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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

lischein Geld gebaute, in englischen Händen liegende, was nenerdings Juphrut
< lonrimmiLtiUon genannt wird, ist das erste Ziel dieser Politik. Dafür werde"
die Gefahren der ägyptischen Politik bereitwillig übernommen, dafür in Kanada
riesige Summen für Eisenbahnen und Häfen ausgegeben, dafür endlich in
Afrika miablässige Anstrengungen gemacht, um den Halt Portugals, Deutsch¬
lands, Frankreichs und Italiens an Ostafrika zu erschüttern. Der Zweck ist
immer, möglichst lange, durchgehende Linien englischen Besitzes oder Einflusses
durch Länder und Meere zu ziehen, zwischen denen die andern Mächte von
einander, vom Meere und andern Punkten der Macht und des Reichtums ab¬
geschnitten bleiben. Für Asien sind ähnliche Pläne im Werke. Mau sehe, wie
tief Indien in den West- und Osthimalaha gebohrt hat. Keine Frage, daß
beim erste" Nachlaß des Halts des chinesischen Reichs an seineu Naudprv-
vinzcn England, das seit der Eroberung von Birma am obern Jrawaddh
steht, von dort, von dein Anfangspunkte der Bergwege und Endpunkte der
Flußschifffahrt, Bhcnuo, durch Jünnan nach Kweitschvu und dem mittlern,
schiffbaren Jcmgtse vorzudringen suchen würde. Eine entsprechende Verbindung
des obern Judnsgebiets mit dein Karun und dem Schale-el-Arad hat der
Sieg der russischen Politik in Persien unmöglich gemacht, ebenso wie das
rasche Vorgehen der Franzose" das Nordringen quer durch Hinterindien im
Mekhonggebiet vereitelte und in den letzten Jahren das sichtliche Nvrwärts-
strebe" über Kaschmir und Kleintibet nach Ostturkestan durch die Wachsamkeit
Chinas und Rußlands lahmgelegt wurde. Hier war der Entwurf am kühnsten,
denn von Kaschgar und Jarkand führten die einzigen Wege vom Westen nach
China, dnrch das welthistorische Land der Eingänge südlich vom Thianschan.
Es wäre eine Umfassung Chinas im Rücken und zugleich die Errichtung einer
zweite" vorgeschobne" Stellung gegen Russisch-Asien gewesen. Die andre Bastion,
Afghanistan, fängt an ""sicher z" werden, wie vor sechzig Jahren Persie",
darum sollte beizeiten eine neue bezogen werde".

Wer beachtet diese Züge in Europa, außer den Russe"? Wir wunder"
uns höchstens, wen" "ach Jahren und Jahrzehnte" i" de" enormen Summen
des englische" Handels ihre klingenden Früchte erscheine". Man prüfe aber
die englische Politik auf dieses planmäßige Vorgehe" hin, und mau wird
überall ans seine Fäden stoßen. Der Handel, die Mission, die Humanität, das
Nationalitätsprinzip (Irland!) dienen ihm alle ganz gleich. Scheint nicht
England Rußland i" die Hände zu arbeiten mit seiner Unterstützung der Ar¬
menier, die außerdem in eiuer die Türkei brutalisireudeu Sprache vorgebracht
wird von Leute" wie Brhce und Gladstone, die die Politik von innen kennen?
England arbeitet für sich, denn die Lockerung der Autorität der Pforte in Klein¬
asien fördert seine Pläne, einen kürzern Überlandweg nach Indien durch Klein¬
asien zu legen.

Aus dem im Dezember 18ö4 veröffentlichten Blaubuch über die Koko-


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

lischein Geld gebaute, in englischen Händen liegende, was nenerdings Juphrut
< lonrimmiLtiUon genannt wird, ist das erste Ziel dieser Politik. Dafür werde»
die Gefahren der ägyptischen Politik bereitwillig übernommen, dafür in Kanada
riesige Summen für Eisenbahnen und Häfen ausgegeben, dafür endlich in
Afrika miablässige Anstrengungen gemacht, um den Halt Portugals, Deutsch¬
lands, Frankreichs und Italiens an Ostafrika zu erschüttern. Der Zweck ist
immer, möglichst lange, durchgehende Linien englischen Besitzes oder Einflusses
durch Länder und Meere zu ziehen, zwischen denen die andern Mächte von
einander, vom Meere und andern Punkten der Macht und des Reichtums ab¬
geschnitten bleiben. Für Asien sind ähnliche Pläne im Werke. Mau sehe, wie
tief Indien in den West- und Osthimalaha gebohrt hat. Keine Frage, daß
beim erste» Nachlaß des Halts des chinesischen Reichs an seineu Naudprv-
vinzcn England, das seit der Eroberung von Birma am obern Jrawaddh
steht, von dort, von dein Anfangspunkte der Bergwege und Endpunkte der
Flußschifffahrt, Bhcnuo, durch Jünnan nach Kweitschvu und dem mittlern,
schiffbaren Jcmgtse vorzudringen suchen würde. Eine entsprechende Verbindung
des obern Judnsgebiets mit dein Karun und dem Schale-el-Arad hat der
Sieg der russischen Politik in Persien unmöglich gemacht, ebenso wie das
rasche Vorgehen der Franzose» das Nordringen quer durch Hinterindien im
Mekhonggebiet vereitelte und in den letzten Jahren das sichtliche Nvrwärts-
strebe» über Kaschmir und Kleintibet nach Ostturkestan durch die Wachsamkeit
Chinas und Rußlands lahmgelegt wurde. Hier war der Entwurf am kühnsten,
denn von Kaschgar und Jarkand führten die einzigen Wege vom Westen nach
China, dnrch das welthistorische Land der Eingänge südlich vom Thianschan.
Es wäre eine Umfassung Chinas im Rücken und zugleich die Errichtung einer
zweite» vorgeschobne» Stellung gegen Russisch-Asien gewesen. Die andre Bastion,
Afghanistan, fängt an »»sicher z» werden, wie vor sechzig Jahren Persie»,
darum sollte beizeiten eine neue bezogen werde».

Wer beachtet diese Züge in Europa, außer den Russe»? Wir wunder»
uns höchstens, wen» »ach Jahren und Jahrzehnte» i» de» enormen Summen
des englische» Handels ihre klingenden Früchte erscheine». Man prüfe aber
die englische Politik auf dieses planmäßige Vorgehe» hin, und mau wird
überall ans seine Fäden stoßen. Der Handel, die Mission, die Humanität, das
Nationalitätsprinzip (Irland!) dienen ihm alle ganz gleich. Scheint nicht
England Rußland i» die Hände zu arbeiten mit seiner Unterstützung der Ar¬
menier, die außerdem in eiuer die Türkei brutalisireudeu Sprache vorgebracht
wird von Leute» wie Brhce und Gladstone, die die Politik von innen kennen?
England arbeitet für sich, denn die Lockerung der Autorität der Pforte in Klein¬
asien fördert seine Pläne, einen kürzern Überlandweg nach Indien durch Klein¬
asien zu legen.

Aus dem im Dezember 18ö4 veröffentlichten Blaubuch über die Koko-


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[0210] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik lischein Geld gebaute, in englischen Händen liegende, was nenerdings Juphrut < lonrimmiLtiUon genannt wird, ist das erste Ziel dieser Politik. Dafür werde» die Gefahren der ägyptischen Politik bereitwillig übernommen, dafür in Kanada riesige Summen für Eisenbahnen und Häfen ausgegeben, dafür endlich in Afrika miablässige Anstrengungen gemacht, um den Halt Portugals, Deutsch¬ lands, Frankreichs und Italiens an Ostafrika zu erschüttern. Der Zweck ist immer, möglichst lange, durchgehende Linien englischen Besitzes oder Einflusses durch Länder und Meere zu ziehen, zwischen denen die andern Mächte von einander, vom Meere und andern Punkten der Macht und des Reichtums ab¬ geschnitten bleiben. Für Asien sind ähnliche Pläne im Werke. Mau sehe, wie tief Indien in den West- und Osthimalaha gebohrt hat. Keine Frage, daß beim erste» Nachlaß des Halts des chinesischen Reichs an seineu Naudprv- vinzcn England, das seit der Eroberung von Birma am obern Jrawaddh steht, von dort, von dein Anfangspunkte der Bergwege und Endpunkte der Flußschifffahrt, Bhcnuo, durch Jünnan nach Kweitschvu und dem mittlern, schiffbaren Jcmgtse vorzudringen suchen würde. Eine entsprechende Verbindung des obern Judnsgebiets mit dein Karun und dem Schale-el-Arad hat der Sieg der russischen Politik in Persien unmöglich gemacht, ebenso wie das rasche Vorgehen der Franzose» das Nordringen quer durch Hinterindien im Mekhonggebiet vereitelte und in den letzten Jahren das sichtliche Nvrwärts- strebe» über Kaschmir und Kleintibet nach Ostturkestan durch die Wachsamkeit Chinas und Rußlands lahmgelegt wurde. Hier war der Entwurf am kühnsten, denn von Kaschgar und Jarkand führten die einzigen Wege vom Westen nach China, dnrch das welthistorische Land der Eingänge südlich vom Thianschan. Es wäre eine Umfassung Chinas im Rücken und zugleich die Errichtung einer zweite» vorgeschobne» Stellung gegen Russisch-Asien gewesen. Die andre Bastion, Afghanistan, fängt an »»sicher z» werden, wie vor sechzig Jahren Persie», darum sollte beizeiten eine neue bezogen werde». Wer beachtet diese Züge in Europa, außer den Russe»? Wir wunder» uns höchstens, wen» »ach Jahren und Jahrzehnte» i» de» enormen Summen des englische» Handels ihre klingenden Früchte erscheine». Man prüfe aber die englische Politik auf dieses planmäßige Vorgehe» hin, und mau wird überall ans seine Fäden stoßen. Der Handel, die Mission, die Humanität, das Nationalitätsprinzip (Irland!) dienen ihm alle ganz gleich. Scheint nicht England Rußland i» die Hände zu arbeiten mit seiner Unterstützung der Ar¬ menier, die außerdem in eiuer die Türkei brutalisireudeu Sprache vorgebracht wird von Leute» wie Brhce und Gladstone, die die Politik von innen kennen? England arbeitet für sich, denn die Lockerung der Autorität der Pforte in Klein¬ asien fördert seine Pläne, einen kürzern Überlandweg nach Indien durch Klein¬ asien zu legen. Aus dem im Dezember 18ö4 veröffentlichten Blaubuch über die Koko-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/210>, abgerufen am 23.07.2024.