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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Gebiete, das an der eignen Küste beginnt und alle befahrnen Gewässer der
Erde umfaßt. Legt sich der Feind im Kriege mit einer mächtigen Panzerflottc
vor die Mündungen der Elbe und der Weser, deren Küsten durch Festungs¬
werke, Panzerkanoneubovte, Minensperren und Torpedoboote cinfs beste ver¬
teidigt sein mögen, so siud die Geschütze Knxhavens, Geestemündes und Helgo¬
lands nicht imstande, die Fahrstraßen der Elbe und Weser für unsre Handels¬
schiffe freizuhalten. Was bleibt also da übrig? Entweder die deutsche Flagge
während der Kriegszeit vom freien Meere verschwinden und sich in die Mause¬
löcher des Seehandels, die man neutrale Häfen nennt, verkriechen zu lassen,
wie es 1848 und 1870 nötig wurde, oder deu Feind von den Thoren der
eignen Seeplätze zu verjagen. Das zweite läßt sich aber nur mit einer kräf¬
tigen Panzerflvtte ausführen, das sollte eigentlich jedem Binnenländer ohne
weiteres klar sein. Und doch, welch Geschrei erhoben vor zwei Jahren unsre
Landratten, als die Marineverwaltnng mehr Panzerschiffe forderte! "Uferlose
Flottenerweiterungspläne" nannten die klugen Reichsbotcn, nnter denen freilich
nur ein alter Admiral, ein Reeber und früherer Handelslapitän und ein Schiffs-
koch die Einzigen "Sachverständigen" waren, jene ganz natürliche" Forderungen.
Im jüngsten Reichstage aber ist von diesen Seeleuten nur noch der Reeber
übrig geblieben; d. h. Deutschland, dessen Handelsflotte mit Rücksicht ans die
Zal>l und die Größe ihrer Dampfer die zweitgrößte der Erde ist, hat einen,
sage und schreibe einen Seemann in seinein Reichstage! Die Herzkammern
des deutschen Seewesens, Hamburg und Bremen, die fast allein den ganzen
überseeischen Handel Deutschlands betreiben -- denn die unbedeutenden preu¬
ßischen und mecklenburgischen Seehäfen leben fast nnr vom Küstenhandel --,
also die Heimathäfen unsrer eigentlichen Hochseehandelsflotte, sind ohne sach¬
kundige Vertreter geblieben!

Mit Rücksicht auf unsre wahrscheinlichen Gegner ist zunächst die Frage
zu beantworten: Soll sich Deutschland, dessen überseeischer Handel mindestens
doppelt, vielleicht sogar dreimal so groß ist, wie der Hochseehandel Frankreichs
und Rußlands zusammengenommen, im Kriegsfalle vom Seeverkehr zurückziehen
und die zwei Drittel seiner Handelsflotte, die außerhalb der Heimat auf allen
Meeren schwimmen, den Feinden überlassen oder nicht? Ein Rückzug vom
Meere wäre ebenso schädlich wie kläglich. Der Schaden bestünde darin, daß
15>- bis 200V0 an Gefahren gewöhnte Seeleute der Landesverteidigung ent¬
zogen würden, daß Milliarden deutschen Eigentums verloren gingen, daß die
Zufuhr von See aus abgeschnitten, überhaupt der Seehandel gänzlich lahm
gelegt werden würde. In Hamburg allein führte der durch die böse Krank¬
heit im vorigen Jahre verminderte Schiffsverkehr täglich einen Verlust von
mehreren Millionen herbei; darnach kann sich jeder einen Anschlag machen,
welchen Schaden die Absperrung des Seehandels für Deutschland bei einem
Kriege von mehreren Monaten anrichten würde.


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Gebiete, das an der eignen Küste beginnt und alle befahrnen Gewässer der
Erde umfaßt. Legt sich der Feind im Kriege mit einer mächtigen Panzerflottc
vor die Mündungen der Elbe und der Weser, deren Küsten durch Festungs¬
werke, Panzerkanoneubovte, Minensperren und Torpedoboote cinfs beste ver¬
teidigt sein mögen, so siud die Geschütze Knxhavens, Geestemündes und Helgo¬
lands nicht imstande, die Fahrstraßen der Elbe und Weser für unsre Handels¬
schiffe freizuhalten. Was bleibt also da übrig? Entweder die deutsche Flagge
während der Kriegszeit vom freien Meere verschwinden und sich in die Mause¬
löcher des Seehandels, die man neutrale Häfen nennt, verkriechen zu lassen,
wie es 1848 und 1870 nötig wurde, oder deu Feind von den Thoren der
eignen Seeplätze zu verjagen. Das zweite läßt sich aber nur mit einer kräf¬
tigen Panzerflvtte ausführen, das sollte eigentlich jedem Binnenländer ohne
weiteres klar sein. Und doch, welch Geschrei erhoben vor zwei Jahren unsre
Landratten, als die Marineverwaltnng mehr Panzerschiffe forderte! „Uferlose
Flottenerweiterungspläne" nannten die klugen Reichsbotcn, nnter denen freilich
nur ein alter Admiral, ein Reeber und früherer Handelslapitän und ein Schiffs-
koch die Einzigen „Sachverständigen" waren, jene ganz natürliche» Forderungen.
Im jüngsten Reichstage aber ist von diesen Seeleuten nur noch der Reeber
übrig geblieben; d. h. Deutschland, dessen Handelsflotte mit Rücksicht ans die
Zal>l und die Größe ihrer Dampfer die zweitgrößte der Erde ist, hat einen,
sage und schreibe einen Seemann in seinein Reichstage! Die Herzkammern
des deutschen Seewesens, Hamburg und Bremen, die fast allein den ganzen
überseeischen Handel Deutschlands betreiben — denn die unbedeutenden preu¬
ßischen und mecklenburgischen Seehäfen leben fast nnr vom Küstenhandel —,
also die Heimathäfen unsrer eigentlichen Hochseehandelsflotte, sind ohne sach¬
kundige Vertreter geblieben!

Mit Rücksicht auf unsre wahrscheinlichen Gegner ist zunächst die Frage
zu beantworten: Soll sich Deutschland, dessen überseeischer Handel mindestens
doppelt, vielleicht sogar dreimal so groß ist, wie der Hochseehandel Frankreichs
und Rußlands zusammengenommen, im Kriegsfalle vom Seeverkehr zurückziehen
und die zwei Drittel seiner Handelsflotte, die außerhalb der Heimat auf allen
Meeren schwimmen, den Feinden überlassen oder nicht? Ein Rückzug vom
Meere wäre ebenso schädlich wie kläglich. Der Schaden bestünde darin, daß
15>- bis 200V0 an Gefahren gewöhnte Seeleute der Landesverteidigung ent¬
zogen würden, daß Milliarden deutschen Eigentums verloren gingen, daß die
Zufuhr von See aus abgeschnitten, überhaupt der Seehandel gänzlich lahm
gelegt werden würde. In Hamburg allein führte der durch die böse Krank¬
heit im vorigen Jahre verminderte Schiffsverkehr täglich einen Verlust von
mehreren Millionen herbei; darnach kann sich jeder einen Anschlag machen,
welchen Schaden die Absperrung des Seehandels für Deutschland bei einem
Kriege von mehreren Monaten anrichten würde.


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[0566] Mehr Kreuzer! Gebiete, das an der eignen Küste beginnt und alle befahrnen Gewässer der Erde umfaßt. Legt sich der Feind im Kriege mit einer mächtigen Panzerflottc vor die Mündungen der Elbe und der Weser, deren Küsten durch Festungs¬ werke, Panzerkanoneubovte, Minensperren und Torpedoboote cinfs beste ver¬ teidigt sein mögen, so siud die Geschütze Knxhavens, Geestemündes und Helgo¬ lands nicht imstande, die Fahrstraßen der Elbe und Weser für unsre Handels¬ schiffe freizuhalten. Was bleibt also da übrig? Entweder die deutsche Flagge während der Kriegszeit vom freien Meere verschwinden und sich in die Mause¬ löcher des Seehandels, die man neutrale Häfen nennt, verkriechen zu lassen, wie es 1848 und 1870 nötig wurde, oder deu Feind von den Thoren der eignen Seeplätze zu verjagen. Das zweite läßt sich aber nur mit einer kräf¬ tigen Panzerflvtte ausführen, das sollte eigentlich jedem Binnenländer ohne weiteres klar sein. Und doch, welch Geschrei erhoben vor zwei Jahren unsre Landratten, als die Marineverwaltnng mehr Panzerschiffe forderte! „Uferlose Flottenerweiterungspläne" nannten die klugen Reichsbotcn, nnter denen freilich nur ein alter Admiral, ein Reeber und früherer Handelslapitän und ein Schiffs- koch die Einzigen „Sachverständigen" waren, jene ganz natürliche» Forderungen. Im jüngsten Reichstage aber ist von diesen Seeleuten nur noch der Reeber übrig geblieben; d. h. Deutschland, dessen Handelsflotte mit Rücksicht ans die Zal>l und die Größe ihrer Dampfer die zweitgrößte der Erde ist, hat einen, sage und schreibe einen Seemann in seinein Reichstage! Die Herzkammern des deutschen Seewesens, Hamburg und Bremen, die fast allein den ganzen überseeischen Handel Deutschlands betreiben — denn die unbedeutenden preu¬ ßischen und mecklenburgischen Seehäfen leben fast nnr vom Küstenhandel —, also die Heimathäfen unsrer eigentlichen Hochseehandelsflotte, sind ohne sach¬ kundige Vertreter geblieben! Mit Rücksicht auf unsre wahrscheinlichen Gegner ist zunächst die Frage zu beantworten: Soll sich Deutschland, dessen überseeischer Handel mindestens doppelt, vielleicht sogar dreimal so groß ist, wie der Hochseehandel Frankreichs und Rußlands zusammengenommen, im Kriegsfalle vom Seeverkehr zurückziehen und die zwei Drittel seiner Handelsflotte, die außerhalb der Heimat auf allen Meeren schwimmen, den Feinden überlassen oder nicht? Ein Rückzug vom Meere wäre ebenso schädlich wie kläglich. Der Schaden bestünde darin, daß 15>- bis 200V0 an Gefahren gewöhnte Seeleute der Landesverteidigung ent¬ zogen würden, daß Milliarden deutschen Eigentums verloren gingen, daß die Zufuhr von See aus abgeschnitten, überhaupt der Seehandel gänzlich lahm gelegt werden würde. In Hamburg allein führte der durch die böse Krank¬ heit im vorigen Jahre verminderte Schiffsverkehr täglich einen Verlust von mehreren Millionen herbei; darnach kann sich jeder einen Anschlag machen, welchen Schaden die Absperrung des Seehandels für Deutschland bei einem Kriege von mehreren Monaten anrichten würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/566>, abgerufen am 24.07.2024.