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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Ist der Mittelstand im Schwinden begriffen?

einer geringen Lebensstellung angehören. So z. B. die meisten dort verzeich¬
neten einzeln stehenden Frauenzimmer (Witwen, Näherinnen, Büglerinnen u.s.w.).
Auch wird man dazu manche geringern Handwerker zählen müssen. Immerhin
wird man aber doch eine sehr große Anzahl der im Adreßbuch verzeichneten
Personen dem Mittelstande zurechnen dürfen.

Hierbei ist es von Interesse, zu sehen, wie sich die Geschäftsbetriebe ihrer
Zahl nach im Laufe der Zeit geändert haben. Man kann in dieser Beziehung
vier Arten von Betrieben unterscheiden. Gewisse Betriebe sind sich in ihrer
Zahl ungefähr gleich geblieben. Andre sind zurückgegangen oder vielleicht ganz
verschwunden. Ihnen gegenüber stehen aber solche, die sich in ihrer Zahl
wesentlich erhöht haben. Endlich giebt es auch eine Menge Betriebe, die man
früher gar nicht kannte, und die erst in der Neuzeit entstanden sind. Natür¬
lich muß man bei Vergleichung der Zahlen von früher und jetzt die veränderte
Einwohnerzahl berücksichtigen, sodaß man einen Betrieb als gleich geblieben
betrachten kann, wenn sich die heutige Zahl zu der frühern ungefähr wie 5
zu 2 verhält.

Ziemlich gleich geblieben sind sich folgende Gewerbe. (Die in Parenthese
beigesetzte Ziffer bezeichnet durchweg die Zahl desselben Gewerbes im Jahre
1828.) Badeanstalten 8 (3). Blechschmiede 42 (19). Buchbinder 36 (14).
Friseure und Perückenmacher, Friseusen 47 (Friseure 21); doch besorgen jetzt
auch Barbiere das Fristren. Gelbgießer 5 (2). Maler 20 (9). Schlosser
58 (28). Schornsteinfeger 5 (2). Weißbinder 46 (18).

Für die Geschäfte, die in ihrer Zahl zurückgegangen sind, kommt zunächst
in Betracht, daß manche von ihnen im einzelnen jetzt weit größer betrieben
werden als früher, was mit dem größern Besitz von Kapital zusammenhängt.
Solche größere Geschäfte haben dann die kleinern aufgesogen. Manche Ge¬
schäfte sind aus dem frühern handwerksmäßigen Betrieb in den vollständigen
Fabrikbetrieb übergegangen. Manche Erzeugnisse des frühern Handwerks werden
jetzt durch den Handel von auswärts, wo sie fabrikmäßig erzeugt werden, in
großen Massen eingeführt. Dadurch haben sich namentlich solche Gewerbe ver¬
mindert, die, weil sie für unentbehrliche Lebensbedürfnisse arbeiten, auch schon
früher zahlreich besetzt waren. Manche, allerdings meist unbedeutende Hand¬
werke haben sich neben dem Fabrikbetriebe gar nicht mehr halten können. Zurück¬
gegangen in der Zahl (immer im Verhältnis zur Zahl der Bevölkerung ge¬
dacht) sind folgende Gewerbe. Bäcker 74 (47); dabei bestehen aber jetzt 6 Brot¬
fabriken. "Bicrbrcmereibesitzer" 13 (früher 13 "Bierbrauer"); daneben aber
giebt es jetzt 35 Exportbiergeschnftc. Dachdecker 13 (10). Drechsler 11 (29).
Färbereien 8 (8); daneben aber 9 Farbwarenfabriken und 22 Farbwarenhand-
lungen. "Fuhrwerksbesitzer" 23, die zugleich einige 70 Droschken halten;
(früher 14 "Mietkutscher," Droschken gab es nicht). Gärtner 109 (77); dabei
aber 35 (2) Kunstgärtner. Glaser 17 (12). Gold- und Silberarbeiter 18 (16).


Ist der Mittelstand im Schwinden begriffen?

einer geringen Lebensstellung angehören. So z. B. die meisten dort verzeich¬
neten einzeln stehenden Frauenzimmer (Witwen, Näherinnen, Büglerinnen u.s.w.).
Auch wird man dazu manche geringern Handwerker zählen müssen. Immerhin
wird man aber doch eine sehr große Anzahl der im Adreßbuch verzeichneten
Personen dem Mittelstande zurechnen dürfen.

Hierbei ist es von Interesse, zu sehen, wie sich die Geschäftsbetriebe ihrer
Zahl nach im Laufe der Zeit geändert haben. Man kann in dieser Beziehung
vier Arten von Betrieben unterscheiden. Gewisse Betriebe sind sich in ihrer
Zahl ungefähr gleich geblieben. Andre sind zurückgegangen oder vielleicht ganz
verschwunden. Ihnen gegenüber stehen aber solche, die sich in ihrer Zahl
wesentlich erhöht haben. Endlich giebt es auch eine Menge Betriebe, die man
früher gar nicht kannte, und die erst in der Neuzeit entstanden sind. Natür¬
lich muß man bei Vergleichung der Zahlen von früher und jetzt die veränderte
Einwohnerzahl berücksichtigen, sodaß man einen Betrieb als gleich geblieben
betrachten kann, wenn sich die heutige Zahl zu der frühern ungefähr wie 5
zu 2 verhält.

Ziemlich gleich geblieben sind sich folgende Gewerbe. (Die in Parenthese
beigesetzte Ziffer bezeichnet durchweg die Zahl desselben Gewerbes im Jahre
1828.) Badeanstalten 8 (3). Blechschmiede 42 (19). Buchbinder 36 (14).
Friseure und Perückenmacher, Friseusen 47 (Friseure 21); doch besorgen jetzt
auch Barbiere das Fristren. Gelbgießer 5 (2). Maler 20 (9). Schlosser
58 (28). Schornsteinfeger 5 (2). Weißbinder 46 (18).

Für die Geschäfte, die in ihrer Zahl zurückgegangen sind, kommt zunächst
in Betracht, daß manche von ihnen im einzelnen jetzt weit größer betrieben
werden als früher, was mit dem größern Besitz von Kapital zusammenhängt.
Solche größere Geschäfte haben dann die kleinern aufgesogen. Manche Ge¬
schäfte sind aus dem frühern handwerksmäßigen Betrieb in den vollständigen
Fabrikbetrieb übergegangen. Manche Erzeugnisse des frühern Handwerks werden
jetzt durch den Handel von auswärts, wo sie fabrikmäßig erzeugt werden, in
großen Massen eingeführt. Dadurch haben sich namentlich solche Gewerbe ver¬
mindert, die, weil sie für unentbehrliche Lebensbedürfnisse arbeiten, auch schon
früher zahlreich besetzt waren. Manche, allerdings meist unbedeutende Hand¬
werke haben sich neben dem Fabrikbetriebe gar nicht mehr halten können. Zurück¬
gegangen in der Zahl (immer im Verhältnis zur Zahl der Bevölkerung ge¬
dacht) sind folgende Gewerbe. Bäcker 74 (47); dabei bestehen aber jetzt 6 Brot¬
fabriken. „Bicrbrcmereibesitzer" 13 (früher 13 „Bierbrauer"); daneben aber
giebt es jetzt 35 Exportbiergeschnftc. Dachdecker 13 (10). Drechsler 11 (29).
Färbereien 8 (8); daneben aber 9 Farbwarenfabriken und 22 Farbwarenhand-
lungen. „Fuhrwerksbesitzer" 23, die zugleich einige 70 Droschken halten;
(früher 14 „Mietkutscher," Droschken gab es nicht). Gärtner 109 (77); dabei
aber 35 (2) Kunstgärtner. Glaser 17 (12). Gold- und Silberarbeiter 18 (16).


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[0107] Ist der Mittelstand im Schwinden begriffen? einer geringen Lebensstellung angehören. So z. B. die meisten dort verzeich¬ neten einzeln stehenden Frauenzimmer (Witwen, Näherinnen, Büglerinnen u.s.w.). Auch wird man dazu manche geringern Handwerker zählen müssen. Immerhin wird man aber doch eine sehr große Anzahl der im Adreßbuch verzeichneten Personen dem Mittelstande zurechnen dürfen. Hierbei ist es von Interesse, zu sehen, wie sich die Geschäftsbetriebe ihrer Zahl nach im Laufe der Zeit geändert haben. Man kann in dieser Beziehung vier Arten von Betrieben unterscheiden. Gewisse Betriebe sind sich in ihrer Zahl ungefähr gleich geblieben. Andre sind zurückgegangen oder vielleicht ganz verschwunden. Ihnen gegenüber stehen aber solche, die sich in ihrer Zahl wesentlich erhöht haben. Endlich giebt es auch eine Menge Betriebe, die man früher gar nicht kannte, und die erst in der Neuzeit entstanden sind. Natür¬ lich muß man bei Vergleichung der Zahlen von früher und jetzt die veränderte Einwohnerzahl berücksichtigen, sodaß man einen Betrieb als gleich geblieben betrachten kann, wenn sich die heutige Zahl zu der frühern ungefähr wie 5 zu 2 verhält. Ziemlich gleich geblieben sind sich folgende Gewerbe. (Die in Parenthese beigesetzte Ziffer bezeichnet durchweg die Zahl desselben Gewerbes im Jahre 1828.) Badeanstalten 8 (3). Blechschmiede 42 (19). Buchbinder 36 (14). Friseure und Perückenmacher, Friseusen 47 (Friseure 21); doch besorgen jetzt auch Barbiere das Fristren. Gelbgießer 5 (2). Maler 20 (9). Schlosser 58 (28). Schornsteinfeger 5 (2). Weißbinder 46 (18). Für die Geschäfte, die in ihrer Zahl zurückgegangen sind, kommt zunächst in Betracht, daß manche von ihnen im einzelnen jetzt weit größer betrieben werden als früher, was mit dem größern Besitz von Kapital zusammenhängt. Solche größere Geschäfte haben dann die kleinern aufgesogen. Manche Ge¬ schäfte sind aus dem frühern handwerksmäßigen Betrieb in den vollständigen Fabrikbetrieb übergegangen. Manche Erzeugnisse des frühern Handwerks werden jetzt durch den Handel von auswärts, wo sie fabrikmäßig erzeugt werden, in großen Massen eingeführt. Dadurch haben sich namentlich solche Gewerbe ver¬ mindert, die, weil sie für unentbehrliche Lebensbedürfnisse arbeiten, auch schon früher zahlreich besetzt waren. Manche, allerdings meist unbedeutende Hand¬ werke haben sich neben dem Fabrikbetriebe gar nicht mehr halten können. Zurück¬ gegangen in der Zahl (immer im Verhältnis zur Zahl der Bevölkerung ge¬ dacht) sind folgende Gewerbe. Bäcker 74 (47); dabei bestehen aber jetzt 6 Brot¬ fabriken. „Bicrbrcmereibesitzer" 13 (früher 13 „Bierbrauer"); daneben aber giebt es jetzt 35 Exportbiergeschnftc. Dachdecker 13 (10). Drechsler 11 (29). Färbereien 8 (8); daneben aber 9 Farbwarenfabriken und 22 Farbwarenhand- lungen. „Fuhrwerksbesitzer" 23, die zugleich einige 70 Droschken halten; (früher 14 „Mietkutscher," Droschken gab es nicht). Gärtner 109 (77); dabei aber 35 (2) Kunstgärtner. Glaser 17 (12). Gold- und Silberarbeiter 18 (16).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/107>, abgerufen am 23.07.2024.