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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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allen gesellt sich ein Stil, der sich bald in die abschreckendste scholastische Formel¬
wirtschaft verliert, bald gesucht bis zum Komischen ist. Der Verfasser spricht
von einem "Felde der Geistesbildung, wo die Persönlichkeit gemäß des Geistes
Wesen des Geistes Schwingen frei und freier falten kann"; er fordert von der
Arbeiterbildung: "sie muß sich dem Heimatboden des großen, weiten Volks¬
lebens anpassen, in Berührung mit demselben Funken schlagen, über dieses Feld
hiu Licht werfen und für die hier auftauchenden Fragen und Bedürfnisse eine
befriedigende Antwort haben" (S. 16 s.). Mau denke sich einmal plastisch die
Arbeiterbildung bei dieser verwickelten Thätigkeit!

Ich glaube also nicht ungerecht zu sein, wenn ich sage: für einen "Ausruf
zur Organisation der Volksbildung" und obendrein für eine Preisschrift ist
diese Veröffentlichung in einer Weise unklar, die das Maß des Erlaubten über¬
schreitet. Daß einiges Gute mit unterläuft, soll damit nicht geleugnet werden,
so namentlich die freilich nicht allzu schwere Erkenntnis, daß man eine gediegne
Bildung in den Arbeiterkreisen nur schaffen könne, wenn man sie eingliedere
in die Pflege der richtigen Volksbildung überhaupt.

Ich hätte diese Schrift stillschweigend den Weg gehen lassen, den sie doch
nehmen wird -- den Weg zur Vergessenheit, wenn sie nicht ein TyPuS und
noch dazu ein preisgekrönter Typus wäre für jenes verworrene Dreinreden in
die großen Aufgaben der Zeit, das allmählich zu einer förmlichen Broschüren¬
manie führt. Papier und Druck sind ja billig zu habe", noch billiger ein ge¬
wisser Vorrat von Schlagwörtern, von philosophischen oder politischen Schul-
begriffeu, von allgemeinen Redensarten; legt mau diesem Vorrat noch ein
bischen vom eignen zu, so reiches bequem zu 100 oder 150 Seiten "Lösung"
der sozialen, der pädagogischen, der antisemitischen Fragen. Also nur nicht
zögern, die Welt zu beglücken! Daß man mit solchen Elaboraten auch eine Ver¬
antwortung vor der Öffentlichkeit übernimmt, daß es eine Pflicht fein kann,
in diesen Dingen zu schweigen, wenn mau nichts Neues oder das Neue nicht
klar und deutsch zu sagen weiß, dafür ist das Gefühl sehr selten geworden,
zum Schaden der wirklichen geistigen Arbeit an den nationalen Aufgaben.
Denn neben jenem mißtönenden überlauten Chor verhallen oder verstummen
nur zu leicht die zuverlässigen Stimmen; in der trüben Hochflut einer der¬
artigen Litteratur geht am Ende auch das Interesse der Wohlwollenden ret¬
tungslos unter. Deshalb ist es notwendig, von Zeit zu Zeit so einen Typus
herauszugreifen und festzunageln, in der Hoffnung, dem Bessern damit Platz
zu schaffe". Die Zukunft freilich wird es angenehmer haben, sie wird sich über
diese Volksbeglücker nicht mehr ereifern, wird sie nicht mehr zu lesen brauchen.
Mit einem mitleidigen Lächeln überschaut sie wohl, was dann schon lange
Makulatur ist, und spricht die Worte, mit denen man auch das Schlechte be¬
gräbt: Il.ecjuivso->.t in Meo!




allen gesellt sich ein Stil, der sich bald in die abschreckendste scholastische Formel¬
wirtschaft verliert, bald gesucht bis zum Komischen ist. Der Verfasser spricht
von einem „Felde der Geistesbildung, wo die Persönlichkeit gemäß des Geistes
Wesen des Geistes Schwingen frei und freier falten kann"; er fordert von der
Arbeiterbildung: „sie muß sich dem Heimatboden des großen, weiten Volks¬
lebens anpassen, in Berührung mit demselben Funken schlagen, über dieses Feld
hiu Licht werfen und für die hier auftauchenden Fragen und Bedürfnisse eine
befriedigende Antwort haben" (S. 16 s.). Mau denke sich einmal plastisch die
Arbeiterbildung bei dieser verwickelten Thätigkeit!

Ich glaube also nicht ungerecht zu sein, wenn ich sage: für einen „Ausruf
zur Organisation der Volksbildung" und obendrein für eine Preisschrift ist
diese Veröffentlichung in einer Weise unklar, die das Maß des Erlaubten über¬
schreitet. Daß einiges Gute mit unterläuft, soll damit nicht geleugnet werden,
so namentlich die freilich nicht allzu schwere Erkenntnis, daß man eine gediegne
Bildung in den Arbeiterkreisen nur schaffen könne, wenn man sie eingliedere
in die Pflege der richtigen Volksbildung überhaupt.

Ich hätte diese Schrift stillschweigend den Weg gehen lassen, den sie doch
nehmen wird — den Weg zur Vergessenheit, wenn sie nicht ein TyPuS und
noch dazu ein preisgekrönter Typus wäre für jenes verworrene Dreinreden in
die großen Aufgaben der Zeit, das allmählich zu einer förmlichen Broschüren¬
manie führt. Papier und Druck sind ja billig zu habe», noch billiger ein ge¬
wisser Vorrat von Schlagwörtern, von philosophischen oder politischen Schul-
begriffeu, von allgemeinen Redensarten; legt mau diesem Vorrat noch ein
bischen vom eignen zu, so reiches bequem zu 100 oder 150 Seiten „Lösung"
der sozialen, der pädagogischen, der antisemitischen Fragen. Also nur nicht
zögern, die Welt zu beglücken! Daß man mit solchen Elaboraten auch eine Ver¬
antwortung vor der Öffentlichkeit übernimmt, daß es eine Pflicht fein kann,
in diesen Dingen zu schweigen, wenn mau nichts Neues oder das Neue nicht
klar und deutsch zu sagen weiß, dafür ist das Gefühl sehr selten geworden,
zum Schaden der wirklichen geistigen Arbeit an den nationalen Aufgaben.
Denn neben jenem mißtönenden überlauten Chor verhallen oder verstummen
nur zu leicht die zuverlässigen Stimmen; in der trüben Hochflut einer der¬
artigen Litteratur geht am Ende auch das Interesse der Wohlwollenden ret¬
tungslos unter. Deshalb ist es notwendig, von Zeit zu Zeit so einen Typus
herauszugreifen und festzunageln, in der Hoffnung, dem Bessern damit Platz
zu schaffe». Die Zukunft freilich wird es angenehmer haben, sie wird sich über
diese Volksbeglücker nicht mehr ereifern, wird sie nicht mehr zu lesen brauchen.
Mit einem mitleidigen Lächeln überschaut sie wohl, was dann schon lange
Makulatur ist, und spricht die Worte, mit denen man auch das Schlechte be¬
gräbt: Il.ecjuivso->.t in Meo!




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[0526] allen gesellt sich ein Stil, der sich bald in die abschreckendste scholastische Formel¬ wirtschaft verliert, bald gesucht bis zum Komischen ist. Der Verfasser spricht von einem „Felde der Geistesbildung, wo die Persönlichkeit gemäß des Geistes Wesen des Geistes Schwingen frei und freier falten kann"; er fordert von der Arbeiterbildung: „sie muß sich dem Heimatboden des großen, weiten Volks¬ lebens anpassen, in Berührung mit demselben Funken schlagen, über dieses Feld hiu Licht werfen und für die hier auftauchenden Fragen und Bedürfnisse eine befriedigende Antwort haben" (S. 16 s.). Mau denke sich einmal plastisch die Arbeiterbildung bei dieser verwickelten Thätigkeit! Ich glaube also nicht ungerecht zu sein, wenn ich sage: für einen „Ausruf zur Organisation der Volksbildung" und obendrein für eine Preisschrift ist diese Veröffentlichung in einer Weise unklar, die das Maß des Erlaubten über¬ schreitet. Daß einiges Gute mit unterläuft, soll damit nicht geleugnet werden, so namentlich die freilich nicht allzu schwere Erkenntnis, daß man eine gediegne Bildung in den Arbeiterkreisen nur schaffen könne, wenn man sie eingliedere in die Pflege der richtigen Volksbildung überhaupt. Ich hätte diese Schrift stillschweigend den Weg gehen lassen, den sie doch nehmen wird — den Weg zur Vergessenheit, wenn sie nicht ein TyPuS und noch dazu ein preisgekrönter Typus wäre für jenes verworrene Dreinreden in die großen Aufgaben der Zeit, das allmählich zu einer förmlichen Broschüren¬ manie führt. Papier und Druck sind ja billig zu habe», noch billiger ein ge¬ wisser Vorrat von Schlagwörtern, von philosophischen oder politischen Schul- begriffeu, von allgemeinen Redensarten; legt mau diesem Vorrat noch ein bischen vom eignen zu, so reiches bequem zu 100 oder 150 Seiten „Lösung" der sozialen, der pädagogischen, der antisemitischen Fragen. Also nur nicht zögern, die Welt zu beglücken! Daß man mit solchen Elaboraten auch eine Ver¬ antwortung vor der Öffentlichkeit übernimmt, daß es eine Pflicht fein kann, in diesen Dingen zu schweigen, wenn mau nichts Neues oder das Neue nicht klar und deutsch zu sagen weiß, dafür ist das Gefühl sehr selten geworden, zum Schaden der wirklichen geistigen Arbeit an den nationalen Aufgaben. Denn neben jenem mißtönenden überlauten Chor verhallen oder verstummen nur zu leicht die zuverlässigen Stimmen; in der trüben Hochflut einer der¬ artigen Litteratur geht am Ende auch das Interesse der Wohlwollenden ret¬ tungslos unter. Deshalb ist es notwendig, von Zeit zu Zeit so einen Typus herauszugreifen und festzunageln, in der Hoffnung, dem Bessern damit Platz zu schaffe». Die Zukunft freilich wird es angenehmer haben, sie wird sich über diese Volksbeglücker nicht mehr ereifern, wird sie nicht mehr zu lesen brauchen. Mit einem mitleidigen Lächeln überschaut sie wohl, was dann schon lange Makulatur ist, und spricht die Worte, mit denen man auch das Schlechte be¬ gräbt: Il.ecjuivso->.t in Meo!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/526>, abgerufen am 22.07.2024.