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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen
Nicht gelingts ihr auf die Dauer,
Schröder Unnatur zu fröhnen.

Inzwischen können wir ruhig der Zeit, wahrscheinlich nicht einmal einer
sehr fernen Zeit, die Feststellung des wahren Verhältnisses der Kraftgenialen
von gestern zur bleibenden Dichtung, wie zur ewigen Natur überlassen. Alle
Abschlüsse sind verfrüht und helfen nur die Verwirrung vermehren. Wir haben
es zur Zeit nur mit den einzelnen poetischen Leistungen der Jüngsten zu thun,
und diesen gegenüber wird wohl der biblische Spruch: "An ihren Früchten
sollt ihr sie erkennen!" noch zu Recht bestehen.




Die Münchner Ausstellungen
!N, G. Zimmermann von 2

as Laienpublikum und der Kenner stehen den Ausstellungen sehr
verschieden gegenüber. Der Kenner, der in jedem Jahre die
großen Ausstellungen besucht, verfolgt mit Interesse die Bewegung
der Kunst im allgemeinen; er ist begierig, zu sehen, welche Fort¬
schritte sie seit dem vorigen Jahre gemacht hat. Die Art der
ältern, ständigen Kunst kennt er seit vielen Jahren, und er ist müde, ihr immer
gleiches Schaffen zu beobachten. Deshalb wendet er sich mit Vorliebe den
Sezessionisten zu. Der Laie dagegen hat sich durch spärlichen Ausstellungs¬
besuch mit Mühe ein gewisses Kunstverständnis errungen, er freut sich, wenn
er dieselben Meister und dieselbe Kunstart, die ihm geläufig sind, in jedem
Jahre wiederfindet; das Neue, Ungewohnte der Sezessionisten macht ihn irre,
er fühlt die Schwierigkeit, sich das richtige Verständnis dafür zu erwerben,
er hat nicht die genügende Zeit dazu und geht daher kopfschüttelnd an ihren
Bildern vorüber. Auch der Bilderkäufer stellt sich mehr auf die Seite der
alten Richtung, denn die neue ist unfertig, und er hat keine Lust, eines ihrer
skizzenhaften Werke zu erwerben, das nur eine Stufe auf dem Wege der
Kunst darstellt; er fürchtet, an einem solchen Bilde auf die Dauer nicht die¬
selbe Freude zu haben, wie an einem Werke der reifen Kunst, selbst wenn es
im ganzen niedriger steht.

Aber selbst der, der sich gegen die neue Richtung ablehnend verhält, muß
eingestehen, daß die Glaspalastausstellung durch die Sezession eine empfind-


Greiizbvwi I V 1893 S
Die Münchner Ausstellungen
Nicht gelingts ihr auf die Dauer,
Schröder Unnatur zu fröhnen.

Inzwischen können wir ruhig der Zeit, wahrscheinlich nicht einmal einer
sehr fernen Zeit, die Feststellung des wahren Verhältnisses der Kraftgenialen
von gestern zur bleibenden Dichtung, wie zur ewigen Natur überlassen. Alle
Abschlüsse sind verfrüht und helfen nur die Verwirrung vermehren. Wir haben
es zur Zeit nur mit den einzelnen poetischen Leistungen der Jüngsten zu thun,
und diesen gegenüber wird wohl der biblische Spruch: „An ihren Früchten
sollt ihr sie erkennen!" noch zu Recht bestehen.




Die Münchner Ausstellungen
!N, G. Zimmermann von 2

as Laienpublikum und der Kenner stehen den Ausstellungen sehr
verschieden gegenüber. Der Kenner, der in jedem Jahre die
großen Ausstellungen besucht, verfolgt mit Interesse die Bewegung
der Kunst im allgemeinen; er ist begierig, zu sehen, welche Fort¬
schritte sie seit dem vorigen Jahre gemacht hat. Die Art der
ältern, ständigen Kunst kennt er seit vielen Jahren, und er ist müde, ihr immer
gleiches Schaffen zu beobachten. Deshalb wendet er sich mit Vorliebe den
Sezessionisten zu. Der Laie dagegen hat sich durch spärlichen Ausstellungs¬
besuch mit Mühe ein gewisses Kunstverständnis errungen, er freut sich, wenn
er dieselben Meister und dieselbe Kunstart, die ihm geläufig sind, in jedem
Jahre wiederfindet; das Neue, Ungewohnte der Sezessionisten macht ihn irre,
er fühlt die Schwierigkeit, sich das richtige Verständnis dafür zu erwerben,
er hat nicht die genügende Zeit dazu und geht daher kopfschüttelnd an ihren
Bildern vorüber. Auch der Bilderkäufer stellt sich mehr auf die Seite der
alten Richtung, denn die neue ist unfertig, und er hat keine Lust, eines ihrer
skizzenhaften Werke zu erwerben, das nur eine Stufe auf dem Wege der
Kunst darstellt; er fürchtet, an einem solchen Bilde auf die Dauer nicht die¬
selbe Freude zu haben, wie an einem Werke der reifen Kunst, selbst wenn es
im ganzen niedriger steht.

Aber selbst der, der sich gegen die neue Richtung ablehnend verhält, muß
eingestehen, daß die Glaspalastausstellung durch die Sezession eine empfind-


Greiizbvwi I V 1893 S
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[0041] Die Münchner Ausstellungen Nicht gelingts ihr auf die Dauer, Schröder Unnatur zu fröhnen. Inzwischen können wir ruhig der Zeit, wahrscheinlich nicht einmal einer sehr fernen Zeit, die Feststellung des wahren Verhältnisses der Kraftgenialen von gestern zur bleibenden Dichtung, wie zur ewigen Natur überlassen. Alle Abschlüsse sind verfrüht und helfen nur die Verwirrung vermehren. Wir haben es zur Zeit nur mit den einzelnen poetischen Leistungen der Jüngsten zu thun, und diesen gegenüber wird wohl der biblische Spruch: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!" noch zu Recht bestehen. Die Münchner Ausstellungen !N, G. Zimmermann von 2 as Laienpublikum und der Kenner stehen den Ausstellungen sehr verschieden gegenüber. Der Kenner, der in jedem Jahre die großen Ausstellungen besucht, verfolgt mit Interesse die Bewegung der Kunst im allgemeinen; er ist begierig, zu sehen, welche Fort¬ schritte sie seit dem vorigen Jahre gemacht hat. Die Art der ältern, ständigen Kunst kennt er seit vielen Jahren, und er ist müde, ihr immer gleiches Schaffen zu beobachten. Deshalb wendet er sich mit Vorliebe den Sezessionisten zu. Der Laie dagegen hat sich durch spärlichen Ausstellungs¬ besuch mit Mühe ein gewisses Kunstverständnis errungen, er freut sich, wenn er dieselben Meister und dieselbe Kunstart, die ihm geläufig sind, in jedem Jahre wiederfindet; das Neue, Ungewohnte der Sezessionisten macht ihn irre, er fühlt die Schwierigkeit, sich das richtige Verständnis dafür zu erwerben, er hat nicht die genügende Zeit dazu und geht daher kopfschüttelnd an ihren Bildern vorüber. Auch der Bilderkäufer stellt sich mehr auf die Seite der alten Richtung, denn die neue ist unfertig, und er hat keine Lust, eines ihrer skizzenhaften Werke zu erwerben, das nur eine Stufe auf dem Wege der Kunst darstellt; er fürchtet, an einem solchen Bilde auf die Dauer nicht die¬ selbe Freude zu haben, wie an einem Werke der reifen Kunst, selbst wenn es im ganzen niedriger steht. Aber selbst der, der sich gegen die neue Richtung ablehnend verhält, muß eingestehen, daß die Glaspalastausstellung durch die Sezession eine empfind- Greiizbvwi I V 1893 S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/41>, abgerufen am 22.07.2024.