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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Annette von Droste-Hiilshoff und Levin Schiicking

gnädiges Fräulein." Da höre ich soeben die Prozession kommen. -- Sie ist
vorübergegangen, meine gute Jenny ^Freifrau von Laßberg, die ältere Schwester
der Dichterin^, mitten drin, zwischen lauter alten Frauen, unter denen sie mit
ihren zwei schneeweißen Kinderchen an der Hand ordentlich wie ein frommes,
anmutiges Madönnchen aussah; sie kann mich oft recht rühren, besonders wenn
ich denke, wie bald sie Witwe sein wird."^°) An solchen absichtslosen kleinen
Bildern sind die Briefe überreich, für jeden, der ein Auge dafür hat, reiht
sich deutlich Bild an Bild.

Auch der Wechsel des Lebens, dem Annette und ihr junger Freund mit
tapferen Gemüt gegenüberstehen, spiegelt sich bis zur Wehmut in diesen Briefen,
man merkt, daß es sich verhielt, wie die Dichterin am 10. Oktober 1842
seufzt: "Was soll ich Ihnen von meiner Lebensweise sagen? Sie ist so ein¬
förmig, wie Sie sie kennen und sie mir gerade zusagt: Nüschhaus in seiner
bekannten melancholischen Freundlichkeit, im Garten die Rosen, die mich immer
rühren, wenn ich denke, wie ich sie Ihnen vor nur schon zwei Jahren beim
Abschiede gab, als Sie Ihr Schnltenamt niederlegten und ich nach Hülshoff
zog, um den einen kleinen Ferdinand sterben und den andern geboren werden
zu sehen. Lieber Levin, unser Zusammenleben in Rüschhaus war die poeti¬
scheste und das in Meersburg gewiß die heimischeste und herzlichste Zeit unsers
beiderseitigen Lebens, und die Welt kömmt mir seitdem gewaltig nüchtern vor."

Schließlich ist es vergeblich, in ein paar Sätzen die Gemütsfüllc dieser
Briefe anschaulich machen zu wollen; auch ist es recht gut so, denn ein so
liebenswürdiges Buch, aus dem warmes Leben quillt, wo mau es ausschlägt,
will und soll eben gelesen werden. Alle Auszüge hinterlassen schon darum
eiuen falschen Eindruck, weil sie die außerordentliche Mannichfaltigkeit der
Gegenstünde, der Empfindungen und die feinen zwanglosen Übergänge in den
Briefen nicht wiedergeben können. Ein Leser, der nicht gelangweilt über die
Seiten hinblickt, sondern der von dem leisen Fluß der Stimmung unmerklich
ergriffen und von Brief zu Brief getragen wird, ist der rechte. Hoffentlich
finden sich solche Leser in möglichst weiten und verschiednen Kreisen. Kommen
doch die mannichfachsten Interessen in dem Briefwechsel zur Sprache. Die
Liebenswürdigkeit, mit der "das kleine Pferd" ans allen seinen oft mühseligen
Wegen selbst der Sammlerleidenschaft Annelees gedenkt und an alten Münzen.
Autographen, Krhstallstufen und andern Mineralien aufpackt, was es mir fort¬
bringen kann, entspricht der unermüdlichen Teilnahme, mit der sein "Mütter¬
chen" alles begrüßt und nach Gebühr würdigt, was damals aus der noch
jugendlichen Feder Schückings hervorging. Die spätere Korrespondenz über
die Verbesserung der Gedichte Annelees, die sich Schücking angelegen sein ließ,



Ihr Schwager Laßberg, der Annette Droste 1342 so steinalt erschien, überlebte die
Dichterin noch um volle sieben Jahre, er starb erst 1855.
Annette von Droste-Hiilshoff und Levin Schiicking

gnädiges Fräulein.« Da höre ich soeben die Prozession kommen. — Sie ist
vorübergegangen, meine gute Jenny ^Freifrau von Laßberg, die ältere Schwester
der Dichterin^, mitten drin, zwischen lauter alten Frauen, unter denen sie mit
ihren zwei schneeweißen Kinderchen an der Hand ordentlich wie ein frommes,
anmutiges Madönnchen aussah; sie kann mich oft recht rühren, besonders wenn
ich denke, wie bald sie Witwe sein wird."^°) An solchen absichtslosen kleinen
Bildern sind die Briefe überreich, für jeden, der ein Auge dafür hat, reiht
sich deutlich Bild an Bild.

Auch der Wechsel des Lebens, dem Annette und ihr junger Freund mit
tapferen Gemüt gegenüberstehen, spiegelt sich bis zur Wehmut in diesen Briefen,
man merkt, daß es sich verhielt, wie die Dichterin am 10. Oktober 1842
seufzt: „Was soll ich Ihnen von meiner Lebensweise sagen? Sie ist so ein¬
förmig, wie Sie sie kennen und sie mir gerade zusagt: Nüschhaus in seiner
bekannten melancholischen Freundlichkeit, im Garten die Rosen, die mich immer
rühren, wenn ich denke, wie ich sie Ihnen vor nur schon zwei Jahren beim
Abschiede gab, als Sie Ihr Schnltenamt niederlegten und ich nach Hülshoff
zog, um den einen kleinen Ferdinand sterben und den andern geboren werden
zu sehen. Lieber Levin, unser Zusammenleben in Rüschhaus war die poeti¬
scheste und das in Meersburg gewiß die heimischeste und herzlichste Zeit unsers
beiderseitigen Lebens, und die Welt kömmt mir seitdem gewaltig nüchtern vor."

Schließlich ist es vergeblich, in ein paar Sätzen die Gemütsfüllc dieser
Briefe anschaulich machen zu wollen; auch ist es recht gut so, denn ein so
liebenswürdiges Buch, aus dem warmes Leben quillt, wo mau es ausschlägt,
will und soll eben gelesen werden. Alle Auszüge hinterlassen schon darum
eiuen falschen Eindruck, weil sie die außerordentliche Mannichfaltigkeit der
Gegenstünde, der Empfindungen und die feinen zwanglosen Übergänge in den
Briefen nicht wiedergeben können. Ein Leser, der nicht gelangweilt über die
Seiten hinblickt, sondern der von dem leisen Fluß der Stimmung unmerklich
ergriffen und von Brief zu Brief getragen wird, ist der rechte. Hoffentlich
finden sich solche Leser in möglichst weiten und verschiednen Kreisen. Kommen
doch die mannichfachsten Interessen in dem Briefwechsel zur Sprache. Die
Liebenswürdigkeit, mit der „das kleine Pferd" ans allen seinen oft mühseligen
Wegen selbst der Sammlerleidenschaft Annelees gedenkt und an alten Münzen.
Autographen, Krhstallstufen und andern Mineralien aufpackt, was es mir fort¬
bringen kann, entspricht der unermüdlichen Teilnahme, mit der sein „Mütter¬
chen" alles begrüßt und nach Gebühr würdigt, was damals aus der noch
jugendlichen Feder Schückings hervorging. Die spätere Korrespondenz über
die Verbesserung der Gedichte Annelees, die sich Schücking angelegen sein ließ,



Ihr Schwager Laßberg, der Annette Droste 1342 so steinalt erschien, überlebte die
Dichterin noch um volle sieben Jahre, er starb erst 1855.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/533>, abgerufen am 22.07.2024.