Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Im vorstehenden ist die rechtliche Seite der Beziehungen zwischen Arzt und
Kranken mit einer Geflissentlichkeit betont worden, die vielleicht geeignet ist,
jn ärztlichen Kreisen unangenehm zu berühren. Die Notwendigkeit hierzu
würde aber nicht vorliegen, wenn die Stellung, die der ärztliche Stand im
bürgerlichen Leben - einniyunt.' eine andre wäre und die Gewähr böte, daß die
Zuverlässigkeit seiner einzelnen Mitglieder möglichst gesichert wäre. Daß dies
nicht der Fall ist, beweist ein Vorkommnis, das zum Spott reizen würde,
wenn man es nicht beklagen müßte: der Ausschuß der preußischen Ärztekammer
hat im Oktober v. I. beschlossen, das Ministerium um den Erlaß einer Vor¬
schrift zu ersuchen, durch die geisteskranken Ärzten die fernere Ausübung ihres
Berufs untersagt werden könnte. , ^

Es ist bekannt geworden, daß die unmittelbare Veranlassung zu diesem
Beschluß in der Person eines Charlottenburger Arztes liegt, der unter dem
Aufgebot mehrerer medizinischen Sachverständigen schließlich auf Grund eines
(in Abschrift) 842 Seiten langen Gutachtens für blödsinnig erklärt worden ist,
nachdem er zuerst einen Kollegen und dann eine Anzahl Behörden und Beamte
beleidigt hatte. Hier muß dahingestellt bleiben, ob es nicht richtiger gewesen
wäre, sich einem Manne gegenüber, der der Gemeingefährlichkeit nicht ver¬
dächtig ist, keine Ursache zur Unterbringung in einem Irrenhause gegeben hat
Und seiner ärztlichen Beschäftigung in der That auch jetzt noch nachgeht, diese
Mühe überhaupt zu ersparen und den Beweis seiner Geisteskrankheit als nicht
geliefert anzusehen; denn einerseits drängt sich doch das Bedenken auf, daß
der Mann und seine Familie in ihrem Unterhalte beeinträchtigt werden könnten,
andrerseits verdient der allgemeine Geschäftsverkehr -- und diese Erwägung
ist angesichts der vielen auffälligen Entmündigungen der letzten Jahre noch
lange nicht genug betont worden! -- die Rücksicht, daß die Jrrsinnserklürung
nur bei einer jedermann erkennbaren inoiipiroit/ lor tbs röllrtions ok Ms, wie
es Mandsley nennt, ausgesprochen und dem Laien nicht zugemutet wird, sich,
wenn er vor den Einbuße" bewahrt bleiben will, die die mit einem Handlungs¬
unfähigen abgeschlossenen Geschäfte nach sich ziehen, mit allen Spitzfindigkeiten
vertraut zu machen, die der Psychiatrie möglich sind.

Jedenfalls wird jeder verständige Mensch dem Wunsche der Vertretung
der preußischen Ärztekammern Beifall zollen und noch weitergehen, weil die
verlangte Bestimmung nur das vorstelle" würde, was der Mediziner als eine
symptomatische Kur bezeichnet. Will der Ärztestaud als solcher Würde und
öffentliches Ansehen genießen, so muß er auch durchzusetzen suchen, daß solchen
Persönlichkeiten die Zugehörigkeit entzogen wird, die strafbarer Handlungen
für schuldig befunden werden, in Konkurs geraten sind oder ihre Berufs¬
thätigkeit in einer Weise versehen haben, vermöge deren sie die allgemeine
Achtung verloren haben. Nach der Kriminalstatistik sind im Jahre 1890 auf
je tausend deutsche Ärzte etwa 4,7 zum Teil wegen schwerer Verbrechen der-


Im vorstehenden ist die rechtliche Seite der Beziehungen zwischen Arzt und
Kranken mit einer Geflissentlichkeit betont worden, die vielleicht geeignet ist,
jn ärztlichen Kreisen unangenehm zu berühren. Die Notwendigkeit hierzu
würde aber nicht vorliegen, wenn die Stellung, die der ärztliche Stand im
bürgerlichen Leben - einniyunt.' eine andre wäre und die Gewähr böte, daß die
Zuverlässigkeit seiner einzelnen Mitglieder möglichst gesichert wäre. Daß dies
nicht der Fall ist, beweist ein Vorkommnis, das zum Spott reizen würde,
wenn man es nicht beklagen müßte: der Ausschuß der preußischen Ärztekammer
hat im Oktober v. I. beschlossen, das Ministerium um den Erlaß einer Vor¬
schrift zu ersuchen, durch die geisteskranken Ärzten die fernere Ausübung ihres
Berufs untersagt werden könnte. , ^

Es ist bekannt geworden, daß die unmittelbare Veranlassung zu diesem
Beschluß in der Person eines Charlottenburger Arztes liegt, der unter dem
Aufgebot mehrerer medizinischen Sachverständigen schließlich auf Grund eines
(in Abschrift) 842 Seiten langen Gutachtens für blödsinnig erklärt worden ist,
nachdem er zuerst einen Kollegen und dann eine Anzahl Behörden und Beamte
beleidigt hatte. Hier muß dahingestellt bleiben, ob es nicht richtiger gewesen
wäre, sich einem Manne gegenüber, der der Gemeingefährlichkeit nicht ver¬
dächtig ist, keine Ursache zur Unterbringung in einem Irrenhause gegeben hat
Und seiner ärztlichen Beschäftigung in der That auch jetzt noch nachgeht, diese
Mühe überhaupt zu ersparen und den Beweis seiner Geisteskrankheit als nicht
geliefert anzusehen; denn einerseits drängt sich doch das Bedenken auf, daß
der Mann und seine Familie in ihrem Unterhalte beeinträchtigt werden könnten,
andrerseits verdient der allgemeine Geschäftsverkehr — und diese Erwägung
ist angesichts der vielen auffälligen Entmündigungen der letzten Jahre noch
lange nicht genug betont worden! — die Rücksicht, daß die Jrrsinnserklürung
nur bei einer jedermann erkennbaren inoiipiroit/ lor tbs röllrtions ok Ms, wie
es Mandsley nennt, ausgesprochen und dem Laien nicht zugemutet wird, sich,
wenn er vor den Einbuße« bewahrt bleiben will, die die mit einem Handlungs¬
unfähigen abgeschlossenen Geschäfte nach sich ziehen, mit allen Spitzfindigkeiten
vertraut zu machen, die der Psychiatrie möglich sind.

Jedenfalls wird jeder verständige Mensch dem Wunsche der Vertretung
der preußischen Ärztekammern Beifall zollen und noch weitergehen, weil die
verlangte Bestimmung nur das vorstelle« würde, was der Mediziner als eine
symptomatische Kur bezeichnet. Will der Ärztestaud als solcher Würde und
öffentliches Ansehen genießen, so muß er auch durchzusetzen suchen, daß solchen
Persönlichkeiten die Zugehörigkeit entzogen wird, die strafbarer Handlungen
für schuldig befunden werden, in Konkurs geraten sind oder ihre Berufs¬
thätigkeit in einer Weise versehen haben, vermöge deren sie die allgemeine
Achtung verloren haben. Nach der Kriminalstatistik sind im Jahre 1890 auf
je tausend deutsche Ärzte etwa 4,7 zum Teil wegen schwerer Verbrechen der-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219278"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_795"> Im vorstehenden ist die rechtliche Seite der Beziehungen zwischen Arzt und<lb/>
Kranken mit einer Geflissentlichkeit betont worden, die vielleicht geeignet ist,<lb/>
jn ärztlichen Kreisen unangenehm zu berühren. Die Notwendigkeit hierzu<lb/>
würde aber nicht vorliegen, wenn die Stellung, die der ärztliche Stand im<lb/>
bürgerlichen Leben - einniyunt.' eine andre wäre und die Gewähr böte, daß die<lb/>
Zuverlässigkeit seiner einzelnen Mitglieder möglichst gesichert wäre. Daß dies<lb/>
nicht der Fall ist, beweist ein Vorkommnis, das zum Spott reizen würde,<lb/>
wenn man es nicht beklagen müßte: der Ausschuß der preußischen Ärztekammer<lb/>
hat im Oktober v. I. beschlossen, das Ministerium um den Erlaß einer Vor¬<lb/>
schrift zu ersuchen, durch die geisteskranken Ärzten die fernere Ausübung ihres<lb/>
Berufs untersagt werden könnte. , ^</p><lb/>
          <p xml:id="ID_796"> Es ist bekannt geworden, daß die unmittelbare Veranlassung zu diesem<lb/>
Beschluß in der Person eines Charlottenburger Arztes liegt, der unter dem<lb/>
Aufgebot mehrerer medizinischen Sachverständigen schließlich auf Grund eines<lb/>
(in Abschrift) 842 Seiten langen Gutachtens für blödsinnig erklärt worden ist,<lb/>
nachdem er zuerst einen Kollegen und dann eine Anzahl Behörden und Beamte<lb/>
beleidigt hatte. Hier muß dahingestellt bleiben, ob es nicht richtiger gewesen<lb/>
wäre, sich einem Manne gegenüber, der der Gemeingefährlichkeit nicht ver¬<lb/>
dächtig ist, keine Ursache zur Unterbringung in einem Irrenhause gegeben hat<lb/>
Und seiner ärztlichen Beschäftigung in der That auch jetzt noch nachgeht, diese<lb/>
Mühe überhaupt zu ersparen und den Beweis seiner Geisteskrankheit als nicht<lb/>
geliefert anzusehen; denn einerseits drängt sich doch das Bedenken auf, daß<lb/>
der Mann und seine Familie in ihrem Unterhalte beeinträchtigt werden könnten,<lb/>
andrerseits verdient der allgemeine Geschäftsverkehr &#x2014; und diese Erwägung<lb/>
ist angesichts der vielen auffälligen Entmündigungen der letzten Jahre noch<lb/>
lange nicht genug betont worden! &#x2014; die Rücksicht, daß die Jrrsinnserklürung<lb/>
nur bei einer jedermann erkennbaren inoiipiroit/ lor tbs röllrtions ok Ms, wie<lb/>
es Mandsley nennt, ausgesprochen und dem Laien nicht zugemutet wird, sich,<lb/>
wenn er vor den Einbuße« bewahrt bleiben will, die die mit einem Handlungs¬<lb/>
unfähigen abgeschlossenen Geschäfte nach sich ziehen, mit allen Spitzfindigkeiten<lb/>
vertraut zu machen, die der Psychiatrie möglich sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_797" next="#ID_798"> Jedenfalls wird jeder verständige Mensch dem Wunsche der Vertretung<lb/>
der preußischen Ärztekammern Beifall zollen und noch weitergehen, weil die<lb/>
verlangte Bestimmung nur das vorstelle« würde, was der Mediziner als eine<lb/>
symptomatische Kur bezeichnet. Will der Ärztestaud als solcher Würde und<lb/>
öffentliches Ansehen genießen, so muß er auch durchzusetzen suchen, daß solchen<lb/>
Persönlichkeiten die Zugehörigkeit entzogen wird, die strafbarer Handlungen<lb/>
für schuldig befunden werden, in Konkurs geraten sind oder ihre Berufs¬<lb/>
thätigkeit in einer Weise versehen haben, vermöge deren sie die allgemeine<lb/>
Achtung verloren haben. Nach der Kriminalstatistik sind im Jahre 1890 auf<lb/>
je tausend deutsche Ärzte etwa 4,7 zum Teil wegen schwerer Verbrechen der-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Im vorstehenden ist die rechtliche Seite der Beziehungen zwischen Arzt und Kranken mit einer Geflissentlichkeit betont worden, die vielleicht geeignet ist, jn ärztlichen Kreisen unangenehm zu berühren. Die Notwendigkeit hierzu würde aber nicht vorliegen, wenn die Stellung, die der ärztliche Stand im bürgerlichen Leben - einniyunt.' eine andre wäre und die Gewähr böte, daß die Zuverlässigkeit seiner einzelnen Mitglieder möglichst gesichert wäre. Daß dies nicht der Fall ist, beweist ein Vorkommnis, das zum Spott reizen würde, wenn man es nicht beklagen müßte: der Ausschuß der preußischen Ärztekammer hat im Oktober v. I. beschlossen, das Ministerium um den Erlaß einer Vor¬ schrift zu ersuchen, durch die geisteskranken Ärzten die fernere Ausübung ihres Berufs untersagt werden könnte. , ^ Es ist bekannt geworden, daß die unmittelbare Veranlassung zu diesem Beschluß in der Person eines Charlottenburger Arztes liegt, der unter dem Aufgebot mehrerer medizinischen Sachverständigen schließlich auf Grund eines (in Abschrift) 842 Seiten langen Gutachtens für blödsinnig erklärt worden ist, nachdem er zuerst einen Kollegen und dann eine Anzahl Behörden und Beamte beleidigt hatte. Hier muß dahingestellt bleiben, ob es nicht richtiger gewesen wäre, sich einem Manne gegenüber, der der Gemeingefährlichkeit nicht ver¬ dächtig ist, keine Ursache zur Unterbringung in einem Irrenhause gegeben hat Und seiner ärztlichen Beschäftigung in der That auch jetzt noch nachgeht, diese Mühe überhaupt zu ersparen und den Beweis seiner Geisteskrankheit als nicht geliefert anzusehen; denn einerseits drängt sich doch das Bedenken auf, daß der Mann und seine Familie in ihrem Unterhalte beeinträchtigt werden könnten, andrerseits verdient der allgemeine Geschäftsverkehr — und diese Erwägung ist angesichts der vielen auffälligen Entmündigungen der letzten Jahre noch lange nicht genug betont worden! — die Rücksicht, daß die Jrrsinnserklürung nur bei einer jedermann erkennbaren inoiipiroit/ lor tbs röllrtions ok Ms, wie es Mandsley nennt, ausgesprochen und dem Laien nicht zugemutet wird, sich, wenn er vor den Einbuße« bewahrt bleiben will, die die mit einem Handlungs¬ unfähigen abgeschlossenen Geschäfte nach sich ziehen, mit allen Spitzfindigkeiten vertraut zu machen, die der Psychiatrie möglich sind. Jedenfalls wird jeder verständige Mensch dem Wunsche der Vertretung der preußischen Ärztekammern Beifall zollen und noch weitergehen, weil die verlangte Bestimmung nur das vorstelle« würde, was der Mediziner als eine symptomatische Kur bezeichnet. Will der Ärztestaud als solcher Würde und öffentliches Ansehen genießen, so muß er auch durchzusetzen suchen, daß solchen Persönlichkeiten die Zugehörigkeit entzogen wird, die strafbarer Handlungen für schuldig befunden werden, in Konkurs geraten sind oder ihre Berufs¬ thätigkeit in einer Weise versehen haben, vermöge deren sie die allgemeine Achtung verloren haben. Nach der Kriminalstatistik sind im Jahre 1890 auf je tausend deutsche Ärzte etwa 4,7 zum Teil wegen schwerer Verbrechen der-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/276>, abgerufen am 25.06.2024.