Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die sozuildemokratische Partei und die (Zewerksch.ifteil

nur taktischen Zwecken dienende unter dem Gesichtspunkte eines doch unver¬
meidlichen, plötzlichen Umsturzes zu betrachten," das sprechen die mitten im
Leben stehenden Gewerkschafter praktisch damit aus, daß sie sagen: die Partei
zeigt nicht das genügende Interesse an der Gewerkschaftsbewegung, es ist ihr
nicht Ernst mit ihrer Unterstützung unsrer unmittelbar auf Verbesserung unsrer
Lage gerichteten Bestrebungen; sie verstärkt den Glauben an einen baldigen
Umsturz in der politischen Bewegung und vermindert, indem sie dies thut,
das Interesse der Genossen um der gewerkschaftlichen Bewegung.

Die Veranlassung dazu, daß dieser Vorwurf jetzt erhoben wird, bildet die
bedrängte Lage der Gewerkschaften, die seit der berüchtigten Maifeier des Jahres
1890 mit einer immer mehr zunehmenden Gleichgiltigkeit der Fachgenossen zu
kämpfen haben; aber es ist nicht wahr, was die Wortführer der Partei jetzt
fortwährend behaupten: mau habe die Gewerkschaftsbewegung gründlich ver¬
fahren und suche sich nun einen Prügeljnngeu, dem man die Schuld zuschieben
wolle. Die Partei verdient vollkommen den Vorwurf, der ihr gemacht wird.
In ihrer ratlosem Unentschlossenheit vermag sie sich weder ausschließlich für die
gewerkschaftliche, noch für die politische Bewegung zu entscheiden. Sie fürchtet,
daß, wenn sie sich von den Gewerkschaftern lossagt, ihr damit die -- gott¬
lob! - - noch breite Masse der verständigen und nüchternen Leute verloren
gehen werde, die die Znlnnftsphantasien wohl ganz hübsch finden, denen aber
doch eine Verbesserung ihrer Lage in der Gegenwart wichtiger und praktischer
erscheint, als der etwas unsichere Wechsel auf eine mehr oder weniger ferne
Zukunft, und sie fürchtet andrerseits, daß, wenn sie ihre ganze Kraft ans die
positive Mitarbeit, d. h. im wesentlichen in die Gewerkschaftsbewegung ver¬
legt, sie sich selbst ihrer propagandistischen Kraft berauben werde. Und doch
heißt es hier: Entweder--oder.

Vor uns liegt ein Artikel des Hamburger Echos, der den Standpunkt
der Partei treffend kennzeichnet, aber gerade deshalb mit besondrer Deutlich¬
keit zeigt, in welche Sackgasse man geraten ist. "Ans welchem Wege -- heißt
es da -- können die ausgebeuteten und unterdrückten Klassen die Macht der
herrschenden Klassen mehr und mehr einschränken und schließlich ganz brechen
und eine neue ökonomische Ordnung herbeiführen? Offenbar dadurch, daß sie
der herrschenden Klasse den Apparat, womit sie ihre Klassenherrschaft aufrecht
erhält, ans den Händen winden, daß sie sich der Gesetzgebung bemächtigen,
daß sie politisch operiren. Und das gelingt ihnen eben dadurch, daß durch
fortgesetzte Ausbeutung ihre Scharen immer mehr wachsen und sich eben zu
dieser politischen Operation organisiren." Allerdings sei, fährt der Artikel
fort, neben der politischen auch die gewerkschaftliche, unmittelbar auf Verbesse¬
rung der wirtschaftlichen Lage gerichtete "Aktion" gut und nützlich, aber doch
nur innerhalb der bestehenden Gesellschaft, und auch dort nnr in gewisser Rich¬
tung. Aber das dürfe nie vergessen werden, daß der Sturz des Kapitalismus


Die sozuildemokratische Partei und die (Zewerksch.ifteil

nur taktischen Zwecken dienende unter dem Gesichtspunkte eines doch unver¬
meidlichen, plötzlichen Umsturzes zu betrachten," das sprechen die mitten im
Leben stehenden Gewerkschafter praktisch damit aus, daß sie sagen: die Partei
zeigt nicht das genügende Interesse an der Gewerkschaftsbewegung, es ist ihr
nicht Ernst mit ihrer Unterstützung unsrer unmittelbar auf Verbesserung unsrer
Lage gerichteten Bestrebungen; sie verstärkt den Glauben an einen baldigen
Umsturz in der politischen Bewegung und vermindert, indem sie dies thut,
das Interesse der Genossen um der gewerkschaftlichen Bewegung.

Die Veranlassung dazu, daß dieser Vorwurf jetzt erhoben wird, bildet die
bedrängte Lage der Gewerkschaften, die seit der berüchtigten Maifeier des Jahres
1890 mit einer immer mehr zunehmenden Gleichgiltigkeit der Fachgenossen zu
kämpfen haben; aber es ist nicht wahr, was die Wortführer der Partei jetzt
fortwährend behaupten: mau habe die Gewerkschaftsbewegung gründlich ver¬
fahren und suche sich nun einen Prügeljnngeu, dem man die Schuld zuschieben
wolle. Die Partei verdient vollkommen den Vorwurf, der ihr gemacht wird.
In ihrer ratlosem Unentschlossenheit vermag sie sich weder ausschließlich für die
gewerkschaftliche, noch für die politische Bewegung zu entscheiden. Sie fürchtet,
daß, wenn sie sich von den Gewerkschaftern lossagt, ihr damit die — gott¬
lob! - - noch breite Masse der verständigen und nüchternen Leute verloren
gehen werde, die die Znlnnftsphantasien wohl ganz hübsch finden, denen aber
doch eine Verbesserung ihrer Lage in der Gegenwart wichtiger und praktischer
erscheint, als der etwas unsichere Wechsel auf eine mehr oder weniger ferne
Zukunft, und sie fürchtet andrerseits, daß, wenn sie ihre ganze Kraft ans die
positive Mitarbeit, d. h. im wesentlichen in die Gewerkschaftsbewegung ver¬
legt, sie sich selbst ihrer propagandistischen Kraft berauben werde. Und doch
heißt es hier: Entweder—oder.

Vor uns liegt ein Artikel des Hamburger Echos, der den Standpunkt
der Partei treffend kennzeichnet, aber gerade deshalb mit besondrer Deutlich¬
keit zeigt, in welche Sackgasse man geraten ist. „Ans welchem Wege — heißt
es da — können die ausgebeuteten und unterdrückten Klassen die Macht der
herrschenden Klassen mehr und mehr einschränken und schließlich ganz brechen
und eine neue ökonomische Ordnung herbeiführen? Offenbar dadurch, daß sie
der herrschenden Klasse den Apparat, womit sie ihre Klassenherrschaft aufrecht
erhält, ans den Händen winden, daß sie sich der Gesetzgebung bemächtigen,
daß sie politisch operiren. Und das gelingt ihnen eben dadurch, daß durch
fortgesetzte Ausbeutung ihre Scharen immer mehr wachsen und sich eben zu
dieser politischen Operation organisiren." Allerdings sei, fährt der Artikel
fort, neben der politischen auch die gewerkschaftliche, unmittelbar auf Verbesse¬
rung der wirtschaftlichen Lage gerichtete „Aktion" gut und nützlich, aber doch
nur innerhalb der bestehenden Gesellschaft, und auch dort nnr in gewisser Rich¬
tung. Aber das dürfe nie vergessen werden, daß der Sturz des Kapitalismus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216186"/>
          <fw type="header" place="top"> Die sozuildemokratische Partei und die (Zewerksch.ifteil</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1689" prev="#ID_1688"> nur taktischen Zwecken dienende unter dem Gesichtspunkte eines doch unver¬<lb/>
meidlichen, plötzlichen Umsturzes zu betrachten," das sprechen die mitten im<lb/>
Leben stehenden Gewerkschafter praktisch damit aus, daß sie sagen: die Partei<lb/>
zeigt nicht das genügende Interesse an der Gewerkschaftsbewegung, es ist ihr<lb/>
nicht Ernst mit ihrer Unterstützung unsrer unmittelbar auf Verbesserung unsrer<lb/>
Lage gerichteten Bestrebungen; sie verstärkt den Glauben an einen baldigen<lb/>
Umsturz in der politischen Bewegung und vermindert, indem sie dies thut,<lb/>
das Interesse der Genossen um der gewerkschaftlichen Bewegung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1690"> Die Veranlassung dazu, daß dieser Vorwurf jetzt erhoben wird, bildet die<lb/>
bedrängte Lage der Gewerkschaften, die seit der berüchtigten Maifeier des Jahres<lb/>
1890 mit einer immer mehr zunehmenden Gleichgiltigkeit der Fachgenossen zu<lb/>
kämpfen haben; aber es ist nicht wahr, was die Wortführer der Partei jetzt<lb/>
fortwährend behaupten: mau habe die Gewerkschaftsbewegung gründlich ver¬<lb/>
fahren und suche sich nun einen Prügeljnngeu, dem man die Schuld zuschieben<lb/>
wolle. Die Partei verdient vollkommen den Vorwurf, der ihr gemacht wird.<lb/>
In ihrer ratlosem Unentschlossenheit vermag sie sich weder ausschließlich für die<lb/>
gewerkschaftliche, noch für die politische Bewegung zu entscheiden. Sie fürchtet,<lb/>
daß, wenn sie sich von den Gewerkschaftern lossagt, ihr damit die &#x2014; gott¬<lb/>
lob! - - noch breite Masse der verständigen und nüchternen Leute verloren<lb/>
gehen werde, die die Znlnnftsphantasien wohl ganz hübsch finden, denen aber<lb/>
doch eine Verbesserung ihrer Lage in der Gegenwart wichtiger und praktischer<lb/>
erscheint, als der etwas unsichere Wechsel auf eine mehr oder weniger ferne<lb/>
Zukunft, und sie fürchtet andrerseits, daß, wenn sie ihre ganze Kraft ans die<lb/>
positive Mitarbeit, d. h. im wesentlichen in die Gewerkschaftsbewegung ver¬<lb/>
legt, sie sich selbst ihrer propagandistischen Kraft berauben werde. Und doch<lb/>
heißt es hier: Entweder&#x2014;oder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1691" next="#ID_1692"> Vor uns liegt ein Artikel des Hamburger Echos, der den Standpunkt<lb/>
der Partei treffend kennzeichnet, aber gerade deshalb mit besondrer Deutlich¬<lb/>
keit zeigt, in welche Sackgasse man geraten ist. &#x201E;Ans welchem Wege &#x2014; heißt<lb/>
es da &#x2014; können die ausgebeuteten und unterdrückten Klassen die Macht der<lb/>
herrschenden Klassen mehr und mehr einschränken und schließlich ganz brechen<lb/>
und eine neue ökonomische Ordnung herbeiführen? Offenbar dadurch, daß sie<lb/>
der herrschenden Klasse den Apparat, womit sie ihre Klassenherrschaft aufrecht<lb/>
erhält, ans den Händen winden, daß sie sich der Gesetzgebung bemächtigen,<lb/>
daß sie politisch operiren. Und das gelingt ihnen eben dadurch, daß durch<lb/>
fortgesetzte Ausbeutung ihre Scharen immer mehr wachsen und sich eben zu<lb/>
dieser politischen Operation organisiren." Allerdings sei, fährt der Artikel<lb/>
fort, neben der politischen auch die gewerkschaftliche, unmittelbar auf Verbesse¬<lb/>
rung der wirtschaftlichen Lage gerichtete &#x201E;Aktion" gut und nützlich, aber doch<lb/>
nur innerhalb der bestehenden Gesellschaft, und auch dort nnr in gewisser Rich¬<lb/>
tung. Aber das dürfe nie vergessen werden, daß der Sturz des Kapitalismus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0462] Die sozuildemokratische Partei und die (Zewerksch.ifteil nur taktischen Zwecken dienende unter dem Gesichtspunkte eines doch unver¬ meidlichen, plötzlichen Umsturzes zu betrachten," das sprechen die mitten im Leben stehenden Gewerkschafter praktisch damit aus, daß sie sagen: die Partei zeigt nicht das genügende Interesse an der Gewerkschaftsbewegung, es ist ihr nicht Ernst mit ihrer Unterstützung unsrer unmittelbar auf Verbesserung unsrer Lage gerichteten Bestrebungen; sie verstärkt den Glauben an einen baldigen Umsturz in der politischen Bewegung und vermindert, indem sie dies thut, das Interesse der Genossen um der gewerkschaftlichen Bewegung. Die Veranlassung dazu, daß dieser Vorwurf jetzt erhoben wird, bildet die bedrängte Lage der Gewerkschaften, die seit der berüchtigten Maifeier des Jahres 1890 mit einer immer mehr zunehmenden Gleichgiltigkeit der Fachgenossen zu kämpfen haben; aber es ist nicht wahr, was die Wortführer der Partei jetzt fortwährend behaupten: mau habe die Gewerkschaftsbewegung gründlich ver¬ fahren und suche sich nun einen Prügeljnngeu, dem man die Schuld zuschieben wolle. Die Partei verdient vollkommen den Vorwurf, der ihr gemacht wird. In ihrer ratlosem Unentschlossenheit vermag sie sich weder ausschließlich für die gewerkschaftliche, noch für die politische Bewegung zu entscheiden. Sie fürchtet, daß, wenn sie sich von den Gewerkschaftern lossagt, ihr damit die — gott¬ lob! - - noch breite Masse der verständigen und nüchternen Leute verloren gehen werde, die die Znlnnftsphantasien wohl ganz hübsch finden, denen aber doch eine Verbesserung ihrer Lage in der Gegenwart wichtiger und praktischer erscheint, als der etwas unsichere Wechsel auf eine mehr oder weniger ferne Zukunft, und sie fürchtet andrerseits, daß, wenn sie ihre ganze Kraft ans die positive Mitarbeit, d. h. im wesentlichen in die Gewerkschaftsbewegung ver¬ legt, sie sich selbst ihrer propagandistischen Kraft berauben werde. Und doch heißt es hier: Entweder—oder. Vor uns liegt ein Artikel des Hamburger Echos, der den Standpunkt der Partei treffend kennzeichnet, aber gerade deshalb mit besondrer Deutlich¬ keit zeigt, in welche Sackgasse man geraten ist. „Ans welchem Wege — heißt es da — können die ausgebeuteten und unterdrückten Klassen die Macht der herrschenden Klassen mehr und mehr einschränken und schließlich ganz brechen und eine neue ökonomische Ordnung herbeiführen? Offenbar dadurch, daß sie der herrschenden Klasse den Apparat, womit sie ihre Klassenherrschaft aufrecht erhält, ans den Händen winden, daß sie sich der Gesetzgebung bemächtigen, daß sie politisch operiren. Und das gelingt ihnen eben dadurch, daß durch fortgesetzte Ausbeutung ihre Scharen immer mehr wachsen und sich eben zu dieser politischen Operation organisiren." Allerdings sei, fährt der Artikel fort, neben der politischen auch die gewerkschaftliche, unmittelbar auf Verbesse¬ rung der wirtschaftlichen Lage gerichtete „Aktion" gut und nützlich, aber doch nur innerhalb der bestehenden Gesellschaft, und auch dort nnr in gewisser Rich¬ tung. Aber das dürfe nie vergessen werden, daß der Sturz des Kapitalismus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/462
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/462>, abgerufen am 22.07.2024.