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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Ivürdignng der gegenwärtigen Uunstbestrebnngen

Streben zum Höchsten hat sie geleitet, ihre Begabung war außerordentlich,
ihre Zeitgenossen haben sie mit Anerkennung und Ehre überhäuft, sie sind
der künstlerische Ausdruck ihrer Zeit. Und nun kommen Leute, die nicht die
Spur von kunstgeschichtlichen Verständnis haben, und fallen über Cornelius
und die Seinen her, als ob er ein Verbrechen an der Kunst begangen Hütte,
sie fallen über das ganze Zeitalter der klassischen Kunst in Deutschland, Frank¬
reich und andern Ländern her, als ob es von der Pest besessen gewesen wäre!
Die Kunstschöpfungen jener Zeit sind sprechende Denkmäler dieser ihrer Zeit,
ebenso wie es die klassische Dichtung ist. Sie gehören dieser Zeit an und
müssen im Geiste dieser Zeit erfaßt werden. Diese Zeit war durchdrungen
von den höchsten Idealen, deren Gepräge sie selbst ganz unkünstlerischeu Per¬
sönlichkeiten aufdrückte. Und die Kunstschöpfungen dieser Zeit müssen in ihrer
Art geachtet und gewürdigt werdeu. Sie schmähen, heißt die deutsche Nation
in ihren Geschlechtern von 1790 etwa an bis gegen die Mitte dieses Jahr¬
hunderts hin selber schmähen. Es kann niemals richtig und schön sein, die
Altvordern, auf deren Schultern man steht, zu mißachten. Und hier ist es
besonders anstößig, denn in jenen Männern ist die ganze deutsche Nation be¬
leidigt worden.

Aber freilich, anch das scheint eine besondre Liebhaberei des Herrn Begas
zu sein, daß er über uns und unsre Nation mit allerlei Reden herzieht. Bald
verspottet er "den gebildeten oder vielmehr den bebrillten Deutschen," bald
verhöhnt er "die Vorliebe des Deutschen für die monumentale Plastik," bald
"die Liebe zum Walde," die den Deutschen glauben macht, "die Statuen müßten
sich eben so wohl darin fühlen wie er selbst." Der Vorwurf "barbarischer
Sitte" ist gewiß auch keine Schmeichelei, und ebenso wenig der, daß "man es
in Deutschland nicht so genau" nehme in der Abschätzung der Würdigkeit be¬
deutender Männer für Errichtung eines Denkmals. Dann klagt er über mangel¬
hafte Anlage der Deutschen "für die bildenden Künste, über die mangelhafte
Begabung vieler Deutschen für die reine Kunst." Er geht noch weiter und
schilt die deutsche Nation, "die leider noch nicht in allen ihren Teilen dazu
-- nämlich zu den künstlerischen Nationen -- gehört." weidlich aus. Doch
genug, es lohnt nicht, auf diese die eigne Nation herabsetzenden Äußerungen
einzugehen. Sie richten sich selbst und damit auch ihren Urheber.

Ich gestehe den Jungen das Recht des Daseins völlig zu, ja ich erkenne
die geschichtliche Folgerichtigkeit ihres Auftretens im allgemeinen an und bin
überzeugt, daß auch ihre Werke, wenn sich nur erst der gehörige Bodensatz
gebildet hat, der deutschen Nation zur Ehre gereichen werden. Aber in die
Verhimmelungen von allem, auch von dem, was offenbar schon auf dem Boden
sitzt oder was binnen kurzer Frist zu Boden sinken muß, stimme ich nicht ein.
Dieser Bodensatz wird vielleicht groß sein, sodaß die abgeklärte eigentliche Wert¬
schicht dereinst nur dünn werden wird. Aber dünn oder dick, gleichviel; für


Zur Ivürdignng der gegenwärtigen Uunstbestrebnngen

Streben zum Höchsten hat sie geleitet, ihre Begabung war außerordentlich,
ihre Zeitgenossen haben sie mit Anerkennung und Ehre überhäuft, sie sind
der künstlerische Ausdruck ihrer Zeit. Und nun kommen Leute, die nicht die
Spur von kunstgeschichtlichen Verständnis haben, und fallen über Cornelius
und die Seinen her, als ob er ein Verbrechen an der Kunst begangen Hütte,
sie fallen über das ganze Zeitalter der klassischen Kunst in Deutschland, Frank¬
reich und andern Ländern her, als ob es von der Pest besessen gewesen wäre!
Die Kunstschöpfungen jener Zeit sind sprechende Denkmäler dieser ihrer Zeit,
ebenso wie es die klassische Dichtung ist. Sie gehören dieser Zeit an und
müssen im Geiste dieser Zeit erfaßt werden. Diese Zeit war durchdrungen
von den höchsten Idealen, deren Gepräge sie selbst ganz unkünstlerischeu Per¬
sönlichkeiten aufdrückte. Und die Kunstschöpfungen dieser Zeit müssen in ihrer
Art geachtet und gewürdigt werdeu. Sie schmähen, heißt die deutsche Nation
in ihren Geschlechtern von 1790 etwa an bis gegen die Mitte dieses Jahr¬
hunderts hin selber schmähen. Es kann niemals richtig und schön sein, die
Altvordern, auf deren Schultern man steht, zu mißachten. Und hier ist es
besonders anstößig, denn in jenen Männern ist die ganze deutsche Nation be¬
leidigt worden.

Aber freilich, anch das scheint eine besondre Liebhaberei des Herrn Begas
zu sein, daß er über uns und unsre Nation mit allerlei Reden herzieht. Bald
verspottet er „den gebildeten oder vielmehr den bebrillten Deutschen," bald
verhöhnt er „die Vorliebe des Deutschen für die monumentale Plastik," bald
„die Liebe zum Walde," die den Deutschen glauben macht, „die Statuen müßten
sich eben so wohl darin fühlen wie er selbst." Der Vorwurf „barbarischer
Sitte" ist gewiß auch keine Schmeichelei, und ebenso wenig der, daß „man es
in Deutschland nicht so genau" nehme in der Abschätzung der Würdigkeit be¬
deutender Männer für Errichtung eines Denkmals. Dann klagt er über mangel¬
hafte Anlage der Deutschen „für die bildenden Künste, über die mangelhafte
Begabung vieler Deutschen für die reine Kunst." Er geht noch weiter und
schilt die deutsche Nation, „die leider noch nicht in allen ihren Teilen dazu
— nämlich zu den künstlerischen Nationen — gehört." weidlich aus. Doch
genug, es lohnt nicht, auf diese die eigne Nation herabsetzenden Äußerungen
einzugehen. Sie richten sich selbst und damit auch ihren Urheber.

Ich gestehe den Jungen das Recht des Daseins völlig zu, ja ich erkenne
die geschichtliche Folgerichtigkeit ihres Auftretens im allgemeinen an und bin
überzeugt, daß auch ihre Werke, wenn sich nur erst der gehörige Bodensatz
gebildet hat, der deutschen Nation zur Ehre gereichen werden. Aber in die
Verhimmelungen von allem, auch von dem, was offenbar schon auf dem Boden
sitzt oder was binnen kurzer Frist zu Boden sinken muß, stimme ich nicht ein.
Dieser Bodensatz wird vielleicht groß sein, sodaß die abgeklärte eigentliche Wert¬
schicht dereinst nur dünn werden wird. Aber dünn oder dick, gleichviel; für


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[0132] Zur Ivürdignng der gegenwärtigen Uunstbestrebnngen Streben zum Höchsten hat sie geleitet, ihre Begabung war außerordentlich, ihre Zeitgenossen haben sie mit Anerkennung und Ehre überhäuft, sie sind der künstlerische Ausdruck ihrer Zeit. Und nun kommen Leute, die nicht die Spur von kunstgeschichtlichen Verständnis haben, und fallen über Cornelius und die Seinen her, als ob er ein Verbrechen an der Kunst begangen Hütte, sie fallen über das ganze Zeitalter der klassischen Kunst in Deutschland, Frank¬ reich und andern Ländern her, als ob es von der Pest besessen gewesen wäre! Die Kunstschöpfungen jener Zeit sind sprechende Denkmäler dieser ihrer Zeit, ebenso wie es die klassische Dichtung ist. Sie gehören dieser Zeit an und müssen im Geiste dieser Zeit erfaßt werden. Diese Zeit war durchdrungen von den höchsten Idealen, deren Gepräge sie selbst ganz unkünstlerischeu Per¬ sönlichkeiten aufdrückte. Und die Kunstschöpfungen dieser Zeit müssen in ihrer Art geachtet und gewürdigt werdeu. Sie schmähen, heißt die deutsche Nation in ihren Geschlechtern von 1790 etwa an bis gegen die Mitte dieses Jahr¬ hunderts hin selber schmähen. Es kann niemals richtig und schön sein, die Altvordern, auf deren Schultern man steht, zu mißachten. Und hier ist es besonders anstößig, denn in jenen Männern ist die ganze deutsche Nation be¬ leidigt worden. Aber freilich, anch das scheint eine besondre Liebhaberei des Herrn Begas zu sein, daß er über uns und unsre Nation mit allerlei Reden herzieht. Bald verspottet er „den gebildeten oder vielmehr den bebrillten Deutschen," bald verhöhnt er „die Vorliebe des Deutschen für die monumentale Plastik," bald „die Liebe zum Walde," die den Deutschen glauben macht, „die Statuen müßten sich eben so wohl darin fühlen wie er selbst." Der Vorwurf „barbarischer Sitte" ist gewiß auch keine Schmeichelei, und ebenso wenig der, daß „man es in Deutschland nicht so genau" nehme in der Abschätzung der Würdigkeit be¬ deutender Männer für Errichtung eines Denkmals. Dann klagt er über mangel¬ hafte Anlage der Deutschen „für die bildenden Künste, über die mangelhafte Begabung vieler Deutschen für die reine Kunst." Er geht noch weiter und schilt die deutsche Nation, „die leider noch nicht in allen ihren Teilen dazu — nämlich zu den künstlerischen Nationen — gehört." weidlich aus. Doch genug, es lohnt nicht, auf diese die eigne Nation herabsetzenden Äußerungen einzugehen. Sie richten sich selbst und damit auch ihren Urheber. Ich gestehe den Jungen das Recht des Daseins völlig zu, ja ich erkenne die geschichtliche Folgerichtigkeit ihres Auftretens im allgemeinen an und bin überzeugt, daß auch ihre Werke, wenn sich nur erst der gehörige Bodensatz gebildet hat, der deutschen Nation zur Ehre gereichen werden. Aber in die Verhimmelungen von allem, auch von dem, was offenbar schon auf dem Boden sitzt oder was binnen kurzer Frist zu Boden sinken muß, stimme ich nicht ein. Dieser Bodensatz wird vielleicht groß sein, sodaß die abgeklärte eigentliche Wert¬ schicht dereinst nur dünn werden wird. Aber dünn oder dick, gleichviel; für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/132>, abgerufen am 23.07.2024.