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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Neue Novellen

dessen zehren, was ich andern, den Nachbarn, gegönnt jhatte?j." Aber es
wird nachgerade Zeit, daß uns nicht bloß der Spott über diese Armseligkeit
hinweghilft, sondern daß wir wieder klar unterscheiden lernen und uns im
schlimmsten Falle mit kargern Gabe", die ans unserm eignen Boden gewachsen
sind, begnügen, anstatt nach dem internationalen Abhub zu verlangen.

Ein phantasievolles Talent zeigen die Geschichten ans drei Welten,
Novellen und Märchen von Julius R. Haarhaus (Leipzig, H. Haessel, 1894).
Der Dichter erhebt sich ebenso sehr durch die Frische wie durch die Stärke
seiner Phantasie aus dem Nahmen des durchschnittlich üblichen; er belebt
märchenhafte und, im nüchternen Lichte der Alltagswirklichkeit geprüft, unmög¬
liche Erfindungen, teils durch den Reiz höchst anmutiger realistischer Einzel-
"usführnng, teils durch die symbolische Bedeutung, die er ihnen giebt, und die
sie zwar nicht in Wirklichkeit verwandeln, aber doch zur poetischen Wahrheit
erheben können. Dies gilt namentlich von der prächtigen Altleipziger Märchen-
novclle "Der Gast des Thomastürmers," über der der echte Schimmer der
Rokokvperivde liegt, und vielleicht in noch höherm Grade von der Novelle
"Hieronymus Engels Seelenwandrung." Doch auch "Die Venus der Villa
Baldarniana," eine Florentiner Novellette, und "Der Emir von Palermo" und
die beiden orientalischen Märchen "Die Geschichte von Abdul-Kassia und dem
eisernen Knötchen" und "Die Prinzessin ohne Spiegel" sind Gebilde einer
liebenswürdigen Phantasie, wenn sie auch den beiden erstgenannten Erzählungen
nicht verglichen werden dürfen. Dein Namen Julius Hanrhans inertem wir
gern und mit guten und berechtigten Erwartungen wieder begegnen.

Ein drittes, aus eiuer lebendigen Phantasie stammendes Buch haben wir
in den Unmodernen Geschichten von Benno Nüttenauer vor uns
(Heidelberg, Georg Weiß Verlag, 1894). Die sehr hübsch angelegte Eingangs¬
geschichte "Der alte Tumichcm" (Thu mich an) kommt freilich nicht recht zur
Entfaltung und klaren Wirkung. Dafür sind dann die Novellen "Die Ur¬
ahne," "Der Teufel in der Christnacht," "Anna van Ophem" um so deut¬
licher und wirksamer, in allen giebt sich zur frischen Einbildungskraft ein
warmes Lebensgefühl und dazu ein leidenschaftlich schlagendes Herz kund, das
in Liebe und Haß gleich bewegt ist. Wie es hassen kann, lehrt die Episode
in dem besten Phantasiestück "Der Teufel in der Christnacht," wo sich in der
Episode von Paulus Schön, unter der durchsichtigen Hülle eines Stücks Kölner
Künstlergeschichte, eine bittere Satire auf einen Dichter der Gegenwart ein-
geschlichen hat. Aber gleichviel, in diesen Novellen pulsirt Leben und Eigen¬
tümlichkeit, die sich wohl auch noch zu andern und bedeutender" Gestalten erheben
werden. ,

Als Meistererzählnngen stellen sich die Novellen Zu Wasser und zu
Lande von Ilse Frapan dar (Berlin, Gebrüder Paetel. 1894). Die Ver¬
fasserin ist schon durch ihre "Hamburger Novellen" bestens in die Litteratur


Neue Novellen

dessen zehren, was ich andern, den Nachbarn, gegönnt jhatte?j." Aber es
wird nachgerade Zeit, daß uns nicht bloß der Spott über diese Armseligkeit
hinweghilft, sondern daß wir wieder klar unterscheiden lernen und uns im
schlimmsten Falle mit kargern Gabe», die ans unserm eignen Boden gewachsen
sind, begnügen, anstatt nach dem internationalen Abhub zu verlangen.

Ein phantasievolles Talent zeigen die Geschichten ans drei Welten,
Novellen und Märchen von Julius R. Haarhaus (Leipzig, H. Haessel, 1894).
Der Dichter erhebt sich ebenso sehr durch die Frische wie durch die Stärke
seiner Phantasie aus dem Nahmen des durchschnittlich üblichen; er belebt
märchenhafte und, im nüchternen Lichte der Alltagswirklichkeit geprüft, unmög¬
liche Erfindungen, teils durch den Reiz höchst anmutiger realistischer Einzel-
«usführnng, teils durch die symbolische Bedeutung, die er ihnen giebt, und die
sie zwar nicht in Wirklichkeit verwandeln, aber doch zur poetischen Wahrheit
erheben können. Dies gilt namentlich von der prächtigen Altleipziger Märchen-
novclle „Der Gast des Thomastürmers," über der der echte Schimmer der
Rokokvperivde liegt, und vielleicht in noch höherm Grade von der Novelle
„Hieronymus Engels Seelenwandrung." Doch auch „Die Venus der Villa
Baldarniana," eine Florentiner Novellette, und „Der Emir von Palermo" und
die beiden orientalischen Märchen „Die Geschichte von Abdul-Kassia und dem
eisernen Knötchen" und „Die Prinzessin ohne Spiegel" sind Gebilde einer
liebenswürdigen Phantasie, wenn sie auch den beiden erstgenannten Erzählungen
nicht verglichen werden dürfen. Dein Namen Julius Hanrhans inertem wir
gern und mit guten und berechtigten Erwartungen wieder begegnen.

Ein drittes, aus eiuer lebendigen Phantasie stammendes Buch haben wir
in den Unmodernen Geschichten von Benno Nüttenauer vor uns
(Heidelberg, Georg Weiß Verlag, 1894). Die sehr hübsch angelegte Eingangs¬
geschichte „Der alte Tumichcm" (Thu mich an) kommt freilich nicht recht zur
Entfaltung und klaren Wirkung. Dafür sind dann die Novellen „Die Ur¬
ahne," „Der Teufel in der Christnacht," „Anna van Ophem" um so deut¬
licher und wirksamer, in allen giebt sich zur frischen Einbildungskraft ein
warmes Lebensgefühl und dazu ein leidenschaftlich schlagendes Herz kund, das
in Liebe und Haß gleich bewegt ist. Wie es hassen kann, lehrt die Episode
in dem besten Phantasiestück „Der Teufel in der Christnacht," wo sich in der
Episode von Paulus Schön, unter der durchsichtigen Hülle eines Stücks Kölner
Künstlergeschichte, eine bittere Satire auf einen Dichter der Gegenwart ein-
geschlichen hat. Aber gleichviel, in diesen Novellen pulsirt Leben und Eigen¬
tümlichkeit, die sich wohl auch noch zu andern und bedeutender» Gestalten erheben
werden. ,

Als Meistererzählnngen stellen sich die Novellen Zu Wasser und zu
Lande von Ilse Frapan dar (Berlin, Gebrüder Paetel. 1894). Die Ver¬
fasserin ist schon durch ihre „Hamburger Novellen" bestens in die Litteratur


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[0227] Neue Novellen dessen zehren, was ich andern, den Nachbarn, gegönnt jhatte?j." Aber es wird nachgerade Zeit, daß uns nicht bloß der Spott über diese Armseligkeit hinweghilft, sondern daß wir wieder klar unterscheiden lernen und uns im schlimmsten Falle mit kargern Gabe», die ans unserm eignen Boden gewachsen sind, begnügen, anstatt nach dem internationalen Abhub zu verlangen. Ein phantasievolles Talent zeigen die Geschichten ans drei Welten, Novellen und Märchen von Julius R. Haarhaus (Leipzig, H. Haessel, 1894). Der Dichter erhebt sich ebenso sehr durch die Frische wie durch die Stärke seiner Phantasie aus dem Nahmen des durchschnittlich üblichen; er belebt märchenhafte und, im nüchternen Lichte der Alltagswirklichkeit geprüft, unmög¬ liche Erfindungen, teils durch den Reiz höchst anmutiger realistischer Einzel- «usführnng, teils durch die symbolische Bedeutung, die er ihnen giebt, und die sie zwar nicht in Wirklichkeit verwandeln, aber doch zur poetischen Wahrheit erheben können. Dies gilt namentlich von der prächtigen Altleipziger Märchen- novclle „Der Gast des Thomastürmers," über der der echte Schimmer der Rokokvperivde liegt, und vielleicht in noch höherm Grade von der Novelle „Hieronymus Engels Seelenwandrung." Doch auch „Die Venus der Villa Baldarniana," eine Florentiner Novellette, und „Der Emir von Palermo" und die beiden orientalischen Märchen „Die Geschichte von Abdul-Kassia und dem eisernen Knötchen" und „Die Prinzessin ohne Spiegel" sind Gebilde einer liebenswürdigen Phantasie, wenn sie auch den beiden erstgenannten Erzählungen nicht verglichen werden dürfen. Dein Namen Julius Hanrhans inertem wir gern und mit guten und berechtigten Erwartungen wieder begegnen. Ein drittes, aus eiuer lebendigen Phantasie stammendes Buch haben wir in den Unmodernen Geschichten von Benno Nüttenauer vor uns (Heidelberg, Georg Weiß Verlag, 1894). Die sehr hübsch angelegte Eingangs¬ geschichte „Der alte Tumichcm" (Thu mich an) kommt freilich nicht recht zur Entfaltung und klaren Wirkung. Dafür sind dann die Novellen „Die Ur¬ ahne," „Der Teufel in der Christnacht," „Anna van Ophem" um so deut¬ licher und wirksamer, in allen giebt sich zur frischen Einbildungskraft ein warmes Lebensgefühl und dazu ein leidenschaftlich schlagendes Herz kund, das in Liebe und Haß gleich bewegt ist. Wie es hassen kann, lehrt die Episode in dem besten Phantasiestück „Der Teufel in der Christnacht," wo sich in der Episode von Paulus Schön, unter der durchsichtigen Hülle eines Stücks Kölner Künstlergeschichte, eine bittere Satire auf einen Dichter der Gegenwart ein- geschlichen hat. Aber gleichviel, in diesen Novellen pulsirt Leben und Eigen¬ tümlichkeit, die sich wohl auch noch zu andern und bedeutender» Gestalten erheben werden. , Als Meistererzählnngen stellen sich die Novellen Zu Wasser und zu Lande von Ilse Frapan dar (Berlin, Gebrüder Paetel. 1894). Die Ver¬ fasserin ist schon durch ihre „Hamburger Novellen" bestens in die Litteratur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/227>, abgerufen am 23.07.2024.