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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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teuerste Sperrsitz kostet zwei Gulden, Logen giebt es gar nicht, für die Garde¬
robe und den Theaterzettel zahlt man nur die Hälfte von dem, was sonst gefordert
wird. Endlich ist das Theater so gebaut, daß Parkett und Parterre von den
Galerien nur zum kleinen Teil oder auch gar nicht gesehen werden können:
das Publikum also, das uur ins Theater geht, um gesehen zu werden, findet
seine Rechnung nicht, der Mangel an Logen wird auch keinen Tviletteniuxus
aufkommen lassen.

In diesem Theater nun, so gelegen, so gebaut und so eingerichtet, sollen
gute Volksstücke, hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich heimischen Ur¬
sprungs, bisweilen auch klassische Stücke gegeben werden. Der Leiter der Bühne,
früher Theaterreferent der Wiener Deutschen Zeitung, hat es dem sogenannten
Deutschen Volkstheater wiederholt zum schweren Vorwurf gemacht, daß es, ent¬
gegen dem ursprünglichen Plane, dem modernen Sensationsstück einen breiten
Raum gegönnt und auch ganz wertloses Possenzeug nicht verschmäht habe.
Davon will er sich nun vor allem freihalten. Auch soll nicht, wie es jetzt
fast wollen Wienern Theatern der Fall ist, der Schauspieler die Hauptsache
sein, sondern das Stück: wenn das Karltheater von seinen Blasel und Knaack,
das Theater an der Wien von seinem Girardi, das Volkstheater von seiner
Sandrock lebt, so soll das Naimnndtheater von den Dichtern getragen werden;
den Ehrgeiz also, einen "Stern" zu besitzen, hegt es nicht und spart damit
die hohen Gagen, die anderwärts niedrige Eintrittspreise unmöglich machen.

Man wird gestehen, daß das Programm des neuen Theaters sehr schön
ist; auch bietet die Persönlichkeit des Leiters mehr Bürgschaft, daß es auch
werde eingehalten werden, als dies seiner Zeit im Volkstheater der Fall war.
Denn was auch ernsthafte Gegner oder Spötter gegen Müller-Guttenbrunn
einzuwenden haben, eines muß man ihm doch lassen: es ist ihm Ernst um die
Sache, er hat Überzeugungstreue und Mut. Ob er auch die an solcher Sicile
notwendige Thatkraft und Ausdauer hat, wird freilich erst die Zeit lehren; es
ist aber kein Anlaß, von vornherein zu bezweifeln, daß wirklich die feste Absicht
bestehe, das, was man sich öffentlich zum Ziel gesetzt hat, auch zu erreichen.

Eine andre Frage ist, ob das Publikum das thun wird, was man von
ihm erwartet, ob es das wird thun können. Denn mehr als ein andres
Theater ist dieses nun darauf angewiesen, ein volles Haus zu haben. Das
Theater an der Wien kann sich damit begnügen, in der Woche etwa zu zwei
Dritteln gefüllt zu sein, und kann vier Monate im Jahre feiern, seine Preise
sind darnach; das Naimnndtheater kann das nicht. Ob aber die Bevölkerung
jener äußern westlichen Bezirke genng Geld und genug Sinn hat, ein Theater,
ein Theater mit solchem Programm allabendlich zu füllen, das ist nicht über
jeden Zweifel erhaben. Wir wünschen es und hoffen es.

Der Eröffnnngsabend brachte einen Prolog von Alfred von Berger, den
Frnnlein Barschen sprach, und das Originalzauberspiel von Raimund: Die



teuerste Sperrsitz kostet zwei Gulden, Logen giebt es gar nicht, für die Garde¬
robe und den Theaterzettel zahlt man nur die Hälfte von dem, was sonst gefordert
wird. Endlich ist das Theater so gebaut, daß Parkett und Parterre von den
Galerien nur zum kleinen Teil oder auch gar nicht gesehen werden können:
das Publikum also, das uur ins Theater geht, um gesehen zu werden, findet
seine Rechnung nicht, der Mangel an Logen wird auch keinen Tviletteniuxus
aufkommen lassen.

In diesem Theater nun, so gelegen, so gebaut und so eingerichtet, sollen
gute Volksstücke, hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich heimischen Ur¬
sprungs, bisweilen auch klassische Stücke gegeben werden. Der Leiter der Bühne,
früher Theaterreferent der Wiener Deutschen Zeitung, hat es dem sogenannten
Deutschen Volkstheater wiederholt zum schweren Vorwurf gemacht, daß es, ent¬
gegen dem ursprünglichen Plane, dem modernen Sensationsstück einen breiten
Raum gegönnt und auch ganz wertloses Possenzeug nicht verschmäht habe.
Davon will er sich nun vor allem freihalten. Auch soll nicht, wie es jetzt
fast wollen Wienern Theatern der Fall ist, der Schauspieler die Hauptsache
sein, sondern das Stück: wenn das Karltheater von seinen Blasel und Knaack,
das Theater an der Wien von seinem Girardi, das Volkstheater von seiner
Sandrock lebt, so soll das Naimnndtheater von den Dichtern getragen werden;
den Ehrgeiz also, einen „Stern" zu besitzen, hegt es nicht und spart damit
die hohen Gagen, die anderwärts niedrige Eintrittspreise unmöglich machen.

Man wird gestehen, daß das Programm des neuen Theaters sehr schön
ist; auch bietet die Persönlichkeit des Leiters mehr Bürgschaft, daß es auch
werde eingehalten werden, als dies seiner Zeit im Volkstheater der Fall war.
Denn was auch ernsthafte Gegner oder Spötter gegen Müller-Guttenbrunn
einzuwenden haben, eines muß man ihm doch lassen: es ist ihm Ernst um die
Sache, er hat Überzeugungstreue und Mut. Ob er auch die an solcher Sicile
notwendige Thatkraft und Ausdauer hat, wird freilich erst die Zeit lehren; es
ist aber kein Anlaß, von vornherein zu bezweifeln, daß wirklich die feste Absicht
bestehe, das, was man sich öffentlich zum Ziel gesetzt hat, auch zu erreichen.

Eine andre Frage ist, ob das Publikum das thun wird, was man von
ihm erwartet, ob es das wird thun können. Denn mehr als ein andres
Theater ist dieses nun darauf angewiesen, ein volles Haus zu haben. Das
Theater an der Wien kann sich damit begnügen, in der Woche etwa zu zwei
Dritteln gefüllt zu sein, und kann vier Monate im Jahre feiern, seine Preise
sind darnach; das Naimnndtheater kann das nicht. Ob aber die Bevölkerung
jener äußern westlichen Bezirke genng Geld und genug Sinn hat, ein Theater,
ein Theater mit solchem Programm allabendlich zu füllen, das ist nicht über
jeden Zweifel erhaben. Wir wünschen es und hoffen es.

Der Eröffnnngsabend brachte einen Prolog von Alfred von Berger, den
Frnnlein Barschen sprach, und das Originalzauberspiel von Raimund: Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/586>, abgerufen am 02.07.2024.