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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Fräulein Anna von Mechtshausen die jüngere in den ihr eingeräumten Zimmern,
von denen ans man eine lachende Ebne und den dämmernden Wald übersah,
die Gegensätze weniger Monate bedachte, wandelte in festlichem Gewände der
Pastor Klages daher, der junge Geistliche, der die hohe Schule der Dankbarkeit
und christlich-vornehmen Lebensauffassung beziehen sollte und wollte. Pastor
Klages war aus der Residenz gebürtig und verdankte sein Dasein einem
städtischen Exekutivbeamten, der trotz seiner untadelhaft liberalen Gesinnung
seinen Sohn geistlich werden zu sehen den Wunsch hatte. Während früher
die gelehrten Stunde das Pfarrhaus als ihren Jungbrunnen betrachten durften
und sich dadurch dankbar zeigten, daß sie nicht die schlechtesten Vertreter wieder
dem Pfarramt zurückgaben, und während früher meist aus dem Stande der
bessern Bauern, die jetzt mit Übergehuug aller Zwischenstufen ihre Söhne
gleich der höhern Beamtenlaufbahn zuzuführen trachten, dem geistlichen Berufe
stets ein frisches Element beigemischt wurde, des mit Wurzelechtheit aufmachsend
gesellschaftsverjüngend wirkte, so gab Pastor Klages ein Beispiel der neuern
Tage, wo die bürgerliche Unterschicht, wenn sie die Einkünfte und Aussichten
der Berufsarten abwägt, das einträgliche Pfarramt nicht so veraltet findet
wie Dogma, Abendmahl und Seelsorge.

Pastor Klages war übrigens ein liebenswürdiger Mensch. Ans dein Gym¬
nasium hatte er schnell die Stimmungen eines "Stolzes der Familie" ver¬
bergen und sich auch abzugewöhnen gelernt, und auf der Universität war er ein
umgänglicher Genosse geblieben. Ja er hatte sogar, philologischen Neigungen
nachgebend, ohne durch den üblichen Studiengang dazu angehalten zu werden,
mit Vorliebe Archäologie der Kunst und ähnliche Fächer getrieben. Auch dem
Wingolf war er trotz aller Verlockungen nicht beigetreten, sondern er hatte mit
Lust und Jugendfrische einer sangesfreudigen Genossenschaft angehört. Er war
wirklich ein liebenswürdiger Mensch, bei dem nnr keine Hoffnung war, daß er
je den geistlichen Philisterpelz ausziehen werde, und der sich stets wunderte,
daß dieser naß wurde, wenn er gewaschen wurde. Niemals ganz auf¬
richtig sein zu können ist schrecklich, und ans diesem, selbst dem gewiegtesten
Kenner nicht entwirrbaren Gewebe von Zweifel und innerer Zustimmung ein
Leben aufzubauen, einschläfernd oder tötlich. Glückselig der Mann, der von
seiner Gesinnung nicht zu leben braucht, aber in ihr lebt!

Einstweilen lebte Pastor Klages noch in der Schwebe zwischen Ritschl
und Konsistorium, und augenblicklich war er ans dem Wege nach Marienzellc,
um sich seinen vornehmen Gönnerinnen vorzustellen und mit einer Anzahl von
ihnen zu essen, ohne das Messer durch den Mund zu ziehe". Denn diese Un¬
sitte, dem Löffel durch das Messer seine Gebrauchsrechte zu verkürzen, hatte
er während einer kurzen Hanslehrerzeit in einem adlichen Hause, die ihm auch
seine jetzige Pfründe eingetragen hatte, abgelegt, und er konnte bereits die köst¬
lichsten Vratensaueeu und andre Saucen, wenn der Gebrauch des Löffels nicht


Grenzte" I 1895 29

Fräulein Anna von Mechtshausen die jüngere in den ihr eingeräumten Zimmern,
von denen ans man eine lachende Ebne und den dämmernden Wald übersah,
die Gegensätze weniger Monate bedachte, wandelte in festlichem Gewände der
Pastor Klages daher, der junge Geistliche, der die hohe Schule der Dankbarkeit
und christlich-vornehmen Lebensauffassung beziehen sollte und wollte. Pastor
Klages war aus der Residenz gebürtig und verdankte sein Dasein einem
städtischen Exekutivbeamten, der trotz seiner untadelhaft liberalen Gesinnung
seinen Sohn geistlich werden zu sehen den Wunsch hatte. Während früher
die gelehrten Stunde das Pfarrhaus als ihren Jungbrunnen betrachten durften
und sich dadurch dankbar zeigten, daß sie nicht die schlechtesten Vertreter wieder
dem Pfarramt zurückgaben, und während früher meist aus dem Stande der
bessern Bauern, die jetzt mit Übergehuug aller Zwischenstufen ihre Söhne
gleich der höhern Beamtenlaufbahn zuzuführen trachten, dem geistlichen Berufe
stets ein frisches Element beigemischt wurde, des mit Wurzelechtheit aufmachsend
gesellschaftsverjüngend wirkte, so gab Pastor Klages ein Beispiel der neuern
Tage, wo die bürgerliche Unterschicht, wenn sie die Einkünfte und Aussichten
der Berufsarten abwägt, das einträgliche Pfarramt nicht so veraltet findet
wie Dogma, Abendmahl und Seelsorge.

Pastor Klages war übrigens ein liebenswürdiger Mensch. Ans dein Gym¬
nasium hatte er schnell die Stimmungen eines „Stolzes der Familie" ver¬
bergen und sich auch abzugewöhnen gelernt, und auf der Universität war er ein
umgänglicher Genosse geblieben. Ja er hatte sogar, philologischen Neigungen
nachgebend, ohne durch den üblichen Studiengang dazu angehalten zu werden,
mit Vorliebe Archäologie der Kunst und ähnliche Fächer getrieben. Auch dem
Wingolf war er trotz aller Verlockungen nicht beigetreten, sondern er hatte mit
Lust und Jugendfrische einer sangesfreudigen Genossenschaft angehört. Er war
wirklich ein liebenswürdiger Mensch, bei dem nnr keine Hoffnung war, daß er
je den geistlichen Philisterpelz ausziehen werde, und der sich stets wunderte,
daß dieser naß wurde, wenn er gewaschen wurde. Niemals ganz auf¬
richtig sein zu können ist schrecklich, und ans diesem, selbst dem gewiegtesten
Kenner nicht entwirrbaren Gewebe von Zweifel und innerer Zustimmung ein
Leben aufzubauen, einschläfernd oder tötlich. Glückselig der Mann, der von
seiner Gesinnung nicht zu leben braucht, aber in ihr lebt!

Einstweilen lebte Pastor Klages noch in der Schwebe zwischen Ritschl
und Konsistorium, und augenblicklich war er ans dem Wege nach Marienzellc,
um sich seinen vornehmen Gönnerinnen vorzustellen und mit einer Anzahl von
ihnen zu essen, ohne das Messer durch den Mund zu ziehe». Denn diese Un¬
sitte, dem Löffel durch das Messer seine Gebrauchsrechte zu verkürzen, hatte
er während einer kurzen Hanslehrerzeit in einem adlichen Hause, die ihm auch
seine jetzige Pfründe eingetragen hatte, abgelegt, und er konnte bereits die köst¬
lichsten Vratensaueeu und andre Saucen, wenn der Gebrauch des Löffels nicht


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[0233] Fräulein Anna von Mechtshausen die jüngere in den ihr eingeräumten Zimmern, von denen ans man eine lachende Ebne und den dämmernden Wald übersah, die Gegensätze weniger Monate bedachte, wandelte in festlichem Gewände der Pastor Klages daher, der junge Geistliche, der die hohe Schule der Dankbarkeit und christlich-vornehmen Lebensauffassung beziehen sollte und wollte. Pastor Klages war aus der Residenz gebürtig und verdankte sein Dasein einem städtischen Exekutivbeamten, der trotz seiner untadelhaft liberalen Gesinnung seinen Sohn geistlich werden zu sehen den Wunsch hatte. Während früher die gelehrten Stunde das Pfarrhaus als ihren Jungbrunnen betrachten durften und sich dadurch dankbar zeigten, daß sie nicht die schlechtesten Vertreter wieder dem Pfarramt zurückgaben, und während früher meist aus dem Stande der bessern Bauern, die jetzt mit Übergehuug aller Zwischenstufen ihre Söhne gleich der höhern Beamtenlaufbahn zuzuführen trachten, dem geistlichen Berufe stets ein frisches Element beigemischt wurde, des mit Wurzelechtheit aufmachsend gesellschaftsverjüngend wirkte, so gab Pastor Klages ein Beispiel der neuern Tage, wo die bürgerliche Unterschicht, wenn sie die Einkünfte und Aussichten der Berufsarten abwägt, das einträgliche Pfarramt nicht so veraltet findet wie Dogma, Abendmahl und Seelsorge. Pastor Klages war übrigens ein liebenswürdiger Mensch. Ans dein Gym¬ nasium hatte er schnell die Stimmungen eines „Stolzes der Familie" ver¬ bergen und sich auch abzugewöhnen gelernt, und auf der Universität war er ein umgänglicher Genosse geblieben. Ja er hatte sogar, philologischen Neigungen nachgebend, ohne durch den üblichen Studiengang dazu angehalten zu werden, mit Vorliebe Archäologie der Kunst und ähnliche Fächer getrieben. Auch dem Wingolf war er trotz aller Verlockungen nicht beigetreten, sondern er hatte mit Lust und Jugendfrische einer sangesfreudigen Genossenschaft angehört. Er war wirklich ein liebenswürdiger Mensch, bei dem nnr keine Hoffnung war, daß er je den geistlichen Philisterpelz ausziehen werde, und der sich stets wunderte, daß dieser naß wurde, wenn er gewaschen wurde. Niemals ganz auf¬ richtig sein zu können ist schrecklich, und ans diesem, selbst dem gewiegtesten Kenner nicht entwirrbaren Gewebe von Zweifel und innerer Zustimmung ein Leben aufzubauen, einschläfernd oder tötlich. Glückselig der Mann, der von seiner Gesinnung nicht zu leben braucht, aber in ihr lebt! Einstweilen lebte Pastor Klages noch in der Schwebe zwischen Ritschl und Konsistorium, und augenblicklich war er ans dem Wege nach Marienzellc, um sich seinen vornehmen Gönnerinnen vorzustellen und mit einer Anzahl von ihnen zu essen, ohne das Messer durch den Mund zu ziehe». Denn diese Un¬ sitte, dem Löffel durch das Messer seine Gebrauchsrechte zu verkürzen, hatte er während einer kurzen Hanslehrerzeit in einem adlichen Hause, die ihm auch seine jetzige Pfründe eingetragen hatte, abgelegt, und er konnte bereits die köst¬ lichsten Vratensaueeu und andre Saucen, wenn der Gebrauch des Löffels nicht Grenzte» I 1895 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/233>, abgerufen am 23.07.2024.