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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Aas Künstlerelend

heruntergewaschen, damit wenigstens die Leinwand für abermalige Benutzung
gerettet wird. Und trotzdem der immer größere Andrang zu dieser Laufbahn!

Es liegt eine bittre Wahrheit in dem Scherzworte des Malerhumoristen,
daß ein unbesonnener junger Mann sich leicht das Malen angewöhne. Der
Trieb, abzubilden, äußert sich bei den meisten Kindern mehr oder weniger
lebhaft; durch Bilderbücher, Bilder an den Wänden, durch Schaufenster,
Museen u. s. w. erhält er Nahrung, Zeichenunterricht wird, wie billig, in
allen Schulen erteilt, und gewöhnlich nicht mehr nach Methoden, die geeignet
wären, alle Neigung für künstlerische Beschäftigung zu ersticken, zärtliche Eltern
und Lehrer, die gern wenigstens einen Lieblingsschüler in die höhere Lauf¬
bahn eintreten sehn würden, die ihnen selbst verschlossen geblieben ist, ent¬
decken, wo sich vor der Hand nur eine Liebhaberei zeigt, ein großes Talent und
bemühen sich, der Ausbildung des Knaben von vornherein eine bestimmte
Richtung zu geben. Vieles Zuredens wird es dabei selten bedürfen, denn
welches junge Gemüt sollte die Aussicht auf ein freies Künstlerleben nicht
reizen? Beim Ausblick in die Zukunft denkt man natürlich um die lvrbeer-
und ordengeschmückten, villenbesitzendeu Großen und nicht an die vielen, die
ihr Brot kümmerlich mit Privatunterricht oder mit dem Retouchiren von
Photographien oder -- gar nicht verdienen. Zu den sogenannten gelehrten
Berufsarten ist der Weg mit endlosen Verdauen, trocknen Studien, Prü¬
fungen u. tgi. verlegt, vor dem Kunstjünger liegt eine ebne, breite Straße
durch anmutige Wiesen- und Waldgrunde, belebt durch schöne, heitre Menschen
in farbenreichen Trachten, und kein Landjäger fragt den wohlgemuten Wan¬
derer nach einem Paß, Lehrbrief oder Schulzeugnis. Im Gegenteil würde
an mancher Stelle gelehrtes Gepäck eine schlechte Empfehlung sein. Also
frisch hinein in die Akademie, die einige Verwandtschaft mit der Maschine
hat, in die auf der einen Seite ein Hase gejagt wird, um auf der andern
als Filzhut wieder zum Vorschein zu kommen!

Das Experiment glückt bekanntlich ziemlich oft, öfter aber auch nicht.
Das Talent erweist sich oft nicht stark genug. Der eine hat große Intentionen,
überwindet aber niemals die Schwierigkeiten des Handwerks, der andre erwirbt
sich bald das technische Vermögen, weiß jedoch keinen verstündigen Gebrauch
davon zu machen, ein dritter ist faul u. s. w. Und kommt die Erkenntnis einer
verfehlten Berufswahl zum Durchbruch, so ist der Unglückliche in der Regel
für jeden andern Beruf verdorben oder doch zu alt geworden, noch etwas
andres zu lernen. Eher als dem Maler steht noch dem Bildhauer, der darauf
verzichten muß, Monumente zu schaffen, befriedigende und lohnende Thätigkeit
in feinem Fache frei, wenn er nicht zu eingebildet ist. Die Kunst des Mo¬
delleurs wird ja vou Industrien in Menge in Anspruch genommen. Auch
gedeiht in dem Stande der Bildhauer, eben weil ihre Kunst noch in der na¬
türlichen Verbindung mit dein Handwerk geblieben ist und immer bleiben muß,


Aas Künstlerelend

heruntergewaschen, damit wenigstens die Leinwand für abermalige Benutzung
gerettet wird. Und trotzdem der immer größere Andrang zu dieser Laufbahn!

Es liegt eine bittre Wahrheit in dem Scherzworte des Malerhumoristen,
daß ein unbesonnener junger Mann sich leicht das Malen angewöhne. Der
Trieb, abzubilden, äußert sich bei den meisten Kindern mehr oder weniger
lebhaft; durch Bilderbücher, Bilder an den Wänden, durch Schaufenster,
Museen u. s. w. erhält er Nahrung, Zeichenunterricht wird, wie billig, in
allen Schulen erteilt, und gewöhnlich nicht mehr nach Methoden, die geeignet
wären, alle Neigung für künstlerische Beschäftigung zu ersticken, zärtliche Eltern
und Lehrer, die gern wenigstens einen Lieblingsschüler in die höhere Lauf¬
bahn eintreten sehn würden, die ihnen selbst verschlossen geblieben ist, ent¬
decken, wo sich vor der Hand nur eine Liebhaberei zeigt, ein großes Talent und
bemühen sich, der Ausbildung des Knaben von vornherein eine bestimmte
Richtung zu geben. Vieles Zuredens wird es dabei selten bedürfen, denn
welches junge Gemüt sollte die Aussicht auf ein freies Künstlerleben nicht
reizen? Beim Ausblick in die Zukunft denkt man natürlich um die lvrbeer-
und ordengeschmückten, villenbesitzendeu Großen und nicht an die vielen, die
ihr Brot kümmerlich mit Privatunterricht oder mit dem Retouchiren von
Photographien oder — gar nicht verdienen. Zu den sogenannten gelehrten
Berufsarten ist der Weg mit endlosen Verdauen, trocknen Studien, Prü¬
fungen u. tgi. verlegt, vor dem Kunstjünger liegt eine ebne, breite Straße
durch anmutige Wiesen- und Waldgrunde, belebt durch schöne, heitre Menschen
in farbenreichen Trachten, und kein Landjäger fragt den wohlgemuten Wan¬
derer nach einem Paß, Lehrbrief oder Schulzeugnis. Im Gegenteil würde
an mancher Stelle gelehrtes Gepäck eine schlechte Empfehlung sein. Also
frisch hinein in die Akademie, die einige Verwandtschaft mit der Maschine
hat, in die auf der einen Seite ein Hase gejagt wird, um auf der andern
als Filzhut wieder zum Vorschein zu kommen!

Das Experiment glückt bekanntlich ziemlich oft, öfter aber auch nicht.
Das Talent erweist sich oft nicht stark genug. Der eine hat große Intentionen,
überwindet aber niemals die Schwierigkeiten des Handwerks, der andre erwirbt
sich bald das technische Vermögen, weiß jedoch keinen verstündigen Gebrauch
davon zu machen, ein dritter ist faul u. s. w. Und kommt die Erkenntnis einer
verfehlten Berufswahl zum Durchbruch, so ist der Unglückliche in der Regel
für jeden andern Beruf verdorben oder doch zu alt geworden, noch etwas
andres zu lernen. Eher als dem Maler steht noch dem Bildhauer, der darauf
verzichten muß, Monumente zu schaffen, befriedigende und lohnende Thätigkeit
in feinem Fache frei, wenn er nicht zu eingebildet ist. Die Kunst des Mo¬
delleurs wird ja vou Industrien in Menge in Anspruch genommen. Auch
gedeiht in dem Stande der Bildhauer, eben weil ihre Kunst noch in der na¬
türlichen Verbindung mit dein Handwerk geblieben ist und immer bleiben muß,


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[0483] Aas Künstlerelend heruntergewaschen, damit wenigstens die Leinwand für abermalige Benutzung gerettet wird. Und trotzdem der immer größere Andrang zu dieser Laufbahn! Es liegt eine bittre Wahrheit in dem Scherzworte des Malerhumoristen, daß ein unbesonnener junger Mann sich leicht das Malen angewöhne. Der Trieb, abzubilden, äußert sich bei den meisten Kindern mehr oder weniger lebhaft; durch Bilderbücher, Bilder an den Wänden, durch Schaufenster, Museen u. s. w. erhält er Nahrung, Zeichenunterricht wird, wie billig, in allen Schulen erteilt, und gewöhnlich nicht mehr nach Methoden, die geeignet wären, alle Neigung für künstlerische Beschäftigung zu ersticken, zärtliche Eltern und Lehrer, die gern wenigstens einen Lieblingsschüler in die höhere Lauf¬ bahn eintreten sehn würden, die ihnen selbst verschlossen geblieben ist, ent¬ decken, wo sich vor der Hand nur eine Liebhaberei zeigt, ein großes Talent und bemühen sich, der Ausbildung des Knaben von vornherein eine bestimmte Richtung zu geben. Vieles Zuredens wird es dabei selten bedürfen, denn welches junge Gemüt sollte die Aussicht auf ein freies Künstlerleben nicht reizen? Beim Ausblick in die Zukunft denkt man natürlich um die lvrbeer- und ordengeschmückten, villenbesitzendeu Großen und nicht an die vielen, die ihr Brot kümmerlich mit Privatunterricht oder mit dem Retouchiren von Photographien oder — gar nicht verdienen. Zu den sogenannten gelehrten Berufsarten ist der Weg mit endlosen Verdauen, trocknen Studien, Prü¬ fungen u. tgi. verlegt, vor dem Kunstjünger liegt eine ebne, breite Straße durch anmutige Wiesen- und Waldgrunde, belebt durch schöne, heitre Menschen in farbenreichen Trachten, und kein Landjäger fragt den wohlgemuten Wan¬ derer nach einem Paß, Lehrbrief oder Schulzeugnis. Im Gegenteil würde an mancher Stelle gelehrtes Gepäck eine schlechte Empfehlung sein. Also frisch hinein in die Akademie, die einige Verwandtschaft mit der Maschine hat, in die auf der einen Seite ein Hase gejagt wird, um auf der andern als Filzhut wieder zum Vorschein zu kommen! Das Experiment glückt bekanntlich ziemlich oft, öfter aber auch nicht. Das Talent erweist sich oft nicht stark genug. Der eine hat große Intentionen, überwindet aber niemals die Schwierigkeiten des Handwerks, der andre erwirbt sich bald das technische Vermögen, weiß jedoch keinen verstündigen Gebrauch davon zu machen, ein dritter ist faul u. s. w. Und kommt die Erkenntnis einer verfehlten Berufswahl zum Durchbruch, so ist der Unglückliche in der Regel für jeden andern Beruf verdorben oder doch zu alt geworden, noch etwas andres zu lernen. Eher als dem Maler steht noch dem Bildhauer, der darauf verzichten muß, Monumente zu schaffen, befriedigende und lohnende Thätigkeit in feinem Fache frei, wenn er nicht zu eingebildet ist. Die Kunst des Mo¬ delleurs wird ja vou Industrien in Menge in Anspruch genommen. Auch gedeiht in dem Stande der Bildhauer, eben weil ihre Kunst noch in der na¬ türlichen Verbindung mit dein Handwerk geblieben ist und immer bleiben muß,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/483>, abgerufen am 22.07.2024.