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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Schein und Wirklichkeit in der Politik

Ministerium Gladstone bieten laßt. Tritt solch ein Fall ein, dann ist auch
Italien nicht mehr zu halten, und die Meerengenfmgc des Westens, das ma¬
rokkanische Problem mit seiner ganzen weittragenden Bedeutung ist da.

Die vierte Schwierigkeit der gegenwärtigen Lage wird durch das ent¬
schiede Überwiegen der jesuitischen Einflüsse am Vatikan bewirkt. Diese Ein¬
flüsse haben, wie heute von den Franzosen mit Bestimmtheit behauptet wird,
das beste zur Anbahnung des russisch-französische" Einverständnisses gethan,
sie durchkreuzen, wo sich nur die Gelegenheit bietet, die auf eine wirkliche Ver¬
ständigung zwischen Frankreich und den Mächten des Dreibundes gerichteten
Bemühungen. Immer im Hinblick ans eine Wiederherstellung der weltlichen
Herrschaft des Papstes, wie neuerdings durch das russische Rcgierungsvrgan in
Warschau bestätigt worden ist, lassen sie in Italien eine ruhige, und zufriedne
Stimmung nicht aufkommen, und weil Italien an Österreich eine Stütze findet,
arbeiten sie dahin, der österreichisch-ungarischen Regierung eine klerikale Op¬
position großzuziehen. Die ganze Aktion gegen das Zivilehegesetz in Ungarn
ist vatikanisch-jesuitischen Ursprungs. Dazu kommt die Unterstützung, die der
Vatikan überall der russischen Politik gewährt, obgleich diese in brutaler Rück¬
sichtslosigkeit nicht daran denkt, den Katholiken in Nußland das Joch, das
ihren Gewissen aufgelegt ist, auch nur um ein Weniges zu erleichtern. Die
Jahre, in denen Herr Jswolski als Vertreter des Zaren die russisch-vati¬
kanischen Beziehungen zu Pflegen gehabt hat, sind zugleich die Jahre des
stärksten kirchlichen Drucks, den der .Katholizismus in Rußland zu tragen ge¬
habt hat. Und das will viel sagen. Wer die Nachrichten verfolgt, die dar¬
über in den polnisch-gnlizischen Blättern zu lesen sind, wird erstmmeu über
die Schamlosigkeit, mit der das System der gewaltsamen Bekehrungen von den
Russen betrieben wird.

Bekanntlich wird die Politik des Papstes gegen Rußland auch von der
Hoffnung bestimmt, daß sich die griechische Kirche wieder mit der lateinischen
vereinigen könnte. Gerade dieser Gedanke wird von der Jesnitenpartei, als
deren Werkzeug der Kardinal Rampolla gelten kann, ganz besonders wirksam
dem alt gewordnen Papste gegenüber in Anwendung gebracht, und er scheint
nie zu versagen.

Nun leuchtet sofort ein, welche moralische Kräftigung das russisch-fran¬
zösische Zusammengehen durch den Beitritt des Papstes zur Allianz -- so
dürfen wir es wohl formuliren -- erhalten hat. Rußland gegenüber gilt der
Papst als Bürge für die Absichten der dritten französischen Republik, durch
ihn ist ihr der autimvuarchische Charakter genommen, der so lange den Zaren
vom Anschluß an Frankreich.fernhielt, und wir müssen um abwarten, welche
Wirkung der jüngste Sieg der radikal-sozialistischen Union nach Petersburg
hin haben wird.

Den fünften Grund zur Beunruhigung finden wir in der Veränderung


Schein und Wirklichkeit in der Politik

Ministerium Gladstone bieten laßt. Tritt solch ein Fall ein, dann ist auch
Italien nicht mehr zu halten, und die Meerengenfmgc des Westens, das ma¬
rokkanische Problem mit seiner ganzen weittragenden Bedeutung ist da.

Die vierte Schwierigkeit der gegenwärtigen Lage wird durch das ent¬
schiede Überwiegen der jesuitischen Einflüsse am Vatikan bewirkt. Diese Ein¬
flüsse haben, wie heute von den Franzosen mit Bestimmtheit behauptet wird,
das beste zur Anbahnung des russisch-französische» Einverständnisses gethan,
sie durchkreuzen, wo sich nur die Gelegenheit bietet, die auf eine wirkliche Ver¬
ständigung zwischen Frankreich und den Mächten des Dreibundes gerichteten
Bemühungen. Immer im Hinblick ans eine Wiederherstellung der weltlichen
Herrschaft des Papstes, wie neuerdings durch das russische Rcgierungsvrgan in
Warschau bestätigt worden ist, lassen sie in Italien eine ruhige, und zufriedne
Stimmung nicht aufkommen, und weil Italien an Österreich eine Stütze findet,
arbeiten sie dahin, der österreichisch-ungarischen Regierung eine klerikale Op¬
position großzuziehen. Die ganze Aktion gegen das Zivilehegesetz in Ungarn
ist vatikanisch-jesuitischen Ursprungs. Dazu kommt die Unterstützung, die der
Vatikan überall der russischen Politik gewährt, obgleich diese in brutaler Rück¬
sichtslosigkeit nicht daran denkt, den Katholiken in Nußland das Joch, das
ihren Gewissen aufgelegt ist, auch nur um ein Weniges zu erleichtern. Die
Jahre, in denen Herr Jswolski als Vertreter des Zaren die russisch-vati¬
kanischen Beziehungen zu Pflegen gehabt hat, sind zugleich die Jahre des
stärksten kirchlichen Drucks, den der .Katholizismus in Rußland zu tragen ge¬
habt hat. Und das will viel sagen. Wer die Nachrichten verfolgt, die dar¬
über in den polnisch-gnlizischen Blättern zu lesen sind, wird erstmmeu über
die Schamlosigkeit, mit der das System der gewaltsamen Bekehrungen von den
Russen betrieben wird.

Bekanntlich wird die Politik des Papstes gegen Rußland auch von der
Hoffnung bestimmt, daß sich die griechische Kirche wieder mit der lateinischen
vereinigen könnte. Gerade dieser Gedanke wird von der Jesnitenpartei, als
deren Werkzeug der Kardinal Rampolla gelten kann, ganz besonders wirksam
dem alt gewordnen Papste gegenüber in Anwendung gebracht, und er scheint
nie zu versagen.

Nun leuchtet sofort ein, welche moralische Kräftigung das russisch-fran¬
zösische Zusammengehen durch den Beitritt des Papstes zur Allianz — so
dürfen wir es wohl formuliren — erhalten hat. Rußland gegenüber gilt der
Papst als Bürge für die Absichten der dritten französischen Republik, durch
ihn ist ihr der autimvuarchische Charakter genommen, der so lange den Zaren
vom Anschluß an Frankreich.fernhielt, und wir müssen um abwarten, welche
Wirkung der jüngste Sieg der radikal-sozialistischen Union nach Petersburg
hin haben wird.

Den fünften Grund zur Beunruhigung finden wir in der Veränderung


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[0459] Schein und Wirklichkeit in der Politik Ministerium Gladstone bieten laßt. Tritt solch ein Fall ein, dann ist auch Italien nicht mehr zu halten, und die Meerengenfmgc des Westens, das ma¬ rokkanische Problem mit seiner ganzen weittragenden Bedeutung ist da. Die vierte Schwierigkeit der gegenwärtigen Lage wird durch das ent¬ schiede Überwiegen der jesuitischen Einflüsse am Vatikan bewirkt. Diese Ein¬ flüsse haben, wie heute von den Franzosen mit Bestimmtheit behauptet wird, das beste zur Anbahnung des russisch-französische» Einverständnisses gethan, sie durchkreuzen, wo sich nur die Gelegenheit bietet, die auf eine wirkliche Ver¬ ständigung zwischen Frankreich und den Mächten des Dreibundes gerichteten Bemühungen. Immer im Hinblick ans eine Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes, wie neuerdings durch das russische Rcgierungsvrgan in Warschau bestätigt worden ist, lassen sie in Italien eine ruhige, und zufriedne Stimmung nicht aufkommen, und weil Italien an Österreich eine Stütze findet, arbeiten sie dahin, der österreichisch-ungarischen Regierung eine klerikale Op¬ position großzuziehen. Die ganze Aktion gegen das Zivilehegesetz in Ungarn ist vatikanisch-jesuitischen Ursprungs. Dazu kommt die Unterstützung, die der Vatikan überall der russischen Politik gewährt, obgleich diese in brutaler Rück¬ sichtslosigkeit nicht daran denkt, den Katholiken in Nußland das Joch, das ihren Gewissen aufgelegt ist, auch nur um ein Weniges zu erleichtern. Die Jahre, in denen Herr Jswolski als Vertreter des Zaren die russisch-vati¬ kanischen Beziehungen zu Pflegen gehabt hat, sind zugleich die Jahre des stärksten kirchlichen Drucks, den der .Katholizismus in Rußland zu tragen ge¬ habt hat. Und das will viel sagen. Wer die Nachrichten verfolgt, die dar¬ über in den polnisch-gnlizischen Blättern zu lesen sind, wird erstmmeu über die Schamlosigkeit, mit der das System der gewaltsamen Bekehrungen von den Russen betrieben wird. Bekanntlich wird die Politik des Papstes gegen Rußland auch von der Hoffnung bestimmt, daß sich die griechische Kirche wieder mit der lateinischen vereinigen könnte. Gerade dieser Gedanke wird von der Jesnitenpartei, als deren Werkzeug der Kardinal Rampolla gelten kann, ganz besonders wirksam dem alt gewordnen Papste gegenüber in Anwendung gebracht, und er scheint nie zu versagen. Nun leuchtet sofort ein, welche moralische Kräftigung das russisch-fran¬ zösische Zusammengehen durch den Beitritt des Papstes zur Allianz — so dürfen wir es wohl formuliren — erhalten hat. Rußland gegenüber gilt der Papst als Bürge für die Absichten der dritten französischen Republik, durch ihn ist ihr der autimvuarchische Charakter genommen, der so lange den Zaren vom Anschluß an Frankreich.fernhielt, und wir müssen um abwarten, welche Wirkung der jüngste Sieg der radikal-sozialistischen Union nach Petersburg hin haben wird. Den fünften Grund zur Beunruhigung finden wir in der Veränderung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/459>, abgerufen am 22.07.2024.