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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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der seine Stellung bei vielen ähnlichen Gelegenheiten schon längst hatte be¬
greifen lernen, ja diesen Begriff eigentlich schon mit auf die Welt gebracht
hatte, da er der Sohn eines schon fast mythisch gewordnen Stiftsgärtners
war. Auch die Frau Äbtissin, ein Fräulein von Thiedeböhl, hatte ihr Er¬
scheinen zugesagt, wie noch zwei andre Damen des Stifts, von denen die eine
etwas auf sich halten durfte, weil sie für schöngeistig galt, die andre, weil sie
sehr kirchlich und streng war.

So war es ein Mittagessen zu acht Personen, den" auch die Nichte des
Fräulein von Mechtshansen, die sich schon einige Wochen bei ihrer Tante in
Maricnzelle aufhielt, konnte sich trotz ihrer Trauer von dem kleinen Kreise
nicht ausschließen, um so weniger, als die Veranstaltung rein geistlicher Art
war. Fräulein Anna von Mechtshansen die jüngere war die Tochter eines
vor einem halben Jahre verstorbnen Generals a. D., der diese seine einzige
Tochter in etwas verwickelten Verhältnissen zurückgelassen hatte, als er den
letzten blauen Brief bekam, mit dem auch Zivilisten überrascht werden, und
den keiner ignorire" kann. Nicht, daß die Verhältnisse zerrüttet gewesen wären,
nur etwas unübersehbar, da der General viele" Leuten gegen ungenügende
Sicherheiten, ein ehrliches Gesicht, eine glänzende Zukunft oder freimütige
Bekenntnisse Geld geliehen hatte, Künstler", Erfindern, auch jungen Kame¬
raden, die sich nun durchaus nicht weigerten, die Forderungen anzuerkennen,
aber doch nicht so schnell imstande waren, ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Auch ein großes Haus in der Residenz gehörte zu dem Nachlaß, das sich
schwer nach seinem wirklichen Werte verkaufen ließ, am wenigsten so Knall
und Fall. So sah sich die Tochter auf einmal einer Menge von Geschäften
gegenübergestellt, von denen sie früher keine Ahnung gehabt hatte, ja deren
Möglichkeit ihr früher kaum jemand hätte klar mache" könne". U"d anch jetzt
wurde es ihr noch schwer, alle diese Dinge, rin denen sie in Berührung kam,
zu begreifen, die Beweggründe und Lagen aller der Briefschreiber zu verstehen,
die sich mit der Bitte um Aufschub und Nachsicht an sie mandten. So hatte
sie schließlich alle ihre Sorgen einem jungen, begabten Rechtsanwalt aufgepackt,
der ihr vou einem alten Freunde ihres Vaters empföhle" worden war, und
war in die Einsamkeit von Marienzelle geflohen, wo sie sich mit dem neuen
Antlitz der Welt allmählich vertraut zu machen lernen wollte. Warum sollte
sie also auch an einem kleinern Mittagessen nicht teilnehmen, auf das sich ihre
gastfreie Tante so sehr freute, und das dieser verdorben worden wäre, wenn
sie sich davon ausgeschlossen hätte! Allmählich wieder mit Mensche" zusammen¬
zukommen, war notwendig und gut, zumal wenn der Anfang gemacht wurde
mit geistlichen Herren, die gewohnt sind, die Dinge dieser Welt im Lichte der
Ewigkeit anzuschauen.

Während nun die Köchinnen am Werke waren, Fräulein Anna von Mechts¬
hansen die ältere trippelnd in den schönen Räume" nach dem Rechten sah,


der seine Stellung bei vielen ähnlichen Gelegenheiten schon längst hatte be¬
greifen lernen, ja diesen Begriff eigentlich schon mit auf die Welt gebracht
hatte, da er der Sohn eines schon fast mythisch gewordnen Stiftsgärtners
war. Auch die Frau Äbtissin, ein Fräulein von Thiedeböhl, hatte ihr Er¬
scheinen zugesagt, wie noch zwei andre Damen des Stifts, von denen die eine
etwas auf sich halten durfte, weil sie für schöngeistig galt, die andre, weil sie
sehr kirchlich und streng war.

So war es ein Mittagessen zu acht Personen, den» auch die Nichte des
Fräulein von Mechtshansen, die sich schon einige Wochen bei ihrer Tante in
Maricnzelle aufhielt, konnte sich trotz ihrer Trauer von dem kleinen Kreise
nicht ausschließen, um so weniger, als die Veranstaltung rein geistlicher Art
war. Fräulein Anna von Mechtshansen die jüngere war die Tochter eines
vor einem halben Jahre verstorbnen Generals a. D., der diese seine einzige
Tochter in etwas verwickelten Verhältnissen zurückgelassen hatte, als er den
letzten blauen Brief bekam, mit dem auch Zivilisten überrascht werden, und
den keiner ignorire» kann. Nicht, daß die Verhältnisse zerrüttet gewesen wären,
nur etwas unübersehbar, da der General viele» Leuten gegen ungenügende
Sicherheiten, ein ehrliches Gesicht, eine glänzende Zukunft oder freimütige
Bekenntnisse Geld geliehen hatte, Künstler», Erfindern, auch jungen Kame¬
raden, die sich nun durchaus nicht weigerten, die Forderungen anzuerkennen,
aber doch nicht so schnell imstande waren, ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Auch ein großes Haus in der Residenz gehörte zu dem Nachlaß, das sich
schwer nach seinem wirklichen Werte verkaufen ließ, am wenigsten so Knall
und Fall. So sah sich die Tochter auf einmal einer Menge von Geschäften
gegenübergestellt, von denen sie früher keine Ahnung gehabt hatte, ja deren
Möglichkeit ihr früher kaum jemand hätte klar mache» könne». U»d anch jetzt
wurde es ihr noch schwer, alle diese Dinge, rin denen sie in Berührung kam,
zu begreifen, die Beweggründe und Lagen aller der Briefschreiber zu verstehen,
die sich mit der Bitte um Aufschub und Nachsicht an sie mandten. So hatte
sie schließlich alle ihre Sorgen einem jungen, begabten Rechtsanwalt aufgepackt,
der ihr vou einem alten Freunde ihres Vaters empföhle» worden war, und
war in die Einsamkeit von Marienzelle geflohen, wo sie sich mit dem neuen
Antlitz der Welt allmählich vertraut zu machen lernen wollte. Warum sollte
sie also auch an einem kleinern Mittagessen nicht teilnehmen, auf das sich ihre
gastfreie Tante so sehr freute, und das dieser verdorben worden wäre, wenn
sie sich davon ausgeschlossen hätte! Allmählich wieder mit Mensche» zusammen¬
zukommen, war notwendig und gut, zumal wenn der Anfang gemacht wurde
mit geistlichen Herren, die gewohnt sind, die Dinge dieser Welt im Lichte der
Ewigkeit anzuschauen.

Während nun die Köchinnen am Werke waren, Fräulein Anna von Mechts¬
hansen die ältere trippelnd in den schönen Räume» nach dem Rechten sah,


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[0232] der seine Stellung bei vielen ähnlichen Gelegenheiten schon längst hatte be¬ greifen lernen, ja diesen Begriff eigentlich schon mit auf die Welt gebracht hatte, da er der Sohn eines schon fast mythisch gewordnen Stiftsgärtners war. Auch die Frau Äbtissin, ein Fräulein von Thiedeböhl, hatte ihr Er¬ scheinen zugesagt, wie noch zwei andre Damen des Stifts, von denen die eine etwas auf sich halten durfte, weil sie für schöngeistig galt, die andre, weil sie sehr kirchlich und streng war. So war es ein Mittagessen zu acht Personen, den» auch die Nichte des Fräulein von Mechtshansen, die sich schon einige Wochen bei ihrer Tante in Maricnzelle aufhielt, konnte sich trotz ihrer Trauer von dem kleinen Kreise nicht ausschließen, um so weniger, als die Veranstaltung rein geistlicher Art war. Fräulein Anna von Mechtshansen die jüngere war die Tochter eines vor einem halben Jahre verstorbnen Generals a. D., der diese seine einzige Tochter in etwas verwickelten Verhältnissen zurückgelassen hatte, als er den letzten blauen Brief bekam, mit dem auch Zivilisten überrascht werden, und den keiner ignorire» kann. Nicht, daß die Verhältnisse zerrüttet gewesen wären, nur etwas unübersehbar, da der General viele» Leuten gegen ungenügende Sicherheiten, ein ehrliches Gesicht, eine glänzende Zukunft oder freimütige Bekenntnisse Geld geliehen hatte, Künstler», Erfindern, auch jungen Kame¬ raden, die sich nun durchaus nicht weigerten, die Forderungen anzuerkennen, aber doch nicht so schnell imstande waren, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Auch ein großes Haus in der Residenz gehörte zu dem Nachlaß, das sich schwer nach seinem wirklichen Werte verkaufen ließ, am wenigsten so Knall und Fall. So sah sich die Tochter auf einmal einer Menge von Geschäften gegenübergestellt, von denen sie früher keine Ahnung gehabt hatte, ja deren Möglichkeit ihr früher kaum jemand hätte klar mache» könne». U»d anch jetzt wurde es ihr noch schwer, alle diese Dinge, rin denen sie in Berührung kam, zu begreifen, die Beweggründe und Lagen aller der Briefschreiber zu verstehen, die sich mit der Bitte um Aufschub und Nachsicht an sie mandten. So hatte sie schließlich alle ihre Sorgen einem jungen, begabten Rechtsanwalt aufgepackt, der ihr vou einem alten Freunde ihres Vaters empföhle» worden war, und war in die Einsamkeit von Marienzelle geflohen, wo sie sich mit dem neuen Antlitz der Welt allmählich vertraut zu machen lernen wollte. Warum sollte sie also auch an einem kleinern Mittagessen nicht teilnehmen, auf das sich ihre gastfreie Tante so sehr freute, und das dieser verdorben worden wäre, wenn sie sich davon ausgeschlossen hätte! Allmählich wieder mit Mensche» zusammen¬ zukommen, war notwendig und gut, zumal wenn der Anfang gemacht wurde mit geistlichen Herren, die gewohnt sind, die Dinge dieser Welt im Lichte der Ewigkeit anzuschauen. Während nun die Köchinnen am Werke waren, Fräulein Anna von Mechts¬ hansen die ältere trippelnd in den schönen Räume» nach dem Rechten sah,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/232>, abgerufen am 22.07.2024.