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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Augenblick mit neidischer Verblüffung begrüßt." Aber es sind doch Naturen
unter unsern Jüngsten, sie haben Augen, zu sehen, und Ohren, zu hören, sie
müssen doch merken, daß ihre Nation und die Welt im allgemeinen von der
gepriesenen Entfesselung tierischer Brutalität kein Heil erwartet. So lange sie
freilich unfähig sind, auch nur den ungeheuern Unterschied, der zwischen ihnen
und dem vergötterten Zola obwaltet, zu messen, so lauge sie nicht erkennen,
daß gerade ihr Pariser Apostel den unverwüstliche" Boden der einfachsten und
ursprünglichsten Menschentugenden: der nüchternen Selbstbeherrschung, der harte"
Arbeitsamkeit, der Sparsamkeit als das "Neuland" und "Freiland" gegen die
Invasion entarteten Blutes verteidigt, so lange ist die Aussicht gering, daß
ma" sich über den öden Kreis von Problemen erhebt, die für Millionen von
Menschen gar keine Probleme sind.

Bücher wie das Kirchnersche werden natürlich die Moderne" zu gleicher
Zeit entrüsten und in ihrem Selbstgefühl bestärken. Uns scheint es an der
Zeit, die allgemeinen Auseinandersetzungen mit dein, was Naturalismus, mo¬
derne oder jüngste Schule genannt wird, beiseite zu lassen. Das Verhältnis
ihrer Kritik zu unsrer vergangnen Litteratur verdient keine Erörterung und
Widerlegung. Wem in der That Schiller "nur ein Pfuscher" ist, der "nicht
eine Eigenschaft idealer Menschlichkeit besaß," wer durch Goethe "den Sinn
für das Große vergiftet" sieht, wer Grabbe über Hebbel und Otto Ludwig setzt,
dem ist nicht zu helfen, und dessen "Selbständigkeit" wird über ein wutgeiferm
des Umsichschlagen nicht weit hinauskommen. Aber uns dünkt, daß es sich auch
bei dieser Art von Kritik und Ästhetik meist nur um Kraftphrasen handelt, die
einer dem ander" "achredet: Schwan kleb n"! Wen" die Herren wüßten,
wie getre" sie de" tapfern Kapitäne" Do" Dnradiridawmdaridas und Don
Horribilieribrifax gleichen, sie würden selbst lachen. "Der große Chans Sesi
von Persie" erzittert, wenn ich auff die Erde" trete. Der Türckische Kaiser hat
nur etlich mahl durch Gesandten eine Offerte von seiner Kron gethan. Der
weitberühmte Nvgul schätzt seine rötrönellöiruznw nicht sicher für mir. Afrika
hab ich vorlängst meinen Cameraden zur Beute gegeben. Die Printzen in Europa,
die etwas mehr vein'wM, halten Freundschafft mit mir, mehr ans Furcht,
als wahrer ÄUootion! Und der kleine verleckerte Bernhäuter, der Rappschuabel,
<^'o bon^r", (?v liU'w", (Zv mcuitvur, <no Lif as l^et^us, Lo triristrs, L!<z taciviu,
<^ö brutal, (!s bourrög,", Ouxiclo darff sich uuterstehe" seine Schund um meine"
Lorberkräntzen abzuwischen!" Wir fürchten sehr, daß der liebenswürdige Herr
Kirchner, der nur gerecht sein will, den Herren für diesen Cupido und Henker
zugleich gelten wird. Hat er doch als Motto eine Strophe von Geibel gewühlt,
demselbe" Dichter, dessen Poesie die Modernen als "ein tvvhlsch"lenke"des Rrech-
pnlvcr für Backfische" bezeichnen:

Mag die Welt von Einfach-Schönen
Sich für kurze Zeit entwöhnen,

Gründenlschland

Augenblick mit neidischer Verblüffung begrüßt." Aber es sind doch Naturen
unter unsern Jüngsten, sie haben Augen, zu sehen, und Ohren, zu hören, sie
müssen doch merken, daß ihre Nation und die Welt im allgemeinen von der
gepriesenen Entfesselung tierischer Brutalität kein Heil erwartet. So lange sie
freilich unfähig sind, auch nur den ungeheuern Unterschied, der zwischen ihnen
und dem vergötterten Zola obwaltet, zu messen, so lauge sie nicht erkennen,
daß gerade ihr Pariser Apostel den unverwüstliche» Boden der einfachsten und
ursprünglichsten Menschentugenden: der nüchternen Selbstbeherrschung, der harte»
Arbeitsamkeit, der Sparsamkeit als das „Neuland" und „Freiland" gegen die
Invasion entarteten Blutes verteidigt, so lange ist die Aussicht gering, daß
ma» sich über den öden Kreis von Problemen erhebt, die für Millionen von
Menschen gar keine Probleme sind.

Bücher wie das Kirchnersche werden natürlich die Moderne» zu gleicher
Zeit entrüsten und in ihrem Selbstgefühl bestärken. Uns scheint es an der
Zeit, die allgemeinen Auseinandersetzungen mit dein, was Naturalismus, mo¬
derne oder jüngste Schule genannt wird, beiseite zu lassen. Das Verhältnis
ihrer Kritik zu unsrer vergangnen Litteratur verdient keine Erörterung und
Widerlegung. Wem in der That Schiller „nur ein Pfuscher" ist, der „nicht
eine Eigenschaft idealer Menschlichkeit besaß," wer durch Goethe „den Sinn
für das Große vergiftet" sieht, wer Grabbe über Hebbel und Otto Ludwig setzt,
dem ist nicht zu helfen, und dessen „Selbständigkeit" wird über ein wutgeiferm
des Umsichschlagen nicht weit hinauskommen. Aber uns dünkt, daß es sich auch
bei dieser Art von Kritik und Ästhetik meist nur um Kraftphrasen handelt, die
einer dem ander» »achredet: Schwan kleb n»! Wen» die Herren wüßten,
wie getre» sie de» tapfern Kapitäne» Do» Dnradiridawmdaridas und Don
Horribilieribrifax gleichen, sie würden selbst lachen. „Der große Chans Sesi
von Persie» erzittert, wenn ich auff die Erde» trete. Der Türckische Kaiser hat
nur etlich mahl durch Gesandten eine Offerte von seiner Kron gethan. Der
weitberühmte Nvgul schätzt seine rötrönellöiruznw nicht sicher für mir. Afrika
hab ich vorlängst meinen Cameraden zur Beute gegeben. Die Printzen in Europa,
die etwas mehr vein'wM, halten Freundschafft mit mir, mehr ans Furcht,
als wahrer ÄUootion! Und der kleine verleckerte Bernhäuter, der Rappschuabel,
<^'o bon^r«, (?v liU'w», (Zv mcuitvur, <no Lif as l^et^us, Lo triristrs, L!<z taciviu,
<^ö brutal, (!s bourrög,», Ouxiclo darff sich uuterstehe» seine Schund um meine»
Lorberkräntzen abzuwischen!" Wir fürchten sehr, daß der liebenswürdige Herr
Kirchner, der nur gerecht sein will, den Herren für diesen Cupido und Henker
zugleich gelten wird. Hat er doch als Motto eine Strophe von Geibel gewühlt,
demselbe» Dichter, dessen Poesie die Modernen als „ein tvvhlsch»lenke»des Rrech-
pnlvcr für Backfische" bezeichnen:

Mag die Welt von Einfach-Schönen
Sich für kurze Zeit entwöhnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/40>, abgerufen am 24.07.2024.