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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Das Rünstlerelend

Grades werden jetzt allerdings weniger in Anspruch genommen, als noch vor"
einigen Jahrzehnten: das verschuldet die Vervollkommnung der Photographie.
Dafür verlangt man aber Originalgemälde als Wvhnungsschmuck in unzäh¬
ligen Häusern, wo man einst mit Lithographien zufrieden gewesen wäre; und
wenn hierbei nur zu oft hohles Protzentum eine wichtigere Rolle spielt, als
wahre Freude an den Schöpfungen der Kunst, so haben sich darüber wenigstens
die Maler nicht zu beklagen. Im Gegenteil sollte man glauben, daß der
Börsenjobber und die Kokotte, die auch diesen Teil der "Innendekoration" mit
jeder Mode wechseln wie ihre Kleider und Hüte, so recht Menschen nach
ihrem Herzen sein müßten, kämen nur nicht leider auf diese Art die Bilder
immer wieder auf den Markt und machten so ihren eignen Verfertigern Kon¬
kurrenz. Jeder Borwand zur Klage würde erst dann verschwinden, wenn jeder
Staatsbürger gesetzlich verpflichtet wäre, jährlich einen bestimmten Teil seiner
Einnahme für den Ankauf neuer Bilder zu verwenden, und man sich seines
frühern Besitzes dieser Art nicht anders entäußern dürfte, als durch Ver¬
brennen. Sagt man den Mißvergnügten, daß alle Staaten sehr bedeutende
Summen für Kunstzwecke bewilligen, so erfolgt die Belehrung, das sei noch
viel zu wenig, und überdies würden die Gelder meistenteils ganz schlecht an¬
gewendet, nämlich zum Anlauf von Werken, deren Urheber, längst gestorben,
keinen Nutzen mehr davon haben. Ja wen" die alten Meister nicht wären!
Aber dürfen wir den mit täglichen Sorgen ringenden solche Regungen des
Neides zum Borwurf machen, wenn vom Glück übermäßig begünstigte Maler¬
meister ungescheut die Lehrmeinung zum besten geben, daß die Galerien nur
den Zweck hätten, den Künstlern der Gegenwart Ideen zu liefern?

Ziehen wir die Summe, so kommen wir immer wieder auf die uucmfecht-
bnre Wahrheit zurück, daß viel mehr produzirt wird, als voraussichtlich kon-
sumirt werden kann. Dieselbe Erscheinung kommt bald auf dem einen, bald
ans dem andern Gebiete des Erwerbes vor, und sie hat stets dieselbe Kur
zur Folge: Einschränkung des Betriebes. Schmerzlich ist diese Kur unter
allen Umständen, alle, denen sie verordnet wird, sträuben sich anfangs, und
mancher geht an ihr zu Grunde. Doch endlich muß sich jeder der harten
Notwendigkeit fügen, und die nachwachsenden ziehen für sich eine Lehre aus
den bittern Erfahrungen ihrer Vorgänger -- für die nächste Zeit wenigstens.
Sind die Erfahrungen in der Künstlerwelt noch nicht bitter genug? Was
wird aus deu tausend und abertausend Bildern, die auf allen Ausstellungen
unverkauft und auch bei der verschämten Bettelei, die sich Lotterie nennt, un¬
berücksichtigt geblieben sind? Das ist ein trostloses Kapitel. Im günstigsten
Falle können sie an einer Atelierwand auf den reichen Amerikaner warten,
der in den heutigen Vorstellungen die Stelle des britischen Lords im vorigen
Jahrhundert einnimmt; andre übernimmt der Kunsthändler "für einen Spott¬
preis," den gezahlt zu haben er häufig uoch bereut; noch andre werden


Das Rünstlerelend

Grades werden jetzt allerdings weniger in Anspruch genommen, als noch vor"
einigen Jahrzehnten: das verschuldet die Vervollkommnung der Photographie.
Dafür verlangt man aber Originalgemälde als Wvhnungsschmuck in unzäh¬
ligen Häusern, wo man einst mit Lithographien zufrieden gewesen wäre; und
wenn hierbei nur zu oft hohles Protzentum eine wichtigere Rolle spielt, als
wahre Freude an den Schöpfungen der Kunst, so haben sich darüber wenigstens
die Maler nicht zu beklagen. Im Gegenteil sollte man glauben, daß der
Börsenjobber und die Kokotte, die auch diesen Teil der „Innendekoration" mit
jeder Mode wechseln wie ihre Kleider und Hüte, so recht Menschen nach
ihrem Herzen sein müßten, kämen nur nicht leider auf diese Art die Bilder
immer wieder auf den Markt und machten so ihren eignen Verfertigern Kon¬
kurrenz. Jeder Borwand zur Klage würde erst dann verschwinden, wenn jeder
Staatsbürger gesetzlich verpflichtet wäre, jährlich einen bestimmten Teil seiner
Einnahme für den Ankauf neuer Bilder zu verwenden, und man sich seines
frühern Besitzes dieser Art nicht anders entäußern dürfte, als durch Ver¬
brennen. Sagt man den Mißvergnügten, daß alle Staaten sehr bedeutende
Summen für Kunstzwecke bewilligen, so erfolgt die Belehrung, das sei noch
viel zu wenig, und überdies würden die Gelder meistenteils ganz schlecht an¬
gewendet, nämlich zum Anlauf von Werken, deren Urheber, längst gestorben,
keinen Nutzen mehr davon haben. Ja wen» die alten Meister nicht wären!
Aber dürfen wir den mit täglichen Sorgen ringenden solche Regungen des
Neides zum Borwurf machen, wenn vom Glück übermäßig begünstigte Maler¬
meister ungescheut die Lehrmeinung zum besten geben, daß die Galerien nur
den Zweck hätten, den Künstlern der Gegenwart Ideen zu liefern?

Ziehen wir die Summe, so kommen wir immer wieder auf die uucmfecht-
bnre Wahrheit zurück, daß viel mehr produzirt wird, als voraussichtlich kon-
sumirt werden kann. Dieselbe Erscheinung kommt bald auf dem einen, bald
ans dem andern Gebiete des Erwerbes vor, und sie hat stets dieselbe Kur
zur Folge: Einschränkung des Betriebes. Schmerzlich ist diese Kur unter
allen Umständen, alle, denen sie verordnet wird, sträuben sich anfangs, und
mancher geht an ihr zu Grunde. Doch endlich muß sich jeder der harten
Notwendigkeit fügen, und die nachwachsenden ziehen für sich eine Lehre aus
den bittern Erfahrungen ihrer Vorgänger — für die nächste Zeit wenigstens.
Sind die Erfahrungen in der Künstlerwelt noch nicht bitter genug? Was
wird aus deu tausend und abertausend Bildern, die auf allen Ausstellungen
unverkauft und auch bei der verschämten Bettelei, die sich Lotterie nennt, un¬
berücksichtigt geblieben sind? Das ist ein trostloses Kapitel. Im günstigsten
Falle können sie an einer Atelierwand auf den reichen Amerikaner warten,
der in den heutigen Vorstellungen die Stelle des britischen Lords im vorigen
Jahrhundert einnimmt; andre übernimmt der Kunsthändler „für einen Spott¬
preis," den gezahlt zu haben er häufig uoch bereut; noch andre werden


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[0482] Das Rünstlerelend Grades werden jetzt allerdings weniger in Anspruch genommen, als noch vor" einigen Jahrzehnten: das verschuldet die Vervollkommnung der Photographie. Dafür verlangt man aber Originalgemälde als Wvhnungsschmuck in unzäh¬ ligen Häusern, wo man einst mit Lithographien zufrieden gewesen wäre; und wenn hierbei nur zu oft hohles Protzentum eine wichtigere Rolle spielt, als wahre Freude an den Schöpfungen der Kunst, so haben sich darüber wenigstens die Maler nicht zu beklagen. Im Gegenteil sollte man glauben, daß der Börsenjobber und die Kokotte, die auch diesen Teil der „Innendekoration" mit jeder Mode wechseln wie ihre Kleider und Hüte, so recht Menschen nach ihrem Herzen sein müßten, kämen nur nicht leider auf diese Art die Bilder immer wieder auf den Markt und machten so ihren eignen Verfertigern Kon¬ kurrenz. Jeder Borwand zur Klage würde erst dann verschwinden, wenn jeder Staatsbürger gesetzlich verpflichtet wäre, jährlich einen bestimmten Teil seiner Einnahme für den Ankauf neuer Bilder zu verwenden, und man sich seines frühern Besitzes dieser Art nicht anders entäußern dürfte, als durch Ver¬ brennen. Sagt man den Mißvergnügten, daß alle Staaten sehr bedeutende Summen für Kunstzwecke bewilligen, so erfolgt die Belehrung, das sei noch viel zu wenig, und überdies würden die Gelder meistenteils ganz schlecht an¬ gewendet, nämlich zum Anlauf von Werken, deren Urheber, längst gestorben, keinen Nutzen mehr davon haben. Ja wen» die alten Meister nicht wären! Aber dürfen wir den mit täglichen Sorgen ringenden solche Regungen des Neides zum Borwurf machen, wenn vom Glück übermäßig begünstigte Maler¬ meister ungescheut die Lehrmeinung zum besten geben, daß die Galerien nur den Zweck hätten, den Künstlern der Gegenwart Ideen zu liefern? Ziehen wir die Summe, so kommen wir immer wieder auf die uucmfecht- bnre Wahrheit zurück, daß viel mehr produzirt wird, als voraussichtlich kon- sumirt werden kann. Dieselbe Erscheinung kommt bald auf dem einen, bald ans dem andern Gebiete des Erwerbes vor, und sie hat stets dieselbe Kur zur Folge: Einschränkung des Betriebes. Schmerzlich ist diese Kur unter allen Umständen, alle, denen sie verordnet wird, sträuben sich anfangs, und mancher geht an ihr zu Grunde. Doch endlich muß sich jeder der harten Notwendigkeit fügen, und die nachwachsenden ziehen für sich eine Lehre aus den bittern Erfahrungen ihrer Vorgänger — für die nächste Zeit wenigstens. Sind die Erfahrungen in der Künstlerwelt noch nicht bitter genug? Was wird aus deu tausend und abertausend Bildern, die auf allen Ausstellungen unverkauft und auch bei der verschämten Bettelei, die sich Lotterie nennt, un¬ berücksichtigt geblieben sind? Das ist ein trostloses Kapitel. Im günstigsten Falle können sie an einer Atelierwand auf den reichen Amerikaner warten, der in den heutigen Vorstellungen die Stelle des britischen Lords im vorigen Jahrhundert einnimmt; andre übernimmt der Kunsthändler „für einen Spott¬ preis," den gezahlt zu haben er häufig uoch bereut; noch andre werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/482>, abgerufen am 22.07.2024.