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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Lin Aufruf zur Grgauisation der Volksbildung

Nachdem ich mir so die ersten Sätze der Schrift mundgerecht gemacht
hatte, wagte ich mich weiter -- unter vielen Pansen, ähnlich wie die erste
ausgefüllt mit dein Übertragen der ausgesprochnen Gedanken ins Deutsche,
Einfache, Bekannte, mit dem vergeblichen Versuch, gerade für die grundlegenden
Behauptungen eine geordnete Darstellung, eine haltbare Begründung oder
überhaupt eine Begründung zu entdecken. Hnmmels Schrift zerfällt nicht
streng der Anordnung, aber dein Sinne nach in zwei Teile: sie entwirft zu¬
nächst das "feste Prinzip" und dann die "allumfassende Praxis" für die Or¬
ganisation der Volksbildung. Das Prinzip ist skizzirt schon durch jene Defi¬
nition am Anfang. "Die Kindheitsstnfe steht überwiegend unter dem Zeichen
des aufsteigenden religiösen Faktors." Daher ist es die erste Aufgabe der
Erziehung, eben diesen "Faktor" zu Pflegen, eine noch "durch die Autorität
beherrschte" sittlich-religiöse Gesinnung auszubilden. Daneben muß schon auf
dieser Stufe und mit der fortschreitenden Entwicklung immer mehr die Pflege
des "intellektuellen Faktors" hergehen, die Ausbildung des Verstandes, für
die der Verfasser hauptsächlich auch die Erkenntnis der Natur und ihrer Ge¬
setze in Betracht zu ziehen scheint. Das sind nun aber zwei Vorstellungs-
reihen, die des Glaubens und die des exakten Wissens, die nicht ohne weiteres
zusammenfallen, ja die mit der Zeit von dem Heranwachsenden, der sich der
Autorität entreißt, als Gegensätze empfunden werden. Die Sorge des "Bildners"
muß es daher sein, den Streit beider "Faktoren" zu schlichten und "die mit
dem Bewußtsein der Gegensätze, aber auch ihrer Versöhnung wirklich vvll-
zogne Synthese" des Sittlich-Religiösen und des Intellektuellen herbeizuführen
(S. 39 ff.). Je mehr sich ferner der Mensch dem selbständige" Alter nähert
und ans der Familie in das große Gemeinschaftsleben heraustritt, desto stärker
wird sich ihm "die Frage nach den richtigen Verhältnissen im Zusammenleben
der Menschen" aufdrängen: die soziale Frage. Deshalb muß sein Gemeiu-
schaftstrieb durch die christliche Liebe richtig entwickelt, es muß in ihm "die
volle Synthese des sittlich-religiösen und des intellektuellen Faktors mit dem
in wahrhaftigen Sinne sozialen" bewirkt werden (S. 47). Nun folgen Ge¬
danken, die von dem "Prinzip" zur "Praxis" hinüberführe". "Es ist eine
Thatsache, daß der Mensch als Individuum die Epochen der Weltkultur durch¬
macht, wie solche in einer Parallele zu seiner Entwicklung stehen" (S. 50).
Dieser "Epochen" sind in der Hauptsache drei - Hummel reiht sie nicht klar
an einander und und überläßt es seinem Leser, sie auf die Gefahr des Mi߬
verständnisses hin znsammenzusilcheu. Erstens die "Epoche" einer einfachen
sittlich-religiöse" Entwicklung "von den Anfängen Israels an bis zu Christus":
Stoff, "mit Wucht in die werdende Persönlichkeit zu werfender Stoff" für
die Kindheitsstnfe und die Ausbildung des sittlich-religiösen "Faktors."
Ziveiteus die "Epoche" der Reformation, die die "geschichtliche, ja welt¬
geschichtliche Vollziehung" der Synthese von Glaube" und Wissen ist und


Lin Aufruf zur Grgauisation der Volksbildung

Nachdem ich mir so die ersten Sätze der Schrift mundgerecht gemacht
hatte, wagte ich mich weiter — unter vielen Pansen, ähnlich wie die erste
ausgefüllt mit dein Übertragen der ausgesprochnen Gedanken ins Deutsche,
Einfache, Bekannte, mit dem vergeblichen Versuch, gerade für die grundlegenden
Behauptungen eine geordnete Darstellung, eine haltbare Begründung oder
überhaupt eine Begründung zu entdecken. Hnmmels Schrift zerfällt nicht
streng der Anordnung, aber dein Sinne nach in zwei Teile: sie entwirft zu¬
nächst das „feste Prinzip" und dann die „allumfassende Praxis" für die Or¬
ganisation der Volksbildung. Das Prinzip ist skizzirt schon durch jene Defi¬
nition am Anfang. „Die Kindheitsstnfe steht überwiegend unter dem Zeichen
des aufsteigenden religiösen Faktors." Daher ist es die erste Aufgabe der
Erziehung, eben diesen „Faktor" zu Pflegen, eine noch „durch die Autorität
beherrschte" sittlich-religiöse Gesinnung auszubilden. Daneben muß schon auf
dieser Stufe und mit der fortschreitenden Entwicklung immer mehr die Pflege
des „intellektuellen Faktors" hergehen, die Ausbildung des Verstandes, für
die der Verfasser hauptsächlich auch die Erkenntnis der Natur und ihrer Ge¬
setze in Betracht zu ziehen scheint. Das sind nun aber zwei Vorstellungs-
reihen, die des Glaubens und die des exakten Wissens, die nicht ohne weiteres
zusammenfallen, ja die mit der Zeit von dem Heranwachsenden, der sich der
Autorität entreißt, als Gegensätze empfunden werden. Die Sorge des „Bildners"
muß es daher sein, den Streit beider „Faktoren" zu schlichten und „die mit
dem Bewußtsein der Gegensätze, aber auch ihrer Versöhnung wirklich vvll-
zogne Synthese" des Sittlich-Religiösen und des Intellektuellen herbeizuführen
(S. 39 ff.). Je mehr sich ferner der Mensch dem selbständige» Alter nähert
und ans der Familie in das große Gemeinschaftsleben heraustritt, desto stärker
wird sich ihm „die Frage nach den richtigen Verhältnissen im Zusammenleben
der Menschen" aufdrängen: die soziale Frage. Deshalb muß sein Gemeiu-
schaftstrieb durch die christliche Liebe richtig entwickelt, es muß in ihm „die
volle Synthese des sittlich-religiösen und des intellektuellen Faktors mit dem
in wahrhaftigen Sinne sozialen" bewirkt werden (S. 47). Nun folgen Ge¬
danken, die von dem „Prinzip" zur „Praxis" hinüberführe». „Es ist eine
Thatsache, daß der Mensch als Individuum die Epochen der Weltkultur durch¬
macht, wie solche in einer Parallele zu seiner Entwicklung stehen" (S. 50).
Dieser „Epochen" sind in der Hauptsache drei - Hummel reiht sie nicht klar
an einander und und überläßt es seinem Leser, sie auf die Gefahr des Mi߬
verständnisses hin znsammenzusilcheu. Erstens die „Epoche" einer einfachen
sittlich-religiöse» Entwicklung „von den Anfängen Israels an bis zu Christus":
Stoff, „mit Wucht in die werdende Persönlichkeit zu werfender Stoff" für
die Kindheitsstnfe und die Ausbildung des sittlich-religiösen „Faktors."
Ziveiteus die „Epoche" der Reformation, die die „geschichtliche, ja welt¬
geschichtliche Vollziehung" der Synthese von Glaube» und Wissen ist und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/522>, abgerufen am 22.07.2024.