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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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entschiednen Gegnern agrarischer Schutzzölle macht, und daß daher bei der
ausschlaggebenden Stellung, die die Arbeiter seit den letzten Parlaments¬
reformen erlangt haben, kein Minister mehr, mag er auch, wie Salisbury, für
seine Person überzeugter Schutzzöllner sein, wagen darf, mit derartigen Plänen
vor das Parlament zu trete".

Die andre Frage ist die Neichsfrage. Als die manchesterliche Richtung
den Höhepunkt ihrer Herrschaft erreicht hatte, verstiegen sich die Theoretiker
zu der Behauptung: die Kolonien, die ja nur kosteten und nichts brächten,
seien lediglich eine Last für England; über kurz oder lang würden sie sich so
wie so nach dem Beispiele der Vereinigten Staaten für unabhängig erklären,
und im Interesse des Mutterlandes liege es, die Trennung nicht zu verzögern,
sondern zu beschleunigen. So denkt heute kein ernsthafter Politiker mehr in
England. Man weiß es, was die Kolonien, wenn auch nicht unmittelbar der
Staatskasse, so doch dem Volke bringen. Die einen dieser Kolonien sind
Tätigkeitsgebiete, in denen sich Engländer als Beamte und als Unternehmer
auf Kosten der Eingebornen Vermögen sammeln, die andern sind Anfnahme-
stätten für englische Auswandrer, die nicht gesperrt werden können, alle aber
sind Absatzgebiete für englische Produkte.

In letzter Beziehung ist nun ein Teil der Kolonien schwierig geworden,
und dieser Umstand, zusammen mit den Kosten, die sie dem Staate verursachen,
ist es, der die Bewegung für Ausgestaltung des "Reichs" erzeugt hat. Be¬
kanntlich zerfallen die englischen Kolonien in zwei Klassen: Kolonien, die sich
selbst regieren, und Kolonien, die vom Mutterlande regiert werden. Die letztern
liegen in den Tropen und sind größtenteils von Farbigen bewohnt,"') die
erstem, wie namentlich Kanada, Kapland und Australien, sind Ackerbaukolonicn
mit englischer Bevölkerung. Diese europäisch lebenden und organisirten Kolo¬
nien möchten nun zwar gern ihre Autonomie in Tarifangelegenheiten, zugleich
aber auch den Vorteil bewahren, daß das Mutterland die Kosten der Landes¬
verteidigung und der Vertretung dem Auslande gegenüber allein trägt, wes¬
halb sie denn, nebenbei bemerkt, auch gar nicht nach Trennung von England
trachten. Dieses möchte in beiden Stücken das Gegenteil, nämlich den Kolo¬
nien ihre handelspolitische Selbständigkeit nehmen und ihnen einen Teil der
Kosten der auswärtigen Politik auflegen; die Kolonien sollen so mit dem
Mutterlande zu einem wirklichen Reiche vereinigt werden, das ein einziges
Wirtschafts- und Handelsgebiet ohne innere Schranken bilden und dein Aus¬
lande gegenüber mit etwaigen Schutz- oder Kampfzöllen oder bei Abschließung



") Eine Unterabteilung dieser Klasse bilden die westindischen Kolonien, die zwar unter
dem englischen Ministerium sür die Kolonien stehen, aber gewählte Vertreter haben, an deren
Mitwirkung das Ministerium gebunden ist. Früher erfreuten auch sie sich der Selbstverwal¬
tung, sie konnte ihnen aber nicht gelassen werden, als nach Aufhebung der Sklaverei dem
englischen Pflanzer der Neger als "freier Staatsbürger" zur Seite trat.
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entschiednen Gegnern agrarischer Schutzzölle macht, und daß daher bei der
ausschlaggebenden Stellung, die die Arbeiter seit den letzten Parlaments¬
reformen erlangt haben, kein Minister mehr, mag er auch, wie Salisbury, für
seine Person überzeugter Schutzzöllner sein, wagen darf, mit derartigen Plänen
vor das Parlament zu trete».

Die andre Frage ist die Neichsfrage. Als die manchesterliche Richtung
den Höhepunkt ihrer Herrschaft erreicht hatte, verstiegen sich die Theoretiker
zu der Behauptung: die Kolonien, die ja nur kosteten und nichts brächten,
seien lediglich eine Last für England; über kurz oder lang würden sie sich so
wie so nach dem Beispiele der Vereinigten Staaten für unabhängig erklären,
und im Interesse des Mutterlandes liege es, die Trennung nicht zu verzögern,
sondern zu beschleunigen. So denkt heute kein ernsthafter Politiker mehr in
England. Man weiß es, was die Kolonien, wenn auch nicht unmittelbar der
Staatskasse, so doch dem Volke bringen. Die einen dieser Kolonien sind
Tätigkeitsgebiete, in denen sich Engländer als Beamte und als Unternehmer
auf Kosten der Eingebornen Vermögen sammeln, die andern sind Anfnahme-
stätten für englische Auswandrer, die nicht gesperrt werden können, alle aber
sind Absatzgebiete für englische Produkte.

In letzter Beziehung ist nun ein Teil der Kolonien schwierig geworden,
und dieser Umstand, zusammen mit den Kosten, die sie dem Staate verursachen,
ist es, der die Bewegung für Ausgestaltung des „Reichs" erzeugt hat. Be¬
kanntlich zerfallen die englischen Kolonien in zwei Klassen: Kolonien, die sich
selbst regieren, und Kolonien, die vom Mutterlande regiert werden. Die letztern
liegen in den Tropen und sind größtenteils von Farbigen bewohnt,"') die
erstem, wie namentlich Kanada, Kapland und Australien, sind Ackerbaukolonicn
mit englischer Bevölkerung. Diese europäisch lebenden und organisirten Kolo¬
nien möchten nun zwar gern ihre Autonomie in Tarifangelegenheiten, zugleich
aber auch den Vorteil bewahren, daß das Mutterland die Kosten der Landes¬
verteidigung und der Vertretung dem Auslande gegenüber allein trägt, wes¬
halb sie denn, nebenbei bemerkt, auch gar nicht nach Trennung von England
trachten. Dieses möchte in beiden Stücken das Gegenteil, nämlich den Kolo¬
nien ihre handelspolitische Selbständigkeit nehmen und ihnen einen Teil der
Kosten der auswärtigen Politik auflegen; die Kolonien sollen so mit dem
Mutterlande zu einem wirklichen Reiche vereinigt werden, das ein einziges
Wirtschafts- und Handelsgebiet ohne innere Schranken bilden und dein Aus¬
lande gegenüber mit etwaigen Schutz- oder Kampfzöllen oder bei Abschließung



") Eine Unterabteilung dieser Klasse bilden die westindischen Kolonien, die zwar unter
dem englischen Ministerium sür die Kolonien stehen, aber gewählte Vertreter haben, an deren
Mitwirkung das Ministerium gebunden ist. Früher erfreuten auch sie sich der Selbstverwal¬
tung, sie konnte ihnen aber nicht gelassen werden, als nach Aufhebung der Sklaverei dem
englischen Pflanzer der Neger als „freier Staatsbürger" zur Seite trat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/60>, abgerufen am 22.07.2024.