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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Bildung

von "Vildungscmstalten"; das Ergebnis ist in Wahrheit nicht Bildung, son¬
dern Mißbildung. Bildung kann nur entstehen durch innere Verarbeitung und
Assimilation. Wo wir es mit Tieren und Pflanzen zu thun haben, wisse"
wir das und beachten es; Gärtner und Tierzüchter geben ihre" Pfleglinge"
allerlei Gestalt; sie wissen, es kann nicht durch Anfügung von außen, sondern
nur durch die Thätigkeit des innern Formprinzips geschehen, indem mau ihm
entsprechende Entwicklungsbedingungen darbietet. Nur beim Mensche" ""d
seiner geistigen Bildung wird es leicht vergessen, hier glaubt man durch
fleißiges Hobeln und Kleben jedem Beliebiger jede beliebige "Bildung" geben
zu können, so entschieden auch die Natur der Mißhandlung widersprechen mag.

Zweitens ist damit gegeben: Bildung ist eine Sache der Freiheit, nicht
des Zwanges. Das innere organische Gestaltungsprinzip läßt sich nicht nötigen,
es läßt sich zur Assimilation anregen und reizen, aber nicht zwingen, ^(i
vxsr" nil aliuä poeme, Komo, pu"in ut vorxor" usturali" "6novo"t vt
ii>nov<zi>.t; rglicjvm n^turn. inen8 transigit. Dies Wort Bacons (U'vo. Ol'A. 1, 4)
bezeichnet auch die Aufgabe und die Grenze der Leistung des Erziehers und
Lehrers. Er kann darbieten und reizen, aber -- rsliPm nirturg, intus er.in"-
i^it. Und wird er allzu zudringlich, dann weigert sie sich jener innern Voll¬
bringung. Also der eigne Wille, das freie Verlangen ist hier Voraussetzung
alles Gelingens, und ihrer sich zu versichern ist die erste Bedingung frucht¬
barer Einwirkung. Natürlich ist damit nicht gemeint, daß der Erzieher jeder
Augeublickslaune des Zöglings nachgeben müsse; im Gegenteil, er wird ihm
behilflich sein, gegenüber den Launen zu einem wirklichen Willen, gegenüber
den ewig wechselnden Augenblicksbegierdcn des sinnlichen Wesens zu einem
dauernden auf ein großes Ziel gerichteten Verlangen durchzudringen. Aber
ohne den freien Willen in diesem Sinne wird er nichts Bedeutendes er¬
reichen, weder für die sittliche, noch für die geistige Bildung. Durch Zwang
kann eine gewisse Abrichtung, durch den Stock kann Auswendiglernen er¬
zwungen werden, Bildung gedeiht nur in der Freiheit. "Ich kann niemand
besser machen, als durch den Rest des Guten, der in ihm ist; ich kann nie¬
mand klüger machen als durch den Rest der Klugheit, der in ihm ist." Setzt
mau in dies Wort Kants (in den Fragmenten aus dem Nachlaß) statt Rest
Anlage oder Lust, so ist damit das ganze Geheimnis der Erziehung aus¬
gesprochen.

Auch das sind wir allzu sehr geneigt zu vergessen. Nicht bloß der
Vater, der mit Zorn und Strafen dem Kinde den "Willen zu brechen" und
ihm einen neuen geben zu können meint, oder die Mutter, die mit Hallslehrer
und Nachhilfestunden die "Bildung" ihres Söhnchens erzwingen will, auch
der Schulpoteutat vergißt es, der durch Vermehrung der Prüfungen und Ver¬
stärkung der Kontrolle der Bildung glaubt zu Hilfe kommen zu müssen.
Staatsprüfungen sind ein Notbehelf, die Auswahl unter den Bewerbern um


Bildung

von „Vildungscmstalten"; das Ergebnis ist in Wahrheit nicht Bildung, son¬
dern Mißbildung. Bildung kann nur entstehen durch innere Verarbeitung und
Assimilation. Wo wir es mit Tieren und Pflanzen zu thun haben, wisse»
wir das und beachten es; Gärtner und Tierzüchter geben ihre» Pfleglinge»
allerlei Gestalt; sie wissen, es kann nicht durch Anfügung von außen, sondern
nur durch die Thätigkeit des innern Formprinzips geschehen, indem mau ihm
entsprechende Entwicklungsbedingungen darbietet. Nur beim Mensche» »»d
seiner geistigen Bildung wird es leicht vergessen, hier glaubt man durch
fleißiges Hobeln und Kleben jedem Beliebiger jede beliebige „Bildung" geben
zu können, so entschieden auch die Natur der Mißhandlung widersprechen mag.

Zweitens ist damit gegeben: Bildung ist eine Sache der Freiheit, nicht
des Zwanges. Das innere organische Gestaltungsprinzip läßt sich nicht nötigen,
es läßt sich zur Assimilation anregen und reizen, aber nicht zwingen, ^(i
vxsr» nil aliuä poeme, Komo, pu»in ut vorxor» usturali» »6novo»t vt
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bezeichnet auch die Aufgabe und die Grenze der Leistung des Erziehers und
Lehrers. Er kann darbieten und reizen, aber — rsliPm nirturg, intus er.in»-
i^it. Und wird er allzu zudringlich, dann weigert sie sich jener innern Voll¬
bringung. Also der eigne Wille, das freie Verlangen ist hier Voraussetzung
alles Gelingens, und ihrer sich zu versichern ist die erste Bedingung frucht¬
barer Einwirkung. Natürlich ist damit nicht gemeint, daß der Erzieher jeder
Augeublickslaune des Zöglings nachgeben müsse; im Gegenteil, er wird ihm
behilflich sein, gegenüber den Launen zu einem wirklichen Willen, gegenüber
den ewig wechselnden Augenblicksbegierdcn des sinnlichen Wesens zu einem
dauernden auf ein großes Ziel gerichteten Verlangen durchzudringen. Aber
ohne den freien Willen in diesem Sinne wird er nichts Bedeutendes er¬
reichen, weder für die sittliche, noch für die geistige Bildung. Durch Zwang
kann eine gewisse Abrichtung, durch den Stock kann Auswendiglernen er¬
zwungen werden, Bildung gedeiht nur in der Freiheit. „Ich kann niemand
besser machen, als durch den Rest des Guten, der in ihm ist; ich kann nie¬
mand klüger machen als durch den Rest der Klugheit, der in ihm ist." Setzt
mau in dies Wort Kants (in den Fragmenten aus dem Nachlaß) statt Rest
Anlage oder Lust, so ist damit das ganze Geheimnis der Erziehung aus¬
gesprochen.

Auch das sind wir allzu sehr geneigt zu vergessen. Nicht bloß der
Vater, der mit Zorn und Strafen dem Kinde den „Willen zu brechen" und
ihm einen neuen geben zu können meint, oder die Mutter, die mit Hallslehrer
und Nachhilfestunden die „Bildung" ihres Söhnchens erzwingen will, auch
der Schulpoteutat vergißt es, der durch Vermehrung der Prüfungen und Ver¬
stärkung der Kontrolle der Bildung glaubt zu Hilfe kommen zu müssen.
Staatsprüfungen sind ein Notbehelf, die Auswahl unter den Bewerbern um


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[0469] Bildung von „Vildungscmstalten"; das Ergebnis ist in Wahrheit nicht Bildung, son¬ dern Mißbildung. Bildung kann nur entstehen durch innere Verarbeitung und Assimilation. Wo wir es mit Tieren und Pflanzen zu thun haben, wisse» wir das und beachten es; Gärtner und Tierzüchter geben ihre» Pfleglinge» allerlei Gestalt; sie wissen, es kann nicht durch Anfügung von außen, sondern nur durch die Thätigkeit des innern Formprinzips geschehen, indem mau ihm entsprechende Entwicklungsbedingungen darbietet. Nur beim Mensche» »»d seiner geistigen Bildung wird es leicht vergessen, hier glaubt man durch fleißiges Hobeln und Kleben jedem Beliebiger jede beliebige „Bildung" geben zu können, so entschieden auch die Natur der Mißhandlung widersprechen mag. Zweitens ist damit gegeben: Bildung ist eine Sache der Freiheit, nicht des Zwanges. Das innere organische Gestaltungsprinzip läßt sich nicht nötigen, es läßt sich zur Assimilation anregen und reizen, aber nicht zwingen, ^(i vxsr» nil aliuä poeme, Komo, pu»in ut vorxor» usturali» »6novo»t vt ii>nov<zi>.t; rglicjvm n^turn. inen8 transigit. Dies Wort Bacons (U'vo. Ol'A. 1, 4) bezeichnet auch die Aufgabe und die Grenze der Leistung des Erziehers und Lehrers. Er kann darbieten und reizen, aber — rsliPm nirturg, intus er.in»- i^it. Und wird er allzu zudringlich, dann weigert sie sich jener innern Voll¬ bringung. Also der eigne Wille, das freie Verlangen ist hier Voraussetzung alles Gelingens, und ihrer sich zu versichern ist die erste Bedingung frucht¬ barer Einwirkung. Natürlich ist damit nicht gemeint, daß der Erzieher jeder Augeublickslaune des Zöglings nachgeben müsse; im Gegenteil, er wird ihm behilflich sein, gegenüber den Launen zu einem wirklichen Willen, gegenüber den ewig wechselnden Augenblicksbegierdcn des sinnlichen Wesens zu einem dauernden auf ein großes Ziel gerichteten Verlangen durchzudringen. Aber ohne den freien Willen in diesem Sinne wird er nichts Bedeutendes er¬ reichen, weder für die sittliche, noch für die geistige Bildung. Durch Zwang kann eine gewisse Abrichtung, durch den Stock kann Auswendiglernen er¬ zwungen werden, Bildung gedeiht nur in der Freiheit. „Ich kann niemand besser machen, als durch den Rest des Guten, der in ihm ist; ich kann nie¬ mand klüger machen als durch den Rest der Klugheit, der in ihm ist." Setzt mau in dies Wort Kants (in den Fragmenten aus dem Nachlaß) statt Rest Anlage oder Lust, so ist damit das ganze Geheimnis der Erziehung aus¬ gesprochen. Auch das sind wir allzu sehr geneigt zu vergessen. Nicht bloß der Vater, der mit Zorn und Strafen dem Kinde den „Willen zu brechen" und ihm einen neuen geben zu können meint, oder die Mutter, die mit Hallslehrer und Nachhilfestunden die „Bildung" ihres Söhnchens erzwingen will, auch der Schulpoteutat vergißt es, der durch Vermehrung der Prüfungen und Ver¬ stärkung der Kontrolle der Bildung glaubt zu Hilfe kommen zu müssen. Staatsprüfungen sind ein Notbehelf, die Auswahl unter den Bewerbern um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/469>, abgerufen am 02.07.2024.