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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Annette von Droste-Hülshoff und Üevin Schücking

ist ein lehrreicher Beleg zu dein Satze, daß man sich über dergleichen nnr
bei unmittelbarer Berührung, niemals ans der Ferne verständigen kann.
Charakteristisch ist, wie Annette ihre knorrig kräftigen Bilder und Ausdrücke
verteidigt, wie sie da, wo sie Änderungen für notwendig erkennt, die zahmern
Vorschläge Schückings gleich übertrumpft (vergl. S. 285, 286, 298 des Buches),
und wie sie alles in allem den Leser an ihr köstliches Spottgedicht "DaS
Eselein" erinnert, mit denk sie in den Meersburger Tagen Schückings Ver-
schönernngseifer belohnte i

Im selbe" Grunde schritt oft und viel
Ein edler Jüngling spazieren,
Hinter jedem Ohre ein Federkiel,
Das that ihn wunderbar zieren!
Am Rücken ein Gänseflügelpaar,
Die thaten rauschen und wedeln,
Und wißt, seine göttliche Gabe war,
Die schlechte Natur zu veredeln.
---- Er fing im Spiegel den Strahl
Und ließ ihn zucken wie Flammen,
Die ruppiger Gräser strich er zumal
Und flocht sie sauber zusammen;
An Steinen schleppt er sich krank und matt
Für ein Ruiuchen am Hügel,
Dem Hasen kämmt' er die Wolle glatt,
Und frisirt' den Mücken die Flügel.

Bekanntlich stützt der edle Jüngling in diesem Gedichte ein etwas ruppiges
Schimmclchcn zu einem Esel zurecht. Sicher soll dem vortrefflichen Schücking
und seinem Eifer nicht so Spöttliches nachgesagt werden, aber er selbst gestand
in spätern Jahren ehrlich ein, daß er heute seine Freundin minder eifrig zur
Feile ihrer Verse ernähren und dabei selbst Hand anlegen würde, "weil die
Form viel mehr zum charakteristischen Wesen dieser unvergleichlichen Poesie
gehört, als ich damals einsah." Auch in ihrer Prosa, in der Gedankenfolge
dieser Briefe und in dem Wechsel ihres übermütigen lind wehmütigen Tones
findet sich etwas von dem charakteristischen Wesen dieser Poesie.

Die Herausgabe der, wie es scheint, nnr durch einen glücklichen Zufall
vor dem Feuer bewahrt gebliebner Briefe (in diesem Falle hätte die Flamme
einen Raub verübt, während sie in tausend andern Fällen ein gutes Werk
verrichten würde) zeigt von rühmlicher Sorgfalt. Die Anmerkungen belehren
uns ohne alle Wichtigthuerei über die Verhältnisse der in den Briefen auf¬
tauchenden Personen. Ein paar Irrtümer sind doch dabei untergelaufein der
Gouverneur vou Neufchatel. den Annette Droste "General Pfuhl" schreibt
<S. 147), war der General E. von PfiM, vor Zeiten der Jugendfreund des
unglücklichen Heinrich von Kleist; der neue Redakteur der Dresdner "Abend-


Annette von Droste-Hülshoff und Üevin Schücking

ist ein lehrreicher Beleg zu dein Satze, daß man sich über dergleichen nnr
bei unmittelbarer Berührung, niemals ans der Ferne verständigen kann.
Charakteristisch ist, wie Annette ihre knorrig kräftigen Bilder und Ausdrücke
verteidigt, wie sie da, wo sie Änderungen für notwendig erkennt, die zahmern
Vorschläge Schückings gleich übertrumpft (vergl. S. 285, 286, 298 des Buches),
und wie sie alles in allem den Leser an ihr köstliches Spottgedicht „DaS
Eselein" erinnert, mit denk sie in den Meersburger Tagen Schückings Ver-
schönernngseifer belohnte i

Im selbe» Grunde schritt oft und viel
Ein edler Jüngling spazieren,
Hinter jedem Ohre ein Federkiel,
Das that ihn wunderbar zieren!
Am Rücken ein Gänseflügelpaar,
Die thaten rauschen und wedeln,
Und wißt, seine göttliche Gabe war,
Die schlechte Natur zu veredeln.
--— Er fing im Spiegel den Strahl
Und ließ ihn zucken wie Flammen,
Die ruppiger Gräser strich er zumal
Und flocht sie sauber zusammen;
An Steinen schleppt er sich krank und matt
Für ein Ruiuchen am Hügel,
Dem Hasen kämmt' er die Wolle glatt,
Und frisirt' den Mücken die Flügel.

Bekanntlich stützt der edle Jüngling in diesem Gedichte ein etwas ruppiges
Schimmclchcn zu einem Esel zurecht. Sicher soll dem vortrefflichen Schücking
und seinem Eifer nicht so Spöttliches nachgesagt werden, aber er selbst gestand
in spätern Jahren ehrlich ein, daß er heute seine Freundin minder eifrig zur
Feile ihrer Verse ernähren und dabei selbst Hand anlegen würde, „weil die
Form viel mehr zum charakteristischen Wesen dieser unvergleichlichen Poesie
gehört, als ich damals einsah." Auch in ihrer Prosa, in der Gedankenfolge
dieser Briefe und in dem Wechsel ihres übermütigen lind wehmütigen Tones
findet sich etwas von dem charakteristischen Wesen dieser Poesie.

Die Herausgabe der, wie es scheint, nnr durch einen glücklichen Zufall
vor dem Feuer bewahrt gebliebner Briefe (in diesem Falle hätte die Flamme
einen Raub verübt, während sie in tausend andern Fällen ein gutes Werk
verrichten würde) zeigt von rühmlicher Sorgfalt. Die Anmerkungen belehren
uns ohne alle Wichtigthuerei über die Verhältnisse der in den Briefen auf¬
tauchenden Personen. Ein paar Irrtümer sind doch dabei untergelaufein der
Gouverneur vou Neufchatel. den Annette Droste „General Pfuhl" schreibt
<S. 147), war der General E. von PfiM, vor Zeiten der Jugendfreund des
unglücklichen Heinrich von Kleist; der neue Redakteur der Dresdner „Abend-


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[0534] Annette von Droste-Hülshoff und Üevin Schücking ist ein lehrreicher Beleg zu dein Satze, daß man sich über dergleichen nnr bei unmittelbarer Berührung, niemals ans der Ferne verständigen kann. Charakteristisch ist, wie Annette ihre knorrig kräftigen Bilder und Ausdrücke verteidigt, wie sie da, wo sie Änderungen für notwendig erkennt, die zahmern Vorschläge Schückings gleich übertrumpft (vergl. S. 285, 286, 298 des Buches), und wie sie alles in allem den Leser an ihr köstliches Spottgedicht „DaS Eselein" erinnert, mit denk sie in den Meersburger Tagen Schückings Ver- schönernngseifer belohnte i Im selbe» Grunde schritt oft und viel Ein edler Jüngling spazieren, Hinter jedem Ohre ein Federkiel, Das that ihn wunderbar zieren! Am Rücken ein Gänseflügelpaar, Die thaten rauschen und wedeln, Und wißt, seine göttliche Gabe war, Die schlechte Natur zu veredeln. --— Er fing im Spiegel den Strahl Und ließ ihn zucken wie Flammen, Die ruppiger Gräser strich er zumal Und flocht sie sauber zusammen; An Steinen schleppt er sich krank und matt Für ein Ruiuchen am Hügel, Dem Hasen kämmt' er die Wolle glatt, Und frisirt' den Mücken die Flügel. Bekanntlich stützt der edle Jüngling in diesem Gedichte ein etwas ruppiges Schimmclchcn zu einem Esel zurecht. Sicher soll dem vortrefflichen Schücking und seinem Eifer nicht so Spöttliches nachgesagt werden, aber er selbst gestand in spätern Jahren ehrlich ein, daß er heute seine Freundin minder eifrig zur Feile ihrer Verse ernähren und dabei selbst Hand anlegen würde, „weil die Form viel mehr zum charakteristischen Wesen dieser unvergleichlichen Poesie gehört, als ich damals einsah." Auch in ihrer Prosa, in der Gedankenfolge dieser Briefe und in dem Wechsel ihres übermütigen lind wehmütigen Tones findet sich etwas von dem charakteristischen Wesen dieser Poesie. Die Herausgabe der, wie es scheint, nnr durch einen glücklichen Zufall vor dem Feuer bewahrt gebliebner Briefe (in diesem Falle hätte die Flamme einen Raub verübt, während sie in tausend andern Fällen ein gutes Werk verrichten würde) zeigt von rühmlicher Sorgfalt. Die Anmerkungen belehren uns ohne alle Wichtigthuerei über die Verhältnisse der in den Briefen auf¬ tauchenden Personen. Ein paar Irrtümer sind doch dabei untergelaufein der Gouverneur vou Neufchatel. den Annette Droste „General Pfuhl" schreibt <S. 147), war der General E. von PfiM, vor Zeiten der Jugendfreund des unglücklichen Heinrich von Kleist; der neue Redakteur der Dresdner „Abend-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/534>, abgerufen am 22.07.2024.