Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bildung

darin: ob nach oben Luft geschaffen geschafft!'j und die Möglichkeit eines Auf-
steigens zu selbständiger Existenz geboten werden kann. Sie ist eine Land¬
frage, und zwar ist ihr Hauptcharakteristikum gegenüber der gewerblichen Arbeiter¬
frage, daß sie nicht nach sozialistischer, sondern mit Naturgewalt nach indi¬
vidualistischer Losung strebt." Nur möchten wir dazu noch bemerken, daß auch
beim Gewerbe die sozialistische Richtung, die seine Angehörigen in Masse ein¬
geschlagen haben, keineswegs in seiner Natur liegt, sondern vom Staate ver¬
schuldet ist, der den Kapitalismus begünstigt und damit die kommunistische
Gegenbewegung hervorruft.




Bildung
v Friedrich paulsen on

RM>,
^"MMMH^"s giebt wenig Wörter, die dein gegenwärtig lebenden Geschlecht
so geläufig wären, wie die Wörter Bildung, gebildet, ungebildet.")
Wo immer von einem Menschen die Rede ist, da wird alsbald
darüber gehandelt, ob er gebildet sei oder nicht. Natürlich, die
Sache ist von größter Wichtigkeit: es hängt davon ab, wie man
zu ihm verhalten soll, ob man mit ihm als Gleichem verkehren und zu
Tisch sitzen kann oder nicht. Gebildete und Ungebildete, das sind die beiden
Hälften, in die gegenwärtig die Gesellschaft geteilt wird. Sie haben die ältern
Einteilungen allmählich in Vergessenheit gebracht. Früher teilte man die
Menschen in Adliche und Bürgerliche, in Gläubige und Ungläubige, in Pro¬
testanten und Katholiken, in Christen und Juden. Von alledem sind zwar
noch Erinnerungen da, aber die praktisch wichtige, die entscheidende Einteilung
ist die in Gebildete und Ungebildete. Wer über dem Strich ist, der diese beiden
Gattungen von Menschen trennt, der gehört zur "Gesellschaft" und kann die
damit gebotne Rücksicht beanspruchen; wer darunter bleibt, der ist vom c^n-
mMuiQ und oommm-pium ausgeschlossen, ein vertraulicher Umgang mit ihm
oder gar eine Familienverbindung ist gesellschaftlich unmöglich.

Worin besteht der Unterschied? Was macht das Wesen der Bildung ans,
wie sie in der allgemeinen Rede umgeht? Beginnen wir mit dem Äußerlichen.

In der Zeitung steht: Ein anscheinend den gebildeten Ständen angehöriger
Mann erregte durch sein auffallendes Benehmen Aufsehen. Woran erkannte



") Die vorstehende Abhandlunn, bildet eine" Artikel ans der demnächst erscheinende"
Encyklopädie der Pädagogik, herausgegeben vo" Professor W, R! el".
Bildung

darin: ob nach oben Luft geschaffen geschafft!'j und die Möglichkeit eines Auf-
steigens zu selbständiger Existenz geboten werden kann. Sie ist eine Land¬
frage, und zwar ist ihr Hauptcharakteristikum gegenüber der gewerblichen Arbeiter¬
frage, daß sie nicht nach sozialistischer, sondern mit Naturgewalt nach indi¬
vidualistischer Losung strebt." Nur möchten wir dazu noch bemerken, daß auch
beim Gewerbe die sozialistische Richtung, die seine Angehörigen in Masse ein¬
geschlagen haben, keineswegs in seiner Natur liegt, sondern vom Staate ver¬
schuldet ist, der den Kapitalismus begünstigt und damit die kommunistische
Gegenbewegung hervorruft.




Bildung
v Friedrich paulsen on

RM>,
^"MMMH^"s giebt wenig Wörter, die dein gegenwärtig lebenden Geschlecht
so geläufig wären, wie die Wörter Bildung, gebildet, ungebildet.")
Wo immer von einem Menschen die Rede ist, da wird alsbald
darüber gehandelt, ob er gebildet sei oder nicht. Natürlich, die
Sache ist von größter Wichtigkeit: es hängt davon ab, wie man
zu ihm verhalten soll, ob man mit ihm als Gleichem verkehren und zu
Tisch sitzen kann oder nicht. Gebildete und Ungebildete, das sind die beiden
Hälften, in die gegenwärtig die Gesellschaft geteilt wird. Sie haben die ältern
Einteilungen allmählich in Vergessenheit gebracht. Früher teilte man die
Menschen in Adliche und Bürgerliche, in Gläubige und Ungläubige, in Pro¬
testanten und Katholiken, in Christen und Juden. Von alledem sind zwar
noch Erinnerungen da, aber die praktisch wichtige, die entscheidende Einteilung
ist die in Gebildete und Ungebildete. Wer über dem Strich ist, der diese beiden
Gattungen von Menschen trennt, der gehört zur „Gesellschaft" und kann die
damit gebotne Rücksicht beanspruchen; wer darunter bleibt, der ist vom c^n-
mMuiQ und oommm-pium ausgeschlossen, ein vertraulicher Umgang mit ihm
oder gar eine Familienverbindung ist gesellschaftlich unmöglich.

Worin besteht der Unterschied? Was macht das Wesen der Bildung ans,
wie sie in der allgemeinen Rede umgeht? Beginnen wir mit dem Äußerlichen.

In der Zeitung steht: Ein anscheinend den gebildeten Ständen angehöriger
Mann erregte durch sein auffallendes Benehmen Aufsehen. Woran erkannte



") Die vorstehende Abhandlunn, bildet eine» Artikel ans der demnächst erscheinende»
Encyklopädie der Pädagogik, herausgegeben vo» Professor W, R! el».
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216147"/>
          <fw type="header" place="top"> Bildung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1450" prev="#ID_1449"> darin: ob nach oben Luft geschaffen geschafft!'j und die Möglichkeit eines Auf-<lb/>
steigens zu selbständiger Existenz geboten werden kann. Sie ist eine Land¬<lb/>
frage, und zwar ist ihr Hauptcharakteristikum gegenüber der gewerblichen Arbeiter¬<lb/>
frage, daß sie nicht nach sozialistischer, sondern mit Naturgewalt nach indi¬<lb/>
vidualistischer Losung strebt." Nur möchten wir dazu noch bemerken, daß auch<lb/>
beim Gewerbe die sozialistische Richtung, die seine Angehörigen in Masse ein¬<lb/>
geschlagen haben, keineswegs in seiner Natur liegt, sondern vom Staate ver¬<lb/>
schuldet ist, der den Kapitalismus begünstigt und damit die kommunistische<lb/>
Gegenbewegung hervorruft.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Bildung<lb/>
v<note type="byline"> Friedrich paulsen</note> on</head><lb/>
          <div n="2">
            <head/><lb/>
            <p xml:id="ID_1451"> RM&gt;,<lb/>
^"MMMH^"s giebt wenig Wörter, die dein gegenwärtig lebenden Geschlecht<lb/>
so geläufig wären, wie die Wörter Bildung, gebildet, ungebildet.")<lb/>
Wo immer von einem Menschen die Rede ist, da wird alsbald<lb/>
darüber gehandelt, ob er gebildet sei oder nicht. Natürlich, die<lb/>
Sache ist von größter Wichtigkeit: es hängt davon ab, wie man<lb/>
zu ihm verhalten soll, ob man mit ihm als Gleichem verkehren und zu<lb/>
Tisch sitzen kann oder nicht. Gebildete und Ungebildete, das sind die beiden<lb/>
Hälften, in die gegenwärtig die Gesellschaft geteilt wird. Sie haben die ältern<lb/>
Einteilungen allmählich in Vergessenheit gebracht. Früher teilte man die<lb/>
Menschen in Adliche und Bürgerliche, in Gläubige und Ungläubige, in Pro¬<lb/>
testanten und Katholiken, in Christen und Juden. Von alledem sind zwar<lb/>
noch Erinnerungen da, aber die praktisch wichtige, die entscheidende Einteilung<lb/>
ist die in Gebildete und Ungebildete. Wer über dem Strich ist, der diese beiden<lb/>
Gattungen von Menschen trennt, der gehört zur &#x201E;Gesellschaft" und kann die<lb/>
damit gebotne Rücksicht beanspruchen; wer darunter bleibt, der ist vom c^n-<lb/>
mMuiQ und oommm-pium ausgeschlossen, ein vertraulicher Umgang mit ihm<lb/>
oder gar eine Familienverbindung ist gesellschaftlich unmöglich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1452"> Worin besteht der Unterschied? Was macht das Wesen der Bildung ans,<lb/>
wie sie in der allgemeinen Rede umgeht? Beginnen wir mit dem Äußerlichen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1453" next="#ID_1454"> In der Zeitung steht: Ein anscheinend den gebildeten Ständen angehöriger<lb/>
Mann erregte durch sein auffallendes Benehmen Aufsehen.  Woran erkannte</p><lb/>
            <note xml:id="FID_64" place="foot"> ") Die vorstehende Abhandlunn, bildet eine» Artikel ans der demnächst erscheinende»<lb/>
Encyklopädie der Pädagogik, herausgegeben vo» Professor W, R! el».</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Bildung darin: ob nach oben Luft geschaffen geschafft!'j und die Möglichkeit eines Auf- steigens zu selbständiger Existenz geboten werden kann. Sie ist eine Land¬ frage, und zwar ist ihr Hauptcharakteristikum gegenüber der gewerblichen Arbeiter¬ frage, daß sie nicht nach sozialistischer, sondern mit Naturgewalt nach indi¬ vidualistischer Losung strebt." Nur möchten wir dazu noch bemerken, daß auch beim Gewerbe die sozialistische Richtung, die seine Angehörigen in Masse ein¬ geschlagen haben, keineswegs in seiner Natur liegt, sondern vom Staate ver¬ schuldet ist, der den Kapitalismus begünstigt und damit die kommunistische Gegenbewegung hervorruft. Bildung v Friedrich paulsen on RM>, ^"MMMH^"s giebt wenig Wörter, die dein gegenwärtig lebenden Geschlecht so geläufig wären, wie die Wörter Bildung, gebildet, ungebildet.") Wo immer von einem Menschen die Rede ist, da wird alsbald darüber gehandelt, ob er gebildet sei oder nicht. Natürlich, die Sache ist von größter Wichtigkeit: es hängt davon ab, wie man zu ihm verhalten soll, ob man mit ihm als Gleichem verkehren und zu Tisch sitzen kann oder nicht. Gebildete und Ungebildete, das sind die beiden Hälften, in die gegenwärtig die Gesellschaft geteilt wird. Sie haben die ältern Einteilungen allmählich in Vergessenheit gebracht. Früher teilte man die Menschen in Adliche und Bürgerliche, in Gläubige und Ungläubige, in Pro¬ testanten und Katholiken, in Christen und Juden. Von alledem sind zwar noch Erinnerungen da, aber die praktisch wichtige, die entscheidende Einteilung ist die in Gebildete und Ungebildete. Wer über dem Strich ist, der diese beiden Gattungen von Menschen trennt, der gehört zur „Gesellschaft" und kann die damit gebotne Rücksicht beanspruchen; wer darunter bleibt, der ist vom c^n- mMuiQ und oommm-pium ausgeschlossen, ein vertraulicher Umgang mit ihm oder gar eine Familienverbindung ist gesellschaftlich unmöglich. Worin besteht der Unterschied? Was macht das Wesen der Bildung ans, wie sie in der allgemeinen Rede umgeht? Beginnen wir mit dem Äußerlichen. In der Zeitung steht: Ein anscheinend den gebildeten Ständen angehöriger Mann erregte durch sein auffallendes Benehmen Aufsehen. Woran erkannte ") Die vorstehende Abhandlunn, bildet eine» Artikel ans der demnächst erscheinende» Encyklopädie der Pädagogik, herausgegeben vo» Professor W, R! el».

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/423>, abgerufen am 22.07.2024.