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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Das Rainumdtheater in Ivien

gefesselte Phantasie. Wir gestehe", daß wir der Aufführung mit einigem Bangen
entgegensahen. Wie alle Werke Raimunds, birgt ja auch dieses einen edel"
Poetischen Kern, aber es setzt noch mehr als jedes andre seiner Theaterstücke
beim Zuschauer eine gewisse kindliche Naivität voraus, die sich an einem sehr
veralteten Zciuberweseu und an mehr als harmlosen Späßen zu vergnügen
imstande ist. Nun ist zwar in Wien dieser Sinn vielleicht immer noch mehr
zu Hanse als in irgend einer andern großen Stadt, aber doch nicht in dem
Publikum einer Eröffnungsvorstellung. Wer an Ibsen, an Gerhard Haupt¬
mann und Sudermann Gefallen findet, dem muß die Naimundische Welt un¬
fehlbar Langeweile erregen. Zum Glück war das naivere Element am Er-
vffnungsabend gut vertreten, die "Modernen" waren in wohlwollender Stim¬
mung, die Ausstattung endlich war sehr schön -- viel schöner, als wir es
erwartet hatten, und so lief alles gut ab. Gespiele wurde ganz so, wie es einem
solchen Theater gemäß ist: niemand war besonders hervorragend, aber alle,
die wichtigere Rollen hatten, waren gut. Hermione, die Königin der Insel
Flora, die den Hirten Amphio liebt und ein Wettsingen um ihre Hand ver¬
unstaltet, aus dem sie ihren Geliebten zuversichtlich als Sieger hervorgehen
zu sehen hofft, bestach durch ihre edle Gestalt und ihr schönes, sanftes Antlitz,
sie bewegte sich mit Anstand und sprach mit Gefühl; der beglückte Amphio,
der sich zuletzt als Sohn des Fürsten von Atuut entpuppt, bewegte sich in den
herkömmlichen Formen und Tönen eines jugendlichen idealen Liebhabers, ohne
gar zu langweilig zu werden, der Hofpoet bemühte sich mit Erfolg, seine Rolle,
die leicht zur Karrikatur verleiten kann, diskret humoristisch zu gestalten, Ober-
Priester und Höflinge vermieden mit Geschick die ihnen besonders drohende
Klippe der Lächerlichkeit, der sich die beiden Zauberschwestern Vipria und
Arrogantia an einigen Stellen -- freilich ohne ihre Schuld -- bedenklich näherten.
Die Phantasie endlich, durch ein reizendes Liedchen eingeführt, war anmutig
in der Freiheit und in Banden: auch sie hütete sich, sich operettenhaft vor¬
zudrängen, und verdiente den starken Beifall, den sie einheimste, besonders durch
die Bescheidenheit, die sie auch im Übermute nicht verlor; wir hätten der Dar¬
stellerin (Fräulein Leuthold) eine solche Zurückhaltung kaum zugetraut. Von
der stärksten Wirkung waren auch diesmal die Szenen, in denen der Harfenist
Nachtigall auftritt. Es ist dies eine Rolle, in der Raimund selbst nicht nur
in Wien, sondern auch in München, Hamburg und Berlin großen Erfolg ge¬
habt und die uach ihm u. a. Nestroh gespielt hat. Herr Fröden aus Graz,
der sich damit in Wien einführte, zeigte sich dieser großen Vorgänger nicht
ganz unwürdig. Aber nicht nur diese Hauptfigur, auch alle Personen des
Zwischenspiels, dessen Schauplatz eine Wiener Vorstadtschenke ist, waren in der
äußern Erscheinung, in Ton, Sprache und Ausdruck vortrefflich. Sehr zu
loben war es auch, daß die Rolle des Apollo, der zuletzt auf dem Sonnen¬
wagen über dem Meer erscheint und ein paar Entscheidnngs- und Schluß-


Das Rainumdtheater in Ivien

gefesselte Phantasie. Wir gestehe», daß wir der Aufführung mit einigem Bangen
entgegensahen. Wie alle Werke Raimunds, birgt ja auch dieses einen edel»
Poetischen Kern, aber es setzt noch mehr als jedes andre seiner Theaterstücke
beim Zuschauer eine gewisse kindliche Naivität voraus, die sich an einem sehr
veralteten Zciuberweseu und an mehr als harmlosen Späßen zu vergnügen
imstande ist. Nun ist zwar in Wien dieser Sinn vielleicht immer noch mehr
zu Hanse als in irgend einer andern großen Stadt, aber doch nicht in dem
Publikum einer Eröffnungsvorstellung. Wer an Ibsen, an Gerhard Haupt¬
mann und Sudermann Gefallen findet, dem muß die Naimundische Welt un¬
fehlbar Langeweile erregen. Zum Glück war das naivere Element am Er-
vffnungsabend gut vertreten, die „Modernen" waren in wohlwollender Stim¬
mung, die Ausstattung endlich war sehr schön — viel schöner, als wir es
erwartet hatten, und so lief alles gut ab. Gespiele wurde ganz so, wie es einem
solchen Theater gemäß ist: niemand war besonders hervorragend, aber alle,
die wichtigere Rollen hatten, waren gut. Hermione, die Königin der Insel
Flora, die den Hirten Amphio liebt und ein Wettsingen um ihre Hand ver¬
unstaltet, aus dem sie ihren Geliebten zuversichtlich als Sieger hervorgehen
zu sehen hofft, bestach durch ihre edle Gestalt und ihr schönes, sanftes Antlitz,
sie bewegte sich mit Anstand und sprach mit Gefühl; der beglückte Amphio,
der sich zuletzt als Sohn des Fürsten von Atuut entpuppt, bewegte sich in den
herkömmlichen Formen und Tönen eines jugendlichen idealen Liebhabers, ohne
gar zu langweilig zu werden, der Hofpoet bemühte sich mit Erfolg, seine Rolle,
die leicht zur Karrikatur verleiten kann, diskret humoristisch zu gestalten, Ober-
Priester und Höflinge vermieden mit Geschick die ihnen besonders drohende
Klippe der Lächerlichkeit, der sich die beiden Zauberschwestern Vipria und
Arrogantia an einigen Stellen — freilich ohne ihre Schuld — bedenklich näherten.
Die Phantasie endlich, durch ein reizendes Liedchen eingeführt, war anmutig
in der Freiheit und in Banden: auch sie hütete sich, sich operettenhaft vor¬
zudrängen, und verdiente den starken Beifall, den sie einheimste, besonders durch
die Bescheidenheit, die sie auch im Übermute nicht verlor; wir hätten der Dar¬
stellerin (Fräulein Leuthold) eine solche Zurückhaltung kaum zugetraut. Von
der stärksten Wirkung waren auch diesmal die Szenen, in denen der Harfenist
Nachtigall auftritt. Es ist dies eine Rolle, in der Raimund selbst nicht nur
in Wien, sondern auch in München, Hamburg und Berlin großen Erfolg ge¬
habt und die uach ihm u. a. Nestroh gespielt hat. Herr Fröden aus Graz,
der sich damit in Wien einführte, zeigte sich dieser großen Vorgänger nicht
ganz unwürdig. Aber nicht nur diese Hauptfigur, auch alle Personen des
Zwischenspiels, dessen Schauplatz eine Wiener Vorstadtschenke ist, waren in der
äußern Erscheinung, in Ton, Sprache und Ausdruck vortrefflich. Sehr zu
loben war es auch, daß die Rolle des Apollo, der zuletzt auf dem Sonnen¬
wagen über dem Meer erscheint und ein paar Entscheidnngs- und Schluß-


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[0587] Das Rainumdtheater in Ivien gefesselte Phantasie. Wir gestehe», daß wir der Aufführung mit einigem Bangen entgegensahen. Wie alle Werke Raimunds, birgt ja auch dieses einen edel» Poetischen Kern, aber es setzt noch mehr als jedes andre seiner Theaterstücke beim Zuschauer eine gewisse kindliche Naivität voraus, die sich an einem sehr veralteten Zciuberweseu und an mehr als harmlosen Späßen zu vergnügen imstande ist. Nun ist zwar in Wien dieser Sinn vielleicht immer noch mehr zu Hanse als in irgend einer andern großen Stadt, aber doch nicht in dem Publikum einer Eröffnungsvorstellung. Wer an Ibsen, an Gerhard Haupt¬ mann und Sudermann Gefallen findet, dem muß die Naimundische Welt un¬ fehlbar Langeweile erregen. Zum Glück war das naivere Element am Er- vffnungsabend gut vertreten, die „Modernen" waren in wohlwollender Stim¬ mung, die Ausstattung endlich war sehr schön — viel schöner, als wir es erwartet hatten, und so lief alles gut ab. Gespiele wurde ganz so, wie es einem solchen Theater gemäß ist: niemand war besonders hervorragend, aber alle, die wichtigere Rollen hatten, waren gut. Hermione, die Königin der Insel Flora, die den Hirten Amphio liebt und ein Wettsingen um ihre Hand ver¬ unstaltet, aus dem sie ihren Geliebten zuversichtlich als Sieger hervorgehen zu sehen hofft, bestach durch ihre edle Gestalt und ihr schönes, sanftes Antlitz, sie bewegte sich mit Anstand und sprach mit Gefühl; der beglückte Amphio, der sich zuletzt als Sohn des Fürsten von Atuut entpuppt, bewegte sich in den herkömmlichen Formen und Tönen eines jugendlichen idealen Liebhabers, ohne gar zu langweilig zu werden, der Hofpoet bemühte sich mit Erfolg, seine Rolle, die leicht zur Karrikatur verleiten kann, diskret humoristisch zu gestalten, Ober- Priester und Höflinge vermieden mit Geschick die ihnen besonders drohende Klippe der Lächerlichkeit, der sich die beiden Zauberschwestern Vipria und Arrogantia an einigen Stellen — freilich ohne ihre Schuld — bedenklich näherten. Die Phantasie endlich, durch ein reizendes Liedchen eingeführt, war anmutig in der Freiheit und in Banden: auch sie hütete sich, sich operettenhaft vor¬ zudrängen, und verdiente den starken Beifall, den sie einheimste, besonders durch die Bescheidenheit, die sie auch im Übermute nicht verlor; wir hätten der Dar¬ stellerin (Fräulein Leuthold) eine solche Zurückhaltung kaum zugetraut. Von der stärksten Wirkung waren auch diesmal die Szenen, in denen der Harfenist Nachtigall auftritt. Es ist dies eine Rolle, in der Raimund selbst nicht nur in Wien, sondern auch in München, Hamburg und Berlin großen Erfolg ge¬ habt und die uach ihm u. a. Nestroh gespielt hat. Herr Fröden aus Graz, der sich damit in Wien einführte, zeigte sich dieser großen Vorgänger nicht ganz unwürdig. Aber nicht nur diese Hauptfigur, auch alle Personen des Zwischenspiels, dessen Schauplatz eine Wiener Vorstadtschenke ist, waren in der äußern Erscheinung, in Ton, Sprache und Ausdruck vortrefflich. Sehr zu loben war es auch, daß die Rolle des Apollo, der zuletzt auf dem Sonnen¬ wagen über dem Meer erscheint und ein paar Entscheidnngs- und Schluß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/587>, abgerufen am 30.06.2024.