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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

indem er leise mit dem Wirt redete, und für die übrigen entschied Stiefels Wort-
Wenn es die Herrschaften bezahlen können, dann möchte ich doch in aller Welt
den sehen, der etwas dawider zu sagen hat. Es wäre dann ja Wohl der Moment
gekommen, sich im Ozean an tiefster Stelle ein Quartier zu suchen, wenn man
sich nicht einmal uuter den Vvgelfreien nach Belieben einrichten dürf.

So bekamen sie denn ihr Stroh in einem andern Raum aufgeschüttet, in
einer engen, weißgetünchten Kammer, deren ganze Ausstattung in einem knarrenden
Tisch und ein paar Schemeln bestand, doch waren als Zierde an der Wand einige
Bilderbogen von Gustav .Kühn in NenruPPin befestigt. Der Wind wirbelte ums
Haus, und der Regen schlug an die klirrenden moosgrünen Scheiben.

Wieder ein Schritt tiefer! rief Lucie in wildem Schmerz. O Franz, laß uns
beten, daß uns Gott bewahre und rette. Sie strecken die Hunde schon nach uns
aus, um uns zu sich hinabzuziehen.

Unter Thränen schliefen sie endlich ein.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Nachschrift.

Der erste Aufsatz dieses Heftes war bereits im Druck, als uns
die Nachricht zukam, daß die Reichsregiernng in den Gesetzentwurf zur Erhöhung
der Börsensteuer und der Lotterielvsstempelsteuer eine ganze Anzahl andrer Stcmpel-
stenervorschlttge mit hineingepackt habe. Hätte jemand der Regierung den Rat
hierzu erteilt in der Absicht, dadurch eine kräftige und gerechte Börsensteuer zu
hintertreiben, so wäre dieser Rat nicht schlecht gewesen. Denn durch dieses Zu¬
sammenpacken andrer Stenervvrlagen mit der allgemein gewünschten Börsensteuer
wird die Verhandlung über sie schwieriger und der Erfolg unberechenbarer. Des¬
halb nochmals der dringende Rat: der Reichstag möge die Börsensteuer in einem
besondern Gesetze allein und vor der Beschlußfassung über die rudern Steuergesetze
feststellen.


lüueomion morii,o.

Erasmus ist übertroffen -- von gewissen offiziösen
Zeitungen, die das Lob der neuen preußische,, Landtngswahlvrduuug singen. Wie
hat mau nicht seit Jahren gejammert über den Unsinn, daß nach dem Reichstags¬
wahlrecht der Hausknecht so viel Einfluß habe als der Reichskanzler und der be¬
rühmteste Professor! Aber was will das bedeuten gegen die jetzige Wählereinteilung
bei deu preußischen Landtagswahlen, wo man in den Häusern Ur. 1 bis 7 der
Borsigstraße zu Berlin mit 26 Mark Steuer in die erste Klasse wählt, während
der Graf und Reichskanzler Caprivi mit seinen S4000 Mark Gehalt dritter
Klasse wählt! Wo ein Proletarier mit 48 Mark Steuern in einem Königsberger
llrwählerbezirke sämtliche Wahlmänner der ersten Abteilung ernennt (in Breslau
soll es Bezirke geben, wo ein noch niedrigerer Steuersatz zu solcher Macht ver¬
hilft), wnhreud sämtliche Minister mit Ausnahme des Finanzministers in die dritte
Klasse gehören! Wo in Neustadt (Oberschlesien) ein Paar jüdische Vettern die erste
Klasse bilden und demnach, nebenbei bemerkt, auch die ganze Stadtverwaltung in


Grenzboten IV 1893 56
Maßgebliches und Unmaßgebliches

indem er leise mit dem Wirt redete, und für die übrigen entschied Stiefels Wort-
Wenn es die Herrschaften bezahlen können, dann möchte ich doch in aller Welt
den sehen, der etwas dawider zu sagen hat. Es wäre dann ja Wohl der Moment
gekommen, sich im Ozean an tiefster Stelle ein Quartier zu suchen, wenn man
sich nicht einmal uuter den Vvgelfreien nach Belieben einrichten dürf.

So bekamen sie denn ihr Stroh in einem andern Raum aufgeschüttet, in
einer engen, weißgetünchten Kammer, deren ganze Ausstattung in einem knarrenden
Tisch und ein paar Schemeln bestand, doch waren als Zierde an der Wand einige
Bilderbogen von Gustav .Kühn in NenruPPin befestigt. Der Wind wirbelte ums
Haus, und der Regen schlug an die klirrenden moosgrünen Scheiben.

Wieder ein Schritt tiefer! rief Lucie in wildem Schmerz. O Franz, laß uns
beten, daß uns Gott bewahre und rette. Sie strecken die Hunde schon nach uns
aus, um uns zu sich hinabzuziehen.

Unter Thränen schliefen sie endlich ein.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Nachschrift.

Der erste Aufsatz dieses Heftes war bereits im Druck, als uns
die Nachricht zukam, daß die Reichsregiernng in den Gesetzentwurf zur Erhöhung
der Börsensteuer und der Lotterielvsstempelsteuer eine ganze Anzahl andrer Stcmpel-
stenervorschlttge mit hineingepackt habe. Hätte jemand der Regierung den Rat
hierzu erteilt in der Absicht, dadurch eine kräftige und gerechte Börsensteuer zu
hintertreiben, so wäre dieser Rat nicht schlecht gewesen. Denn durch dieses Zu¬
sammenpacken andrer Stenervvrlagen mit der allgemein gewünschten Börsensteuer
wird die Verhandlung über sie schwieriger und der Erfolg unberechenbarer. Des¬
halb nochmals der dringende Rat: der Reichstag möge die Börsensteuer in einem
besondern Gesetze allein und vor der Beschlußfassung über die rudern Steuergesetze
feststellen.


lüueomion morii,o.

Erasmus ist übertroffen — von gewissen offiziösen
Zeitungen, die das Lob der neuen preußische,, Landtngswahlvrduuug singen. Wie
hat mau nicht seit Jahren gejammert über den Unsinn, daß nach dem Reichstags¬
wahlrecht der Hausknecht so viel Einfluß habe als der Reichskanzler und der be¬
rühmteste Professor! Aber was will das bedeuten gegen die jetzige Wählereinteilung
bei deu preußischen Landtagswahlen, wo man in den Häusern Ur. 1 bis 7 der
Borsigstraße zu Berlin mit 26 Mark Steuer in die erste Klasse wählt, während
der Graf und Reichskanzler Caprivi mit seinen S4000 Mark Gehalt dritter
Klasse wählt! Wo ein Proletarier mit 48 Mark Steuern in einem Königsberger
llrwählerbezirke sämtliche Wahlmänner der ersten Abteilung ernennt (in Breslau
soll es Bezirke geben, wo ein noch niedrigerer Steuersatz zu solcher Macht ver¬
hilft), wnhreud sämtliche Minister mit Ausnahme des Finanzministers in die dritte
Klasse gehören! Wo in Neustadt (Oberschlesien) ein Paar jüdische Vettern die erste
Klasse bilden und demnach, nebenbei bemerkt, auch die ganze Stadtverwaltung in


Grenzboten IV 1893 56
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[0449] Maßgebliches und Unmaßgebliches indem er leise mit dem Wirt redete, und für die übrigen entschied Stiefels Wort- Wenn es die Herrschaften bezahlen können, dann möchte ich doch in aller Welt den sehen, der etwas dawider zu sagen hat. Es wäre dann ja Wohl der Moment gekommen, sich im Ozean an tiefster Stelle ein Quartier zu suchen, wenn man sich nicht einmal uuter den Vvgelfreien nach Belieben einrichten dürf. So bekamen sie denn ihr Stroh in einem andern Raum aufgeschüttet, in einer engen, weißgetünchten Kammer, deren ganze Ausstattung in einem knarrenden Tisch und ein paar Schemeln bestand, doch waren als Zierde an der Wand einige Bilderbogen von Gustav .Kühn in NenruPPin befestigt. Der Wind wirbelte ums Haus, und der Regen schlug an die klirrenden moosgrünen Scheiben. Wieder ein Schritt tiefer! rief Lucie in wildem Schmerz. O Franz, laß uns beten, daß uns Gott bewahre und rette. Sie strecken die Hunde schon nach uns aus, um uns zu sich hinabzuziehen. Unter Thränen schliefen sie endlich ein. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Nachschrift. Der erste Aufsatz dieses Heftes war bereits im Druck, als uns die Nachricht zukam, daß die Reichsregiernng in den Gesetzentwurf zur Erhöhung der Börsensteuer und der Lotterielvsstempelsteuer eine ganze Anzahl andrer Stcmpel- stenervorschlttge mit hineingepackt habe. Hätte jemand der Regierung den Rat hierzu erteilt in der Absicht, dadurch eine kräftige und gerechte Börsensteuer zu hintertreiben, so wäre dieser Rat nicht schlecht gewesen. Denn durch dieses Zu¬ sammenpacken andrer Stenervvrlagen mit der allgemein gewünschten Börsensteuer wird die Verhandlung über sie schwieriger und der Erfolg unberechenbarer. Des¬ halb nochmals der dringende Rat: der Reichstag möge die Börsensteuer in einem besondern Gesetze allein und vor der Beschlußfassung über die rudern Steuergesetze feststellen. lüueomion morii,o. Erasmus ist übertroffen — von gewissen offiziösen Zeitungen, die das Lob der neuen preußische,, Landtngswahlvrduuug singen. Wie hat mau nicht seit Jahren gejammert über den Unsinn, daß nach dem Reichstags¬ wahlrecht der Hausknecht so viel Einfluß habe als der Reichskanzler und der be¬ rühmteste Professor! Aber was will das bedeuten gegen die jetzige Wählereinteilung bei deu preußischen Landtagswahlen, wo man in den Häusern Ur. 1 bis 7 der Borsigstraße zu Berlin mit 26 Mark Steuer in die erste Klasse wählt, während der Graf und Reichskanzler Caprivi mit seinen S4000 Mark Gehalt dritter Klasse wählt! Wo ein Proletarier mit 48 Mark Steuern in einem Königsberger llrwählerbezirke sämtliche Wahlmänner der ersten Abteilung ernennt (in Breslau soll es Bezirke geben, wo ein noch niedrigerer Steuersatz zu solcher Macht ver¬ hilft), wnhreud sämtliche Minister mit Ausnahme des Finanzministers in die dritte Klasse gehören! Wo in Neustadt (Oberschlesien) ein Paar jüdische Vettern die erste Klasse bilden und demnach, nebenbei bemerkt, auch die ganze Stadtverwaltung in Grenzboten IV 1893 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/449>, abgerufen am 30.06.2024.