Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Neue Novellen allem in die Augen fällt, ist die unverminderte Gegenständlichkeit und Schil- Berliner Skizzen endlich nennt Heinrich Seidel einen kleinen Band Eine Seidel verwandte, nur mehr humoristisch angelegte, dabei aber sinnige Neue Novellen allem in die Augen fällt, ist die unverminderte Gegenständlichkeit und Schil- Berliner Skizzen endlich nennt Heinrich Seidel einen kleinen Band Eine Seidel verwandte, nur mehr humoristisch angelegte, dabei aber sinnige <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219232"/> <fw type="header" place="top"> Neue Novellen</fw><lb/> <p xml:id="ID_667" prev="#ID_666"> allem in die Augen fällt, ist die unverminderte Gegenständlichkeit und Schil-<lb/> derungskraft, ist die fast jugendliche Frische, mit der der Dichter ungewöhnlichen<lb/> Schicksalen und Gestalten gegenübersteht. Eben darum hätte er am wenigsten<lb/> nötig, in die Wege eiuer Wirklichkeitsdarstellnng einzulenken, die so widerwärtige<lb/> Verhältnisse wie die Gewissensehe der ostpreußischen Baronin mit ihrem Be¬<lb/> dienten, dem schönen Theodor, in der Novelle „Fcdja" schildert, Um des<lb/> „Neuen" willen thut es nicht not das alles steht noch viel deutlicher in<lb/> Rousseaus Bekenntnissen vom Ende seiner Paradiesestage in den „Charmettes."<lb/> Und der Dichter selbst beweist eben in den bessern Geschichten seiner neuesten<lb/> Sammlung, daß die gesundere und edlere Wirklichkeit für ihn noch Aufgaben<lb/> genug hat,</p><lb/> <p xml:id="ID_668"> Berliner Skizzen endlich nennt Heinrich Seidel einen kleinen Band<lb/> neuer Vorstadtgeschichten (Leipzig, A, G, Liebeskind, 1894), der zwar nicht<lb/> gleichwertige Gaben dieses liebenswürdigen und behaglichen Talents, aber<lb/> doch zwei Prachterzählnugeiu „Die alte Gouvernante" und „Die silberne Ver¬<lb/> lobung" und ein paar sehr anmutige Plaudereien enthält. Daß in der Ge¬<lb/> schichte von der silbernen Verlobung auch Leberecht Hühnchen wieder auftritt,<lb/> müssen wir dein Dichter und vor allem seinem Publikum zu gute halten, das<lb/> sich an dieser Lieblingsfignr Seidels nicht satt sehen zu können scheint. Gleich<lb/> diesem seinem Lieblingshelden hat Seidel „das Ange für jeden Lichtblick des<lb/> Daseins, die fröhliche Laune, die mitten im Staub, im Geräusch und stiin-<lb/> nmngslvsen Hasten der modernen Großstadt sich idhllische Plätze schafft und<lb/> diese Plätze mit behaglichen Menschen bevölkert, er hat die glückliche Hand,<lb/> die ein altes, längst bekanntes Motiv plötzlich in eine Beleuchtung rückt, in<lb/> der neue, ungekannte Seiten an ihm sichtbar werden," Die neuen Vorstadt-<lb/> geschichten verdienen daher ebenso teilnehmende Leser, wie sie die frühern längst<lb/> gefunden haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_669"> Eine Seidel verwandte, nur mehr humoristisch angelegte, dabei aber sinnige<lb/> Natur ist Johannes Trojan, von dem in einem der bekannten kleinen<lb/> Liebeskindschen Bändchen Das Wustrvwer Kor igSschießen und andre<lb/> Humoresken (Leipzig, A, G, Liebeskind) vorliegen. Diese hübschen Skizzen<lb/> stehen auf der Grenze zwischen der Novelle und dem modernen Planderfenilleton;<lb/> was sie zu künstlerischen Leistungen erhebt, ist ein durchaus individueller<lb/> Humor, hinter dein sinnvoller Ernst hervorblickt. „Der ruhige Mieter" und<lb/> namentlich „Das letzte Menschenpaar" sind glückliche Proben von Trojans<lb/> Eigentümlichkeit.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
Neue Novellen
allem in die Augen fällt, ist die unverminderte Gegenständlichkeit und Schil-
derungskraft, ist die fast jugendliche Frische, mit der der Dichter ungewöhnlichen
Schicksalen und Gestalten gegenübersteht. Eben darum hätte er am wenigsten
nötig, in die Wege eiuer Wirklichkeitsdarstellnng einzulenken, die so widerwärtige
Verhältnisse wie die Gewissensehe der ostpreußischen Baronin mit ihrem Be¬
dienten, dem schönen Theodor, in der Novelle „Fcdja" schildert, Um des
„Neuen" willen thut es nicht not das alles steht noch viel deutlicher in
Rousseaus Bekenntnissen vom Ende seiner Paradiesestage in den „Charmettes."
Und der Dichter selbst beweist eben in den bessern Geschichten seiner neuesten
Sammlung, daß die gesundere und edlere Wirklichkeit für ihn noch Aufgaben
genug hat,
Berliner Skizzen endlich nennt Heinrich Seidel einen kleinen Band
neuer Vorstadtgeschichten (Leipzig, A, G, Liebeskind, 1894), der zwar nicht
gleichwertige Gaben dieses liebenswürdigen und behaglichen Talents, aber
doch zwei Prachterzählnugeiu „Die alte Gouvernante" und „Die silberne Ver¬
lobung" und ein paar sehr anmutige Plaudereien enthält. Daß in der Ge¬
schichte von der silbernen Verlobung auch Leberecht Hühnchen wieder auftritt,
müssen wir dein Dichter und vor allem seinem Publikum zu gute halten, das
sich an dieser Lieblingsfignr Seidels nicht satt sehen zu können scheint. Gleich
diesem seinem Lieblingshelden hat Seidel „das Ange für jeden Lichtblick des
Daseins, die fröhliche Laune, die mitten im Staub, im Geräusch und stiin-
nmngslvsen Hasten der modernen Großstadt sich idhllische Plätze schafft und
diese Plätze mit behaglichen Menschen bevölkert, er hat die glückliche Hand,
die ein altes, längst bekanntes Motiv plötzlich in eine Beleuchtung rückt, in
der neue, ungekannte Seiten an ihm sichtbar werden," Die neuen Vorstadt-
geschichten verdienen daher ebenso teilnehmende Leser, wie sie die frühern längst
gefunden haben.
Eine Seidel verwandte, nur mehr humoristisch angelegte, dabei aber sinnige
Natur ist Johannes Trojan, von dem in einem der bekannten kleinen
Liebeskindschen Bändchen Das Wustrvwer Kor igSschießen und andre
Humoresken (Leipzig, A, G, Liebeskind) vorliegen. Diese hübschen Skizzen
stehen auf der Grenze zwischen der Novelle und dem modernen Planderfenilleton;
was sie zu künstlerischen Leistungen erhebt, ist ein durchaus individueller
Humor, hinter dein sinnvoller Ernst hervorblickt. „Der ruhige Mieter" und
namentlich „Das letzte Menschenpaar" sind glückliche Proben von Trojans
Eigentümlichkeit.
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