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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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in drei Unterfragen: 1, Soll der Großgrundbesitz bestehen bleiben? Im Falle
der Bejahung: 2. Soll ihm die Arbeiterschaft, die er braucht, dnrch Wieder¬
einführung der Hörigkeit oder dnrch reichliche Zufuhr besitzloser Tagelöhner
gesichert werden? Im Falle, daß das zweite vorgezogen wird: 3. Will man
ihm Polen zuführen (die dann aber nicht germanisirt werden dürfen) oder
deutsche Arbeiter in Lebensführung und Bildung soweit hinnbdrückcn, daß sie
zum Tagelöhuerdienste in jenen Gegenden tauglich werden?

Nun haben ja die Männer des Vereins für Sozialpolitik einen Ausweg
aus der Verlegenheit gezeigt, und wir brauchen unsern Lesern nicht erst zu
sagen, daß wir genau dasselbe wollen, was insbesondre v. d. Goltz, Gering
und Sombart vorschlagen. Aber wir halten uns für verpflichtet, auf die
größte der dem Plane entgegenstehenden Schwierigkeiten hinzuweisen, was die
genannten hochverdienten Männer aus leicht begreiflichen Gründen unterlassen
haben und unterlassen mußten. Professor Adolf Wagner hat sie augedeutet,
indem er die bisherigen Anstedlungen als einen Tropfen auf einen heißen Stein
bezeichnete. Wir fürchten, die Besiedlung aller Außenschläge würde nicht viel
mehr bedeuten, als einen zweiten Tropfen. Sollen zahlreiche Bauerndörfer
entstehen, so müssen nicht bloß die Außenschläge, sondern ganze Dominien
geopfert werden, und deren nicht wenige, und wer weiß, ob die hinreichen
würden. Das wird ja nun auch in immer weitern Kreisen immer dringender
gefordert. So schreibt eine Wochenschrift, der Deutsche Ökonomist: "Wenn an
nichts anderm, so geht der Großgrundbesitz an der Arbeiterfrage zu Grunde.
Vom Standpunkte des Staatswohls ist es thöricht, diese Entwicklung zu be¬
klagen oder zu erschweren. Wo jetzt ein Großgrundbesitzer mit einer Schar
unzufriedner, stupider, wirtschaftlich leistnugsunfähiger Arbeiter haust, da
könnten dreißig-, vierzigmal so viel zufriedne, wirtschaftlich leistungsfähige
lind widerstandsfähige Bauern mit ihren Familien wohnen. Denn während
der Großbesitz*) mit seiner extensiven Wirtschaft und hohen Schuldenlast trotz
aller Schutzzölle wegen der billigen Seefracht doch nicht mit dem überseeischen
Getreidebau konkurriren kaun, vermag sich eine für den eignen Bedarf ar¬
beitende intensiv wirtschaftende Bauernschaft anf demselben Boden sehr Wohl
zu ernähren. Überlasse man endlich die Großgrundbesitzer sich selbst; die unter
ihnen, die sich nicht selbst in ihrem Besitz zu erhalten vermögen, sind sür den
Staat und die Volkswirtschaft wertlos." Eben dieser Umstand aber, daß die
Wiederherstellung und Vermehrung des Bauernstandes in den fraglichen Gegenden
die Verminderung der Rittergüter zur Boraussetzung hat, wird den in Preußen
und durch Preußen im Reiche mächtigsten Stand zum energischen, wenn auch



Unter Großbesitz sind in solchem Zusammenhange immer nur die großen Rittergüter
zu verstehen, nicht etwa die Magnatenherrschaften; diese sind keineswegs verschuldet, sondern
werfen soviel ab, daß manche Besitzer kaum wissen, was sie mit ihren Überschüssen anfangen
sollen.

in drei Unterfragen: 1, Soll der Großgrundbesitz bestehen bleiben? Im Falle
der Bejahung: 2. Soll ihm die Arbeiterschaft, die er braucht, dnrch Wieder¬
einführung der Hörigkeit oder dnrch reichliche Zufuhr besitzloser Tagelöhner
gesichert werden? Im Falle, daß das zweite vorgezogen wird: 3. Will man
ihm Polen zuführen (die dann aber nicht germanisirt werden dürfen) oder
deutsche Arbeiter in Lebensführung und Bildung soweit hinnbdrückcn, daß sie
zum Tagelöhuerdienste in jenen Gegenden tauglich werden?

Nun haben ja die Männer des Vereins für Sozialpolitik einen Ausweg
aus der Verlegenheit gezeigt, und wir brauchen unsern Lesern nicht erst zu
sagen, daß wir genau dasselbe wollen, was insbesondre v. d. Goltz, Gering
und Sombart vorschlagen. Aber wir halten uns für verpflichtet, auf die
größte der dem Plane entgegenstehenden Schwierigkeiten hinzuweisen, was die
genannten hochverdienten Männer aus leicht begreiflichen Gründen unterlassen
haben und unterlassen mußten. Professor Adolf Wagner hat sie augedeutet,
indem er die bisherigen Anstedlungen als einen Tropfen auf einen heißen Stein
bezeichnete. Wir fürchten, die Besiedlung aller Außenschläge würde nicht viel
mehr bedeuten, als einen zweiten Tropfen. Sollen zahlreiche Bauerndörfer
entstehen, so müssen nicht bloß die Außenschläge, sondern ganze Dominien
geopfert werden, und deren nicht wenige, und wer weiß, ob die hinreichen
würden. Das wird ja nun auch in immer weitern Kreisen immer dringender
gefordert. So schreibt eine Wochenschrift, der Deutsche Ökonomist: „Wenn an
nichts anderm, so geht der Großgrundbesitz an der Arbeiterfrage zu Grunde.
Vom Standpunkte des Staatswohls ist es thöricht, diese Entwicklung zu be¬
klagen oder zu erschweren. Wo jetzt ein Großgrundbesitzer mit einer Schar
unzufriedner, stupider, wirtschaftlich leistnugsunfähiger Arbeiter haust, da
könnten dreißig-, vierzigmal so viel zufriedne, wirtschaftlich leistungsfähige
lind widerstandsfähige Bauern mit ihren Familien wohnen. Denn während
der Großbesitz*) mit seiner extensiven Wirtschaft und hohen Schuldenlast trotz
aller Schutzzölle wegen der billigen Seefracht doch nicht mit dem überseeischen
Getreidebau konkurriren kaun, vermag sich eine für den eignen Bedarf ar¬
beitende intensiv wirtschaftende Bauernschaft anf demselben Boden sehr Wohl
zu ernähren. Überlasse man endlich die Großgrundbesitzer sich selbst; die unter
ihnen, die sich nicht selbst in ihrem Besitz zu erhalten vermögen, sind sür den
Staat und die Volkswirtschaft wertlos." Eben dieser Umstand aber, daß die
Wiederherstellung und Vermehrung des Bauernstandes in den fraglichen Gegenden
die Verminderung der Rittergüter zur Boraussetzung hat, wird den in Preußen
und durch Preußen im Reiche mächtigsten Stand zum energischen, wenn auch



Unter Großbesitz sind in solchem Zusammenhange immer nur die großen Rittergüter
zu verstehen, nicht etwa die Magnatenherrschaften; diese sind keineswegs verschuldet, sondern
werfen soviel ab, daß manche Besitzer kaum wissen, was sie mit ihren Überschüssen anfangen
sollen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/421>, abgerufen am 22.07.2024.