Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches zeugen, als sei Arbeit in Fülle vorhanden, werden allerhand überflüssige und zum Ein Richter schreibt uns: In Ihrer Zeitschrift haben sehr schätzenswerte, Wir wollen nun aber einmal annehmen, daß es den Weisen unsers Parla¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches zeugen, als sei Arbeit in Fülle vorhanden, werden allerhand überflüssige und zum Ein Richter schreibt uns: In Ihrer Zeitschrift haben sehr schätzenswerte, Wir wollen nun aber einmal annehmen, daß es den Weisen unsers Parla¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219151"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_416" prev="#ID_415"> zeugen, als sei Arbeit in Fülle vorhanden, werden allerhand überflüssige und zum<lb/> Teil schädliche Notstandsarbeiten vorgenommen. Unter diesen sind die Gesetz-<lb/> macherei, die Vermehrung des Schreibwesens, der Polizeimaßregeln und der Straf¬<lb/> prozesse mit die schädlichsten. Die Umsturzvorlage ist ein Produkt geheimrätlicher<lb/> und assessorischer Beschttftigungslosigkeit, und der Reichstag kaun eine ständige Ar-<lb/> beitslosenversammlnng genannt werden.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Ein Richter schreibt uns:</head> <p xml:id="ID_417"> In Ihrer Zeitschrift haben sehr schätzenswerte,<lb/> scharfsinnige Abhandlungen über die Umsturzvorlage gestanden. Die dagegen vom<lb/> parteipolitischer Standpunkt der Konservativen Korrespondenz erhobnen heftigen<lb/> Angriffe waren um so weniger angebracht, als die Kritik nicht etwa die Bekämpfung<lb/> der Sozialdemokratie traf, sondern hauptsächlich zu zeigen suchte, daß die Vorlage<lb/> sich gegen manches und vieles richte, was nicht bekämpft werden sollte, und daß<lb/> sie im allgemeinen nicht zweckmäßig sei. Man hat zur Verteidigung der Vorlage<lb/> und besonders dafür, daß sie innerhalb richtiger Grenzen Anwendung finden würde,<lb/> das Vertrauen zu unserm Richterstande angerufen. Richtigerweise hätte man aber<lb/> dann die Vorlage nur für einen bestimmten Zeitabschnitt einbringen dürfen, um<lb/> dem Volke Gelegenheit zu geben, sich innerhalb dieses Zeitraums zu überzeugen,<lb/> daß das Gesetz auch wirklich in dem Sinne gehandhabt werde, der dem Rechts¬<lb/> bewußtsein des Volks entspricht. Genau genommen würde aber bei Annahme der<lb/> Vorlage ein sehr bedeutender Teil unsrer Strafrechtspflege dein unparteiischen richter¬<lb/> lichen Urteile überhaupt entzogen und dein flaatsanwaltlichen Ermessen ausgeant¬<lb/> wortet sein. Die Staatsanwaltschaft hat nach unserm Rechte das Anklagemonopol,<lb/> von ihr hängt es also ab, was sie innerhalb des außerordentlich weiten Rahmens der<lb/> Vorlage vor den Richterstuhl bringen will, während der Richter nicht in der Lage sein<lb/> würde, der einzelnen Anklage, die auf den Wortlaut des Gesetzes paßt, den Erfolg zu<lb/> versagen. Es ist deshalb nicht zuviel gesagt, wenn man sagt, daß die Umsturz¬<lb/> vorlage in juristischer Beziehung die Überantwvrtuug der Strafrechtspflege in den<lb/> betreffenden Materien an die Staatsanwaltschaft bedeutet. Die Staatsanwaltschaft<lb/> wird sicherlich niemals gegen den Veranstalter einer Vorstellung des Wilhelm Tell ein¬<lb/> schreiten, aber ein Dichter von sozialdcmokrntischer Gesinnung, der sich erlauben wollte,<lb/> den Meuchelmord der legitimen Obrigkeit auch nur mit annähernd begeistertem Em¬<lb/> pfinden zu verherrlichen, wie unser unsterblicher Schiller, wäre doch wohl der An¬<lb/> klage sicher, während das Gesetz den Richter zur Verurteilung zwingen würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_418" next="#ID_419"> Wir wollen nun aber einmal annehmen, daß es den Weisen unsers Parla¬<lb/> ments gelingt, der Vorlage eine Form zu geben, die alle Befürchtungen zerstreut<lb/> und alle Erwartungen erfüllt, daß gerade das und nur das, was bekämpft werden<lb/> soll und muß, getroffen wird. Haben wir dann mich wirklich einen bedeutenden<lb/> Schritt weiter gethan? Die Bajonette sind zu allem gut, nur nicht, um sich darauf<lb/> zu setzen, sagte Mirabeau, und in der That, was nützen uns die schärfsten Waffen<lb/> gegen Anschauungen, wenn sie die Gesinnungen nicht zu ändern vermögen? Es<lb/> ist erstaunlich, daß niemand ans dem großen Hause daran gedacht hat oder hat<lb/> denken wollen, daß das einzige Mittel zur erfolgreiche» Bekämpfung der nach<lb/> arithmetischer Berechnung alles verschlingenden Sozialdemokratie nur darin be¬<lb/> stehen kann, eine Gegenströmung in den breiten Massen des Volkes zu erzeuge».<lb/> Selbst der Sanguiniker kann der Zukunft nur dann getrost ins Auge sehen,<lb/> wenn er von unerschütterlichem Vertrauen auf unsre Armee beseelt ist. Das Ver¬<lb/> traue» wird aber durch keine Umsturzvorlage und durch kein noch so schönes Gesetz<lb/> gerechtfertigt, sondern allein dadurch, daß die große Mehrzahl unsrer Rekrute»</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
zeugen, als sei Arbeit in Fülle vorhanden, werden allerhand überflüssige und zum
Teil schädliche Notstandsarbeiten vorgenommen. Unter diesen sind die Gesetz-
macherei, die Vermehrung des Schreibwesens, der Polizeimaßregeln und der Straf¬
prozesse mit die schädlichsten. Die Umsturzvorlage ist ein Produkt geheimrätlicher
und assessorischer Beschttftigungslosigkeit, und der Reichstag kaun eine ständige Ar-
beitslosenversammlnng genannt werden.
Ein Richter schreibt uns: In Ihrer Zeitschrift haben sehr schätzenswerte,
scharfsinnige Abhandlungen über die Umsturzvorlage gestanden. Die dagegen vom
parteipolitischer Standpunkt der Konservativen Korrespondenz erhobnen heftigen
Angriffe waren um so weniger angebracht, als die Kritik nicht etwa die Bekämpfung
der Sozialdemokratie traf, sondern hauptsächlich zu zeigen suchte, daß die Vorlage
sich gegen manches und vieles richte, was nicht bekämpft werden sollte, und daß
sie im allgemeinen nicht zweckmäßig sei. Man hat zur Verteidigung der Vorlage
und besonders dafür, daß sie innerhalb richtiger Grenzen Anwendung finden würde,
das Vertrauen zu unserm Richterstande angerufen. Richtigerweise hätte man aber
dann die Vorlage nur für einen bestimmten Zeitabschnitt einbringen dürfen, um
dem Volke Gelegenheit zu geben, sich innerhalb dieses Zeitraums zu überzeugen,
daß das Gesetz auch wirklich in dem Sinne gehandhabt werde, der dem Rechts¬
bewußtsein des Volks entspricht. Genau genommen würde aber bei Annahme der
Vorlage ein sehr bedeutender Teil unsrer Strafrechtspflege dein unparteiischen richter¬
lichen Urteile überhaupt entzogen und dein flaatsanwaltlichen Ermessen ausgeant¬
wortet sein. Die Staatsanwaltschaft hat nach unserm Rechte das Anklagemonopol,
von ihr hängt es also ab, was sie innerhalb des außerordentlich weiten Rahmens der
Vorlage vor den Richterstuhl bringen will, während der Richter nicht in der Lage sein
würde, der einzelnen Anklage, die auf den Wortlaut des Gesetzes paßt, den Erfolg zu
versagen. Es ist deshalb nicht zuviel gesagt, wenn man sagt, daß die Umsturz¬
vorlage in juristischer Beziehung die Überantwvrtuug der Strafrechtspflege in den
betreffenden Materien an die Staatsanwaltschaft bedeutet. Die Staatsanwaltschaft
wird sicherlich niemals gegen den Veranstalter einer Vorstellung des Wilhelm Tell ein¬
schreiten, aber ein Dichter von sozialdcmokrntischer Gesinnung, der sich erlauben wollte,
den Meuchelmord der legitimen Obrigkeit auch nur mit annähernd begeistertem Em¬
pfinden zu verherrlichen, wie unser unsterblicher Schiller, wäre doch wohl der An¬
klage sicher, während das Gesetz den Richter zur Verurteilung zwingen würde.
Wir wollen nun aber einmal annehmen, daß es den Weisen unsers Parla¬
ments gelingt, der Vorlage eine Form zu geben, die alle Befürchtungen zerstreut
und alle Erwartungen erfüllt, daß gerade das und nur das, was bekämpft werden
soll und muß, getroffen wird. Haben wir dann mich wirklich einen bedeutenden
Schritt weiter gethan? Die Bajonette sind zu allem gut, nur nicht, um sich darauf
zu setzen, sagte Mirabeau, und in der That, was nützen uns die schärfsten Waffen
gegen Anschauungen, wenn sie die Gesinnungen nicht zu ändern vermögen? Es
ist erstaunlich, daß niemand ans dem großen Hause daran gedacht hat oder hat
denken wollen, daß das einzige Mittel zur erfolgreiche» Bekämpfung der nach
arithmetischer Berechnung alles verschlingenden Sozialdemokratie nur darin be¬
stehen kann, eine Gegenströmung in den breiten Massen des Volkes zu erzeuge».
Selbst der Sanguiniker kann der Zukunft nur dann getrost ins Auge sehen,
wenn er von unerschütterlichem Vertrauen auf unsre Armee beseelt ist. Das Ver¬
traue» wird aber durch keine Umsturzvorlage und durch kein noch so schönes Gesetz
gerechtfertigt, sondern allein dadurch, daß die große Mehrzahl unsrer Rekrute»
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