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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Ldmund Dorer

Teil seines Vermögens verlor und auf ein spärliches Einkommen angewiesen
war, gelang es ihm nicht, sich zu größern litterarischen Arbeiten zu sammeln;
er behielt, bei guter wissenschaftlicher Grundlage und einem wirklich künst¬
lerischen Zuge zur formellen Vollendung seiner kleinen Dichtungen, darin immer
etwas von dem Wesen eines Dilettanten, daß er Liebhabereien nachging, von allerlei
äußern Anstößer bestimmt wurde und sich (z. V. in den Fastnachtsspielen) gern an
Vorbilder und Muster anlehnte, die er sich allerdings mit feiner An- und Nach-
empfindung zu eigen machte. Er hätte in den Kreis gebildeter junger Männer
gehört, den Ludwig Tieck in seinen Dresdner Jahren um sich sammelte, lauter
Leute von Geschmack und mannigfachen litterarischen Interessen, im Besitz nicht all¬
täglicher Sprach- und Litteraturkenntnisse, alle hoch über der Plattheit der All¬
tagsreimerei und des stümpernden Biedermeiertums stehend, und alle doch ohne
stärkere Phantasie und Gestaltungskraft, ohne tiefern Zusammenhang mit Welt
und Leben. Die Zeit, wo diese Gruppe für die Entwicklung unsrer Litteratur
etwas bedeutete, war schon vorüber, als Dorer begann, und die poetischen
Übertragungen aus dem Lateinischen und Spanischen, mit denen er in die
Öffentlichkeit trat, fielen nicht mehr schwer ins Gewicht. Was er in der mit
seinem Vater gemeinsam gearbeiteten Verdeutschung des niederländischen Neu¬
lateiners Johannes Secundus (des "großen, heiligen Küssers," wie ihn Goethe
nennt), der im "Caucivnero" und den "Granatblüten" gesammelten spanischen
Gedichte und Volkslieder, eines Schauspiels von Breton de los Herreros u. a.
gab, konnte nicht die Bedeutung von Graf Baudissins Übersetzungen Ben
Jvnsons und Molivres, von Eduard von Bülows "Novellenbuch" erlangen,
obwohl es natürlich einzelnen Freunden spanischer Litteratur willkommen war.
Der Kreis derer, die an der romanischen Romantik Anteil nahmen, verengerte
sich ohnehin von Tag zu Tag, und nur eine so beharrliche und umfassende
Thätigkeit wie die des Grafen Schack vermochte ihn im besondern Falle wieder
zu erweitern. Da nun Dorer seine Vorliebe sür die spanische Litteratur bei¬
behielt, unter anderen bibliographische Übersichten der Litteratur über Cervantes,
Lope de Vega und Calderon in Deutschland herstellte, ein Schriftchen über
"Cervantes und seine Werke nach deutschen Urteilen" veröffentlichte, so spielt
die spanische Poesie auch in dem poetischen Teile wie in den vermischten Auf¬
sätzen der Nachlaßschrifteu eine große Rolle. Zu Übersetzungen lyrischer Ge¬
dichte, die von Hurtado de Mendoza und Cervantes bis zu Antonio de Trueba
reichen, geistlicher Lieder und dreier Zwischenspiele des Cervantes, gesellen sich
kleine Abhandlungen und Aufsätze über "Heinrich von Villena," "Cristoval
de Virues und der Zug spanischer Truppen durch die Schweiz 1604," "Lud¬
wig Holberg und das spanische Theater," "Zur Geschichte der drei Plutos,"
"Die Burg des Glückes," "Die Emanzipation der Frauen und der Dichter
Calderon," denen sich dann im dritten Bande noch die Studien über "Spa¬
nische Tierfreunde" und "Berganzas Lehr- und Wanderjahre" anschließen.


Ldmund Dorer

Teil seines Vermögens verlor und auf ein spärliches Einkommen angewiesen
war, gelang es ihm nicht, sich zu größern litterarischen Arbeiten zu sammeln;
er behielt, bei guter wissenschaftlicher Grundlage und einem wirklich künst¬
lerischen Zuge zur formellen Vollendung seiner kleinen Dichtungen, darin immer
etwas von dem Wesen eines Dilettanten, daß er Liebhabereien nachging, von allerlei
äußern Anstößer bestimmt wurde und sich (z. V. in den Fastnachtsspielen) gern an
Vorbilder und Muster anlehnte, die er sich allerdings mit feiner An- und Nach-
empfindung zu eigen machte. Er hätte in den Kreis gebildeter junger Männer
gehört, den Ludwig Tieck in seinen Dresdner Jahren um sich sammelte, lauter
Leute von Geschmack und mannigfachen litterarischen Interessen, im Besitz nicht all¬
täglicher Sprach- und Litteraturkenntnisse, alle hoch über der Plattheit der All¬
tagsreimerei und des stümpernden Biedermeiertums stehend, und alle doch ohne
stärkere Phantasie und Gestaltungskraft, ohne tiefern Zusammenhang mit Welt
und Leben. Die Zeit, wo diese Gruppe für die Entwicklung unsrer Litteratur
etwas bedeutete, war schon vorüber, als Dorer begann, und die poetischen
Übertragungen aus dem Lateinischen und Spanischen, mit denen er in die
Öffentlichkeit trat, fielen nicht mehr schwer ins Gewicht. Was er in der mit
seinem Vater gemeinsam gearbeiteten Verdeutschung des niederländischen Neu¬
lateiners Johannes Secundus (des „großen, heiligen Küssers," wie ihn Goethe
nennt), der im „Caucivnero" und den „Granatblüten" gesammelten spanischen
Gedichte und Volkslieder, eines Schauspiels von Breton de los Herreros u. a.
gab, konnte nicht die Bedeutung von Graf Baudissins Übersetzungen Ben
Jvnsons und Molivres, von Eduard von Bülows „Novellenbuch" erlangen,
obwohl es natürlich einzelnen Freunden spanischer Litteratur willkommen war.
Der Kreis derer, die an der romanischen Romantik Anteil nahmen, verengerte
sich ohnehin von Tag zu Tag, und nur eine so beharrliche und umfassende
Thätigkeit wie die des Grafen Schack vermochte ihn im besondern Falle wieder
zu erweitern. Da nun Dorer seine Vorliebe sür die spanische Litteratur bei¬
behielt, unter anderen bibliographische Übersichten der Litteratur über Cervantes,
Lope de Vega und Calderon in Deutschland herstellte, ein Schriftchen über
„Cervantes und seine Werke nach deutschen Urteilen" veröffentlichte, so spielt
die spanische Poesie auch in dem poetischen Teile wie in den vermischten Auf¬
sätzen der Nachlaßschrifteu eine große Rolle. Zu Übersetzungen lyrischer Ge¬
dichte, die von Hurtado de Mendoza und Cervantes bis zu Antonio de Trueba
reichen, geistlicher Lieder und dreier Zwischenspiele des Cervantes, gesellen sich
kleine Abhandlungen und Aufsätze über „Heinrich von Villena," „Cristoval
de Virues und der Zug spanischer Truppen durch die Schweiz 1604," „Lud¬
wig Holberg und das spanische Theater," „Zur Geschichte der drei Plutos,"
„Die Burg des Glückes," „Die Emanzipation der Frauen und der Dichter
Calderon," denen sich dann im dritten Bande noch die Studien über „Spa¬
nische Tierfreunde" und „Berganzas Lehr- und Wanderjahre" anschließen.


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[0378] Ldmund Dorer Teil seines Vermögens verlor und auf ein spärliches Einkommen angewiesen war, gelang es ihm nicht, sich zu größern litterarischen Arbeiten zu sammeln; er behielt, bei guter wissenschaftlicher Grundlage und einem wirklich künst¬ lerischen Zuge zur formellen Vollendung seiner kleinen Dichtungen, darin immer etwas von dem Wesen eines Dilettanten, daß er Liebhabereien nachging, von allerlei äußern Anstößer bestimmt wurde und sich (z. V. in den Fastnachtsspielen) gern an Vorbilder und Muster anlehnte, die er sich allerdings mit feiner An- und Nach- empfindung zu eigen machte. Er hätte in den Kreis gebildeter junger Männer gehört, den Ludwig Tieck in seinen Dresdner Jahren um sich sammelte, lauter Leute von Geschmack und mannigfachen litterarischen Interessen, im Besitz nicht all¬ täglicher Sprach- und Litteraturkenntnisse, alle hoch über der Plattheit der All¬ tagsreimerei und des stümpernden Biedermeiertums stehend, und alle doch ohne stärkere Phantasie und Gestaltungskraft, ohne tiefern Zusammenhang mit Welt und Leben. Die Zeit, wo diese Gruppe für die Entwicklung unsrer Litteratur etwas bedeutete, war schon vorüber, als Dorer begann, und die poetischen Übertragungen aus dem Lateinischen und Spanischen, mit denen er in die Öffentlichkeit trat, fielen nicht mehr schwer ins Gewicht. Was er in der mit seinem Vater gemeinsam gearbeiteten Verdeutschung des niederländischen Neu¬ lateiners Johannes Secundus (des „großen, heiligen Küssers," wie ihn Goethe nennt), der im „Caucivnero" und den „Granatblüten" gesammelten spanischen Gedichte und Volkslieder, eines Schauspiels von Breton de los Herreros u. a. gab, konnte nicht die Bedeutung von Graf Baudissins Übersetzungen Ben Jvnsons und Molivres, von Eduard von Bülows „Novellenbuch" erlangen, obwohl es natürlich einzelnen Freunden spanischer Litteratur willkommen war. Der Kreis derer, die an der romanischen Romantik Anteil nahmen, verengerte sich ohnehin von Tag zu Tag, und nur eine so beharrliche und umfassende Thätigkeit wie die des Grafen Schack vermochte ihn im besondern Falle wieder zu erweitern. Da nun Dorer seine Vorliebe sür die spanische Litteratur bei¬ behielt, unter anderen bibliographische Übersichten der Litteratur über Cervantes, Lope de Vega und Calderon in Deutschland herstellte, ein Schriftchen über „Cervantes und seine Werke nach deutschen Urteilen" veröffentlichte, so spielt die spanische Poesie auch in dem poetischen Teile wie in den vermischten Auf¬ sätzen der Nachlaßschrifteu eine große Rolle. Zu Übersetzungen lyrischer Ge¬ dichte, die von Hurtado de Mendoza und Cervantes bis zu Antonio de Trueba reichen, geistlicher Lieder und dreier Zwischenspiele des Cervantes, gesellen sich kleine Abhandlungen und Aufsätze über „Heinrich von Villena," „Cristoval de Virues und der Zug spanischer Truppen durch die Schweiz 1604," „Lud¬ wig Holberg und das spanische Theater," „Zur Geschichte der drei Plutos," „Die Burg des Glückes," „Die Emanzipation der Frauen und der Dichter Calderon," denen sich dann im dritten Bande noch die Studien über „Spa¬ nische Tierfreunde" und „Berganzas Lehr- und Wanderjahre" anschließen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/378>, abgerufen am 02.07.2024.