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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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nud die Svzialisiruug der Produktionsmittel allein auf dem Wege der "Poli¬
tischen Aktion" erfolgen könne.

Wir erwähnen diesen Artikel nicht deshalb, weil er etwas besonders neues
enthielte, sondern weil er in gedrängter Kürze die von der Parteileitung seit
der Ausscheidung der sogenannten Jungen eingenommne taktische Stellung
richtig wiedergiebt und zugleich den ungeheuern Widerspruch kennzeichnet, in
den man mit sich selbst geraten ist.

Auf dem Marxschen Standpunkte stehend, wonach die soziale Umwälzung
dadurch vor sich geht, daß die Schar der Ausgebeuteten immer größer und
größer wird, bis schließlich die gewaltige Überzahl der Ausgebeutete" die
wenigen übrig gebliebner Ausbeuter expropriirt, erwartet die Partei den Sturz
des Kapitalismus von der "politischen Operation," deren Anhänger durch fort¬
gesetzte Ausbeutung beständig wachsen. Von dieser Ansicht aus müßte sie mit
Notwendigkeit dazu gelangen, jede Bestrebung, die darauf ausgeht, der fernern
Ausbeutung Einhalt zu thun, als reaktionär, d. h. als die ihr naturgemäß
erscheinende Entwicklung aufhaltend und verzögernd zu verwerfen. So ver¬
wirft sie denn auch aus diesem Grunde die konservativen, ans Erhaltung des
Mittelstandes gerichteten Bestrebungen. Aber -- wunderbarerweise behandelt
sie die gewerkschaftliche Bewegung der Arbeiterklasse anders. Obgleich auch
diese darauf gerichtet ist, die Schar der Ausgebeuteten zu vermindern, die Ar¬
beiter im wirtschaftlichen Kampfe immer widerstandsfähiger zu machen, ver¬
wirft die Partei diese in ihrem Sinne so durchaus reaktionäre Bewegung nicht
nur nicht, sondern erkennt sie an, duldet sie nicht uur, sondern will sie an¬
geblich sogar fördern.

Diese widersinnige Politik muß scheitern. Indem die Partei gleichzeitig
die Ausbeutung mittels der gewerkschaftlichen Bewegung hemmen will, andrer¬
seits aber immer wieder erklärt, daß sie ihre Hoffnungen auf das weitere Um¬
sichgreifen der Prvletarisirung setze, gelangt sie an den Puukt, wo von denen,
die die Gewerkschaftsbewegung fördern wollen, die Frage an sie gerichtet wird:
Wohin willst du? Entweder ist dein Bestreben darauf gerichtet, daß die Lage
der Arbeiter immer rat- und hoffnungsloser werde, und dann mußt dn logischer¬
weise der natürliche Feind der Gewerkschaftsbewegung sein; oder dn bist ein
Freund der Gewerkschaftsbewegung, nud dann kannst und darfst du nicht gleich¬
zeitig wünschen und erstreben, daß die Lage der arbeitenden Klassen fortschrei¬
tend hoffnungsloser werde.

Das ist die Frage, die, meist nnr unklar empfunden und unbestimmt aus¬
gesprochen, von den Gewerkschaftern an die Parteileitung gerichtet wird, und
auf die zu antworten die Partei sich bisher nicht gemüßigt gesehen hat, weil
sie nach keiner Seite hin Farbe bekennen mag. Wie kann man sagen -- und
eS haben das in den letzten Wochen viele Anhänger der Gewerkschaftsbewegung
ausgeführt , mau sei ein ehrlicher Freund der Gewerkschaftsbewegung, wenn


nud die Svzialisiruug der Produktionsmittel allein auf dem Wege der „Poli¬
tischen Aktion" erfolgen könne.

Wir erwähnen diesen Artikel nicht deshalb, weil er etwas besonders neues
enthielte, sondern weil er in gedrängter Kürze die von der Parteileitung seit
der Ausscheidung der sogenannten Jungen eingenommne taktische Stellung
richtig wiedergiebt und zugleich den ungeheuern Widerspruch kennzeichnet, in
den man mit sich selbst geraten ist.

Auf dem Marxschen Standpunkte stehend, wonach die soziale Umwälzung
dadurch vor sich geht, daß die Schar der Ausgebeuteten immer größer und
größer wird, bis schließlich die gewaltige Überzahl der Ausgebeutete« die
wenigen übrig gebliebner Ausbeuter expropriirt, erwartet die Partei den Sturz
des Kapitalismus von der „politischen Operation," deren Anhänger durch fort¬
gesetzte Ausbeutung beständig wachsen. Von dieser Ansicht aus müßte sie mit
Notwendigkeit dazu gelangen, jede Bestrebung, die darauf ausgeht, der fernern
Ausbeutung Einhalt zu thun, als reaktionär, d. h. als die ihr naturgemäß
erscheinende Entwicklung aufhaltend und verzögernd zu verwerfen. So ver¬
wirft sie denn auch aus diesem Grunde die konservativen, ans Erhaltung des
Mittelstandes gerichteten Bestrebungen. Aber — wunderbarerweise behandelt
sie die gewerkschaftliche Bewegung der Arbeiterklasse anders. Obgleich auch
diese darauf gerichtet ist, die Schar der Ausgebeuteten zu vermindern, die Ar¬
beiter im wirtschaftlichen Kampfe immer widerstandsfähiger zu machen, ver¬
wirft die Partei diese in ihrem Sinne so durchaus reaktionäre Bewegung nicht
nur nicht, sondern erkennt sie an, duldet sie nicht uur, sondern will sie an¬
geblich sogar fördern.

Diese widersinnige Politik muß scheitern. Indem die Partei gleichzeitig
die Ausbeutung mittels der gewerkschaftlichen Bewegung hemmen will, andrer¬
seits aber immer wieder erklärt, daß sie ihre Hoffnungen auf das weitere Um¬
sichgreifen der Prvletarisirung setze, gelangt sie an den Puukt, wo von denen,
die die Gewerkschaftsbewegung fördern wollen, die Frage an sie gerichtet wird:
Wohin willst du? Entweder ist dein Bestreben darauf gerichtet, daß die Lage
der Arbeiter immer rat- und hoffnungsloser werde, und dann mußt dn logischer¬
weise der natürliche Feind der Gewerkschaftsbewegung sein; oder dn bist ein
Freund der Gewerkschaftsbewegung, nud dann kannst und darfst du nicht gleich¬
zeitig wünschen und erstreben, daß die Lage der arbeitenden Klassen fortschrei¬
tend hoffnungsloser werde.

Das ist die Frage, die, meist nnr unklar empfunden und unbestimmt aus¬
gesprochen, von den Gewerkschaftern an die Parteileitung gerichtet wird, und
auf die zu antworten die Partei sich bisher nicht gemüßigt gesehen hat, weil
sie nach keiner Seite hin Farbe bekennen mag. Wie kann man sagen — und
eS haben das in den letzten Wochen viele Anhänger der Gewerkschaftsbewegung
ausgeführt , mau sei ein ehrlicher Freund der Gewerkschaftsbewegung, wenn


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[0463] nud die Svzialisiruug der Produktionsmittel allein auf dem Wege der „Poli¬ tischen Aktion" erfolgen könne. Wir erwähnen diesen Artikel nicht deshalb, weil er etwas besonders neues enthielte, sondern weil er in gedrängter Kürze die von der Parteileitung seit der Ausscheidung der sogenannten Jungen eingenommne taktische Stellung richtig wiedergiebt und zugleich den ungeheuern Widerspruch kennzeichnet, in den man mit sich selbst geraten ist. Auf dem Marxschen Standpunkte stehend, wonach die soziale Umwälzung dadurch vor sich geht, daß die Schar der Ausgebeuteten immer größer und größer wird, bis schließlich die gewaltige Überzahl der Ausgebeutete« die wenigen übrig gebliebner Ausbeuter expropriirt, erwartet die Partei den Sturz des Kapitalismus von der „politischen Operation," deren Anhänger durch fort¬ gesetzte Ausbeutung beständig wachsen. Von dieser Ansicht aus müßte sie mit Notwendigkeit dazu gelangen, jede Bestrebung, die darauf ausgeht, der fernern Ausbeutung Einhalt zu thun, als reaktionär, d. h. als die ihr naturgemäß erscheinende Entwicklung aufhaltend und verzögernd zu verwerfen. So ver¬ wirft sie denn auch aus diesem Grunde die konservativen, ans Erhaltung des Mittelstandes gerichteten Bestrebungen. Aber — wunderbarerweise behandelt sie die gewerkschaftliche Bewegung der Arbeiterklasse anders. Obgleich auch diese darauf gerichtet ist, die Schar der Ausgebeuteten zu vermindern, die Ar¬ beiter im wirtschaftlichen Kampfe immer widerstandsfähiger zu machen, ver¬ wirft die Partei diese in ihrem Sinne so durchaus reaktionäre Bewegung nicht nur nicht, sondern erkennt sie an, duldet sie nicht uur, sondern will sie an¬ geblich sogar fördern. Diese widersinnige Politik muß scheitern. Indem die Partei gleichzeitig die Ausbeutung mittels der gewerkschaftlichen Bewegung hemmen will, andrer¬ seits aber immer wieder erklärt, daß sie ihre Hoffnungen auf das weitere Um¬ sichgreifen der Prvletarisirung setze, gelangt sie an den Puukt, wo von denen, die die Gewerkschaftsbewegung fördern wollen, die Frage an sie gerichtet wird: Wohin willst du? Entweder ist dein Bestreben darauf gerichtet, daß die Lage der Arbeiter immer rat- und hoffnungsloser werde, und dann mußt dn logischer¬ weise der natürliche Feind der Gewerkschaftsbewegung sein; oder dn bist ein Freund der Gewerkschaftsbewegung, nud dann kannst und darfst du nicht gleich¬ zeitig wünschen und erstreben, daß die Lage der arbeitenden Klassen fortschrei¬ tend hoffnungsloser werde. Das ist die Frage, die, meist nnr unklar empfunden und unbestimmt aus¬ gesprochen, von den Gewerkschaftern an die Parteileitung gerichtet wird, und auf die zu antworten die Partei sich bisher nicht gemüßigt gesehen hat, weil sie nach keiner Seite hin Farbe bekennen mag. Wie kann man sagen — und eS haben das in den letzten Wochen viele Anhänger der Gewerkschaftsbewegung ausgeführt , mau sei ein ehrlicher Freund der Gewerkschaftsbewegung, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/463>, abgerufen am 22.07.2024.