Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Zur Würdigung der gegenwärtigen Aunstbestrebungen so wird sie, aller Vermutung nach, die Erbin der großen Herrschaft sein, die Aber noch eins. Die sinnliche Richtung mit all ihren schlechten und So treten einem denn reichlich Erscheinungen entgegen, bei deren Anblick man Zur Würdigung der gegenwärtigen Aunstbestrebungen so wird sie, aller Vermutung nach, die Erbin der großen Herrschaft sein, die Aber noch eins. Die sinnliche Richtung mit all ihren schlechten und So treten einem denn reichlich Erscheinungen entgegen, bei deren Anblick man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219185"/> <fw type="header" place="top"> Zur Würdigung der gegenwärtigen Aunstbestrebungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_521" prev="#ID_520"> so wird sie, aller Vermutung nach, die Erbin der großen Herrschaft sein, die<lb/> die heutige Kunst über alle Mittel der Darstellung ausübt. In diesem Be¬<lb/> sitze wird sie vielleicht Werke hervorbringen, die sich zu Carstens, Cornelius,<lb/> Thorwaldsen, Schinkel und der ganzen klassischen Richtung ähnlich verhalten<lb/> wie Rubens und Rembrandt zu den großen italienischen Klassikern. Doch<lb/> kann es auch anders kommen, je nachdem sich die allgemeine» Zustände<lb/> entwickeln. Jedenfalls wird die jetzt herrschende Strömung nicht ewig dauern.</p><lb/> <p xml:id="ID_522"> Aber noch eins. Die sinnliche Richtung mit all ihren schlechten und<lb/> ungesunden Arbeiten ist anch insofern ein Zeichen der Zeit, als sie das Zu-<lb/> drängen allzu vieler kleinen Talente zur Kunst, namentlich zur Malerei, sowie<lb/> das Wettjageu nach Anerkennung und Verdienst im Kampfe ums Dasein dar¬<lb/> thut. Dieses Drängen und Jagen, wie mit Dampf, liegt nnn einmal im<lb/> Wesen unsrer Zeit, und dieses Hasten mag auch dazu geführt haben, so viel<lb/> Kunstausstellungen zu veranstalten. Die große Häufigkeit dieser Ausstellungen,<lb/> besonders der umfangreichen in Berlin und München, muß den jungen Künstler,<lb/> besonders den Maler notwendig dazu anreizen, etwas hervorzubringen, wo¬<lb/> durch er auf einige Beachtung hoffen darf. Etwas recht Auffälliges verbürgt<lb/> dies am leichtesten. Je auffälliger ein Werk, desto mehr wird es gesehen und<lb/> besprochen. Darauf mögen sich zum Teil Erscheinungen zurückführe» lassen,<lb/> wie jene Bilder und Bildnisse, die durchaus in grün, rot, rosa, schwarz, gelb,<lb/> blau gehalten sind, also etwa: rotes Zimmer, rote Vorhänge, roter Teppich,<lb/> rote Tischdecke, rotes Sofa, rote Blumen, rote Kleider und vielleicht noch<lb/> rote Haare, natürlich rot in den verschiedensten Tönen, die aber zu keiner<lb/> stimmungsvollen Einheit gebracht sind. Oder jene Landschaftsbilder mit zu<lb/> tiefem Augenpunkte und zu hohem Horizont, bei denen dann grüne Wiesen,<lb/> gelbe Kuhblumen, rote Mohnblüten und ähnliches mehr den Nahmen bis auf<lb/> einen schmalen Streifen unter dem obern Rande füllen. Diese Erscheinungen<lb/> gehören freilich schon der Mode von gestern an. Heute streben nnter anderen<lb/> die grauen, nebelhaften Bilder meist biblischen Inhalts, die weder Zeichnung<lb/> noch Farbe haben, nach Herrschaft. Morgen wird wieder etwas andres in<lb/> die Mode kommen. Man muß staunen, auf welche Spitzfindigkeiten der mensch¬<lb/> liche Geist bei diesem Streben nach etwas absonderlichen verfallen ist und<lb/> immer von neuem verfüllt. Daneben geht dann noch eine Unmasse von Er¬<lb/> zeugnissen völliger Unfähigkeit her, die nicht einmal die Mache einiger¬<lb/> maßen beherrscht, alles Geistes, Witzes und Fleißes aber gänzlich bar ist; den<lb/> Maugel ersetzt allein ein unbegrenzter Dünkel, der, von Natur schon krankhaft,<lb/> bisweilen zu völligem Größenwahn und andern Formen von Geisteskrankheit<lb/> ausartet.</p><lb/> <p xml:id="ID_523" next="#ID_524"> So treten einem denn reichlich Erscheinungen entgegen, bei deren Anblick man<lb/> fragen muß, wo denn da die Naturwahrheit bleibe, wo denn die viel gepredigten<lb/> Grundsätze stecken, die reine Natureindrücke fordern? In der That, diese For-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0183]
Zur Würdigung der gegenwärtigen Aunstbestrebungen
so wird sie, aller Vermutung nach, die Erbin der großen Herrschaft sein, die
die heutige Kunst über alle Mittel der Darstellung ausübt. In diesem Be¬
sitze wird sie vielleicht Werke hervorbringen, die sich zu Carstens, Cornelius,
Thorwaldsen, Schinkel und der ganzen klassischen Richtung ähnlich verhalten
wie Rubens und Rembrandt zu den großen italienischen Klassikern. Doch
kann es auch anders kommen, je nachdem sich die allgemeine» Zustände
entwickeln. Jedenfalls wird die jetzt herrschende Strömung nicht ewig dauern.
Aber noch eins. Die sinnliche Richtung mit all ihren schlechten und
ungesunden Arbeiten ist anch insofern ein Zeichen der Zeit, als sie das Zu-
drängen allzu vieler kleinen Talente zur Kunst, namentlich zur Malerei, sowie
das Wettjageu nach Anerkennung und Verdienst im Kampfe ums Dasein dar¬
thut. Dieses Drängen und Jagen, wie mit Dampf, liegt nnn einmal im
Wesen unsrer Zeit, und dieses Hasten mag auch dazu geführt haben, so viel
Kunstausstellungen zu veranstalten. Die große Häufigkeit dieser Ausstellungen,
besonders der umfangreichen in Berlin und München, muß den jungen Künstler,
besonders den Maler notwendig dazu anreizen, etwas hervorzubringen, wo¬
durch er auf einige Beachtung hoffen darf. Etwas recht Auffälliges verbürgt
dies am leichtesten. Je auffälliger ein Werk, desto mehr wird es gesehen und
besprochen. Darauf mögen sich zum Teil Erscheinungen zurückführe» lassen,
wie jene Bilder und Bildnisse, die durchaus in grün, rot, rosa, schwarz, gelb,
blau gehalten sind, also etwa: rotes Zimmer, rote Vorhänge, roter Teppich,
rote Tischdecke, rotes Sofa, rote Blumen, rote Kleider und vielleicht noch
rote Haare, natürlich rot in den verschiedensten Tönen, die aber zu keiner
stimmungsvollen Einheit gebracht sind. Oder jene Landschaftsbilder mit zu
tiefem Augenpunkte und zu hohem Horizont, bei denen dann grüne Wiesen,
gelbe Kuhblumen, rote Mohnblüten und ähnliches mehr den Nahmen bis auf
einen schmalen Streifen unter dem obern Rande füllen. Diese Erscheinungen
gehören freilich schon der Mode von gestern an. Heute streben nnter anderen
die grauen, nebelhaften Bilder meist biblischen Inhalts, die weder Zeichnung
noch Farbe haben, nach Herrschaft. Morgen wird wieder etwas andres in
die Mode kommen. Man muß staunen, auf welche Spitzfindigkeiten der mensch¬
liche Geist bei diesem Streben nach etwas absonderlichen verfallen ist und
immer von neuem verfüllt. Daneben geht dann noch eine Unmasse von Er¬
zeugnissen völliger Unfähigkeit her, die nicht einmal die Mache einiger¬
maßen beherrscht, alles Geistes, Witzes und Fleißes aber gänzlich bar ist; den
Maugel ersetzt allein ein unbegrenzter Dünkel, der, von Natur schon krankhaft,
bisweilen zu völligem Größenwahn und andern Formen von Geisteskrankheit
ausartet.
So treten einem denn reichlich Erscheinungen entgegen, bei deren Anblick man
fragen muß, wo denn da die Naturwahrheit bleibe, wo denn die viel gepredigten
Grundsätze stecken, die reine Natureindrücke fordern? In der That, diese For-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |