sie wurde von zwei preu¬
ßischen Stabsärzten, Dr. L. Müller und Dr. Hoffmann gegründet, die von
1871 bis 1875 hier wirkten. Aus einer Borschule, die sie einrichten mußten,
damit sich die jungen Leute die nötige Bildung aneigneten, hat sich schließlich
die Akademie entwickelt. Hier herrscht die deutsche Sprache vollständig. In
dem Lehrplane der Akademie ist ihr deswegen ein so breiter Raum angewiesen
worden, weil der Besitz an Büchern und die Lehrerschaft ganz deutsch waren,
sodaß das Eindringen jedes fremden Einflusses nur gestört hätte. Wie ein¬
verstanden aber die Japaner damit waren, sehen wir aus dem Kalender der
medizinischen Fakultät vom Jahre 1833/84, der auch in deutscher Sprache er¬
scheint. Darin heißt es: "Da jetzt nämlich die naturwissenschaftlichen und litte¬
rarischen Fächer unter den europäischen Ländern in Deutschland am besten und
genauesten erforscht werden, so sollen die Studenten diese Sprache lernen, um
später in deutschen Büchern jene Wissenschaft genauer studiren zu können."
Darin hat sich auch bis jetzt nichts geändert, obwohl jetzt nur noch zwei
deutsche Professoren, der Kliniker Baelz und der Chirurg Scriba, hier wirken,
während alle andern Lehrstühle schon von einheimischen Gelehrten besetzt sind.
Man kann vielmehr sagen, daß die deutsche Sprache die Fachsprache der Ärzte
in Japan geworden ist. Da sehr viele japanische Ärzte auch in Deutschland
ihre Studien gemacht haben, so haben sie unsre Sprache gleichsam als An¬
denken in die Heimat mitgenommen. In den medizinischen Vereinen wird
deutsch verhandelt. Selbst die Lazarettgehilfen werden so lange nach dem deut¬
schen Lesebuche unterrichtet, bis sie fähig find, die Ärzte zu verstehen. Auch
sämtliche in Japan erscheinenden medizinischen und tierärztlichen Zeitschriften
sind in deutscher Sprache abgefaßt. Sie werden aber in Tokio selbst gesetzt
und gedruckt, und zwar recht gut.

Auch die Rechtswissenschaft, die bisher namentlich von französischem Geiste
beseelt war, stellt sich immer mehr auf deutschen Boden. Es giebt in der
juristischen Fakultät noch drei Rechtsabteilungen, eine englische, eine französische
und eine deutsche. Der junge Student entscheidet sich bei seinem Eintritte für
eine dieser drei Abteilungen. Es kommt dies daher, daß es bisher auf den
Gymnasien in das Belieben der Schüler gestellt war, welche der neuern Sprachen
sie lernen wollten. Darin scheint aber eine Bestimmung, die der Minister des
Unterrichtswesens Ende des vorigen Jahres erlassen hat, Wandel schaffen zu
sollen, denn er hat verfügt, daß alle Abiturienten der Regierungsgymnasien,
die in die medizinische, in die historisch-philosophische oder in die juristische
Fakultät eintreten wollen, die deutsche Sprache beherrschen müssen. Durch


Deutsch-japanische Beziehungen

ausgearbeitet, der den japanischen Verhältnissen Rechnung trägt, und der be¬
sondres Gewicht auf die sittliche Ausbildung der Schüler legt, die in den japa¬
nischen Schulen bisher sast ganz vernachlässigt wurde.

Ganz in deutschen Händen und von deutschem Geiste beseelt ist die kaiser¬
liche medizinisch-chirurgische Akademie von Tokio. Sie wurde von zwei preu¬
ßischen Stabsärzten, Dr. L. Müller und Dr. Hoffmann gegründet, die von
1871 bis 1875 hier wirkten. Aus einer Borschule, die sie einrichten mußten,
damit sich die jungen Leute die nötige Bildung aneigneten, hat sich schließlich
die Akademie entwickelt. Hier herrscht die deutsche Sprache vollständig. In
dem Lehrplane der Akademie ist ihr deswegen ein so breiter Raum angewiesen
worden, weil der Besitz an Büchern und die Lehrerschaft ganz deutsch waren,
sodaß das Eindringen jedes fremden Einflusses nur gestört hätte. Wie ein¬
verstanden aber die Japaner damit waren, sehen wir aus dem Kalender der
medizinischen Fakultät vom Jahre 1833/84, der auch in deutscher Sprache er¬
scheint. Darin heißt es: „Da jetzt nämlich die naturwissenschaftlichen und litte¬
rarischen Fächer unter den europäischen Ländern in Deutschland am besten und
genauesten erforscht werden, so sollen die Studenten diese Sprache lernen, um
später in deutschen Büchern jene Wissenschaft genauer studiren zu können."
Darin hat sich auch bis jetzt nichts geändert, obwohl jetzt nur noch zwei
deutsche Professoren, der Kliniker Baelz und der Chirurg Scriba, hier wirken,
während alle andern Lehrstühle schon von einheimischen Gelehrten besetzt sind.
Man kann vielmehr sagen, daß die deutsche Sprache die Fachsprache der Ärzte
in Japan geworden ist. Da sehr viele japanische Ärzte auch in Deutschland
ihre Studien gemacht haben, so haben sie unsre Sprache gleichsam als An¬
denken in die Heimat mitgenommen. In den medizinischen Vereinen wird
deutsch verhandelt. Selbst die Lazarettgehilfen werden so lange nach dem deut¬
schen Lesebuche unterrichtet, bis sie fähig find, die Ärzte zu verstehen. Auch
sämtliche in Japan erscheinenden medizinischen und tierärztlichen Zeitschriften
sind in deutscher Sprache abgefaßt. Sie werden aber in Tokio selbst gesetzt
und gedruckt, und zwar recht gut.

Auch die Rechtswissenschaft, die bisher namentlich von französischem Geiste
beseelt war, stellt sich immer mehr auf deutschen Boden. Es giebt in der
juristischen Fakultät noch drei Rechtsabteilungen, eine englische, eine französische
und eine deutsche. Der junge Student entscheidet sich bei seinem Eintritte für
eine dieser drei Abteilungen. Es kommt dies daher, daß es bisher auf den
Gymnasien in das Belieben der Schüler gestellt war, welche der neuern Sprachen
sie lernen wollten. Darin scheint aber eine Bestimmung, die der Minister des
Unterrichtswesens Ende des vorigen Jahres erlassen hat, Wandel schaffen zu
sollen, denn er hat verfügt, daß alle Abiturienten der Regierungsgymnasien,
die in die medizinische, in die historisch-philosophische oder in die juristische
Fakultät eintreten wollen, die deutsche Sprache beherrschen müssen. Durch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219354"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsch-japanische Beziehungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1053" prev="#ID_1052"> ausgearbeitet, der den japanischen Verhältnissen Rechnung trägt, und der be¬<lb/>
sondres Gewicht auf die sittliche Ausbildung der Schüler legt, die in den japa¬<lb/>
nischen Schulen bisher sast ganz vernachlässigt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1054"> Ganz in deutschen Händen und von deutschem Geiste beseelt ist die kaiser¬<lb/>
liche medizinisch-chirurgische Akademie von Tokio. Sie wurde von zwei preu¬<lb/>
ßischen Stabsärzten, Dr. L. Müller und Dr. Hoffmann gegründet, die von<lb/>
1871 bis 1875 hier wirkten. Aus einer Borschule, die sie einrichten mußten,<lb/>
damit sich die jungen Leute die nötige Bildung aneigneten, hat sich schließlich<lb/>
die Akademie entwickelt. Hier herrscht die deutsche Sprache vollständig. In<lb/>
dem Lehrplane der Akademie ist ihr deswegen ein so breiter Raum angewiesen<lb/>
worden, weil der Besitz an Büchern und die Lehrerschaft ganz deutsch waren,<lb/>
sodaß das Eindringen jedes fremden Einflusses nur gestört hätte. Wie ein¬<lb/>
verstanden aber die Japaner damit waren, sehen wir aus dem Kalender der<lb/>
medizinischen Fakultät vom Jahre 1833/84, der auch in deutscher Sprache er¬<lb/>
scheint. Darin heißt es: &#x201E;Da jetzt nämlich die naturwissenschaftlichen und litte¬<lb/>
rarischen Fächer unter den europäischen Ländern in Deutschland am besten und<lb/>
genauesten erforscht werden, so sollen die Studenten diese Sprache lernen, um<lb/>
später in deutschen Büchern jene Wissenschaft genauer studiren zu können."<lb/>
Darin hat sich auch bis jetzt nichts geändert, obwohl jetzt nur noch zwei<lb/>
deutsche Professoren, der Kliniker Baelz und der Chirurg Scriba, hier wirken,<lb/>
während alle andern Lehrstühle schon von einheimischen Gelehrten besetzt sind.<lb/>
Man kann vielmehr sagen, daß die deutsche Sprache die Fachsprache der Ärzte<lb/>
in Japan geworden ist. Da sehr viele japanische Ärzte auch in Deutschland<lb/>
ihre Studien gemacht haben, so haben sie unsre Sprache gleichsam als An¬<lb/>
denken in die Heimat mitgenommen. In den medizinischen Vereinen wird<lb/>
deutsch verhandelt. Selbst die Lazarettgehilfen werden so lange nach dem deut¬<lb/>
schen Lesebuche unterrichtet, bis sie fähig find, die Ärzte zu verstehen. Auch<lb/>
sämtliche in Japan erscheinenden medizinischen und tierärztlichen Zeitschriften<lb/>
sind in deutscher Sprache abgefaßt. Sie werden aber in Tokio selbst gesetzt<lb/>
und gedruckt, und zwar recht gut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1055" next="#ID_1056"> Auch die Rechtswissenschaft, die bisher namentlich von französischem Geiste<lb/>
beseelt war, stellt sich immer mehr auf deutschen Boden. Es giebt in der<lb/>
juristischen Fakultät noch drei Rechtsabteilungen, eine englische, eine französische<lb/>
und eine deutsche. Der junge Student entscheidet sich bei seinem Eintritte für<lb/>
eine dieser drei Abteilungen. Es kommt dies daher, daß es bisher auf den<lb/>
Gymnasien in das Belieben der Schüler gestellt war, welche der neuern Sprachen<lb/>
sie lernen wollten. Darin scheint aber eine Bestimmung, die der Minister des<lb/>
Unterrichtswesens Ende des vorigen Jahres erlassen hat, Wandel schaffen zu<lb/>
sollen, denn er hat verfügt, daß alle Abiturienten der Regierungsgymnasien,<lb/>
die in die medizinische, in die historisch-philosophische oder in die juristische<lb/>
Fakultät eintreten wollen, die deutsche Sprache beherrschen müssen. Durch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] Deutsch-japanische Beziehungen ausgearbeitet, der den japanischen Verhältnissen Rechnung trägt, und der be¬ sondres Gewicht auf die sittliche Ausbildung der Schüler legt, die in den japa¬ nischen Schulen bisher sast ganz vernachlässigt wurde. Ganz in deutschen Händen und von deutschem Geiste beseelt ist die kaiser¬ liche medizinisch-chirurgische Akademie von Tokio. Sie wurde von zwei preu¬ ßischen Stabsärzten, Dr. L. Müller und Dr. Hoffmann gegründet, die von 1871 bis 1875 hier wirkten. Aus einer Borschule, die sie einrichten mußten, damit sich die jungen Leute die nötige Bildung aneigneten, hat sich schließlich die Akademie entwickelt. Hier herrscht die deutsche Sprache vollständig. In dem Lehrplane der Akademie ist ihr deswegen ein so breiter Raum angewiesen worden, weil der Besitz an Büchern und die Lehrerschaft ganz deutsch waren, sodaß das Eindringen jedes fremden Einflusses nur gestört hätte. Wie ein¬ verstanden aber die Japaner damit waren, sehen wir aus dem Kalender der medizinischen Fakultät vom Jahre 1833/84, der auch in deutscher Sprache er¬ scheint. Darin heißt es: „Da jetzt nämlich die naturwissenschaftlichen und litte¬ rarischen Fächer unter den europäischen Ländern in Deutschland am besten und genauesten erforscht werden, so sollen die Studenten diese Sprache lernen, um später in deutschen Büchern jene Wissenschaft genauer studiren zu können." Darin hat sich auch bis jetzt nichts geändert, obwohl jetzt nur noch zwei deutsche Professoren, der Kliniker Baelz und der Chirurg Scriba, hier wirken, während alle andern Lehrstühle schon von einheimischen Gelehrten besetzt sind. Man kann vielmehr sagen, daß die deutsche Sprache die Fachsprache der Ärzte in Japan geworden ist. Da sehr viele japanische Ärzte auch in Deutschland ihre Studien gemacht haben, so haben sie unsre Sprache gleichsam als An¬ denken in die Heimat mitgenommen. In den medizinischen Vereinen wird deutsch verhandelt. Selbst die Lazarettgehilfen werden so lange nach dem deut¬ schen Lesebuche unterrichtet, bis sie fähig find, die Ärzte zu verstehen. Auch sämtliche in Japan erscheinenden medizinischen und tierärztlichen Zeitschriften sind in deutscher Sprache abgefaßt. Sie werden aber in Tokio selbst gesetzt und gedruckt, und zwar recht gut. Auch die Rechtswissenschaft, die bisher namentlich von französischem Geiste beseelt war, stellt sich immer mehr auf deutschen Boden. Es giebt in der juristischen Fakultät noch drei Rechtsabteilungen, eine englische, eine französische und eine deutsche. Der junge Student entscheidet sich bei seinem Eintritte für eine dieser drei Abteilungen. Es kommt dies daher, daß es bisher auf den Gymnasien in das Belieben der Schüler gestellt war, welche der neuern Sprachen sie lernen wollten. Darin scheint aber eine Bestimmung, die der Minister des Unterrichtswesens Ende des vorigen Jahres erlassen hat, Wandel schaffen zu sollen, denn er hat verfügt, daß alle Abiturienten der Regierungsgymnasien, die in die medizinische, in die historisch-philosophische oder in die juristische Fakultät eintreten wollen, die deutsche Sprache beherrschen müssen. Durch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/352>, abgerufen am 23.07.2024.