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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Reform des Militärstrnfprozesses

kleiden, v. Marck schlägt deshalb vor, den Offizieren die Anwesenheit in
der Hauptverhandlung unbeschränkt zu gestatten, von den Mannschaften eine
bestimmte Anzahl von Kameraden des Angeklagten zu kommandiren, darüber
hinaus aber im allgemeinen nnr Personen zuzulassen, die ein allgemeines be¬
rechtigtes Interesse an der Militärstrafrechtspflege haben. Zu diese" zählt er
die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften, akademische Rechtslehrer, in
Stantsämtern befindliche höhere Justizbeamte, nach Ermessen des Vorsitzenden
auch Studenten, Referendare und selbst Körperschaften. Es könne z. R. i" einer
Garnisonstadt, wo Militär und Zivil auf gespanntem Fuße stehen, nur zur
Verbesserung des Verhältnisses beitragen, wenn der Stadtvertretung die Mög¬
lichkeit geboten werde, sich zu überzeugen, wie in einer gewissen Strafsache die
Sache liege, und wie die Gerechtigkeit geübt werde. Für die Prozesse wegen
Svldateumißhaudlungen sei ferner zu erwägen, ob uicht unter allen Umständen
der Verletzte, seine nächsten Angehörigen, anch die Militärpersonen, vor denen
die Mißhandlung geschehen sei, und endlich sogar Zivilpersonen, die der That
beigewohnt habe", zur Verhandlung zuzulassen seien. Der von der Öffentlich¬
keit der Verhandlung zu befürchtende Schaden für die Disziplin sei in der¬
artigen Fällen schon dnrch die Öffentlichkeit der That aufgehoben. Ja eine
solche Öffentlichkeit könne in den Nahmen der Strafschärfungsmittel fallen: bei
Mißhandlungen aus Übereilungen wachse damit die Scham, bei Mißhandlungen
aus Bosheit die ohnmächtige Wut des Thäters, v. Marck warnt mit Recht
davor, von der Öffentlichkeit des Verfahrens an sich schon einen Schutz gegen
die beklagenswerten, auch von ihm ans das härteste verurteilten Soldatenmi߬
handlungen zu erwarten. Entweder würden sie in der Leidenschaft begangen,
also in einem Zustande, wo der Thäter überhaupt nicht an die möglichen
Folgen seiner Handlungsweise, ganz gewiß aber nicht an die Öffentlichkeit einer
ihm künftig etwa drohenden Gerichtsverhandlung zu denken pflege. Oder es
seien Roheiten, die der Vorgesetzte ohnedies nur im Vertrauen darauf wage,
daß sie von den eingeschüchterten Untergebnen nicht ans Licht gezogen werden.

Unglücklicherweise droht der Streit über die großen Grundsätze des künf¬
tigen Militärstrafprozesses sich auch mit dem landsmannschaftlichen Gegensatz
zu verquicken. Baiern will uicht vou der Öffentlichkeit des Verfahrens, Preußen
nicht von der Gerichtshcrrlichkeit, namentlich nicht von dem Bestätigungsrecht
der Urteile lassen. Unser Verfasser, dem die bairische Strafprozeßordnung allzu
bürgerlich, die preußische allzu militärisch erscheint, ist nach Kräften bemüht,
diese Gegensätze auszugleichen. Wenn es sich als unmöglich erweisen sollte,
so rät er zu dem Ausweg, dem Entwurf zu Gunsten der Gerichtsherrlichkeit eine
ol-msulÄ LoruWivk und zu Gunsten der Öffentlichkeit eine olmrsulg, Liiv-U'ieÄ
beizufügen. Die Sache hat bekanntlich für Baiern und Württemberg bereits
einen Vorgang in den großen Reichsjustizgesetzen. Baiern hat sich die Zu¬
ständigkeit der Schwurgerichte für Preßvergehen, Württemberg hat sich seine


Die Reform des Militärstrnfprozesses

kleiden, v. Marck schlägt deshalb vor, den Offizieren die Anwesenheit in
der Hauptverhandlung unbeschränkt zu gestatten, von den Mannschaften eine
bestimmte Anzahl von Kameraden des Angeklagten zu kommandiren, darüber
hinaus aber im allgemeinen nnr Personen zuzulassen, die ein allgemeines be¬
rechtigtes Interesse an der Militärstrafrechtspflege haben. Zu diese» zählt er
die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften, akademische Rechtslehrer, in
Stantsämtern befindliche höhere Justizbeamte, nach Ermessen des Vorsitzenden
auch Studenten, Referendare und selbst Körperschaften. Es könne z. R. i» einer
Garnisonstadt, wo Militär und Zivil auf gespanntem Fuße stehen, nur zur
Verbesserung des Verhältnisses beitragen, wenn der Stadtvertretung die Mög¬
lichkeit geboten werde, sich zu überzeugen, wie in einer gewissen Strafsache die
Sache liege, und wie die Gerechtigkeit geübt werde. Für die Prozesse wegen
Svldateumißhaudlungen sei ferner zu erwägen, ob uicht unter allen Umständen
der Verletzte, seine nächsten Angehörigen, anch die Militärpersonen, vor denen
die Mißhandlung geschehen sei, und endlich sogar Zivilpersonen, die der That
beigewohnt habe», zur Verhandlung zuzulassen seien. Der von der Öffentlich¬
keit der Verhandlung zu befürchtende Schaden für die Disziplin sei in der¬
artigen Fällen schon dnrch die Öffentlichkeit der That aufgehoben. Ja eine
solche Öffentlichkeit könne in den Nahmen der Strafschärfungsmittel fallen: bei
Mißhandlungen aus Übereilungen wachse damit die Scham, bei Mißhandlungen
aus Bosheit die ohnmächtige Wut des Thäters, v. Marck warnt mit Recht
davor, von der Öffentlichkeit des Verfahrens an sich schon einen Schutz gegen
die beklagenswerten, auch von ihm ans das härteste verurteilten Soldatenmi߬
handlungen zu erwarten. Entweder würden sie in der Leidenschaft begangen,
also in einem Zustande, wo der Thäter überhaupt nicht an die möglichen
Folgen seiner Handlungsweise, ganz gewiß aber nicht an die Öffentlichkeit einer
ihm künftig etwa drohenden Gerichtsverhandlung zu denken pflege. Oder es
seien Roheiten, die der Vorgesetzte ohnedies nur im Vertrauen darauf wage,
daß sie von den eingeschüchterten Untergebnen nicht ans Licht gezogen werden.

Unglücklicherweise droht der Streit über die großen Grundsätze des künf¬
tigen Militärstrafprozesses sich auch mit dem landsmannschaftlichen Gegensatz
zu verquicken. Baiern will uicht vou der Öffentlichkeit des Verfahrens, Preußen
nicht von der Gerichtshcrrlichkeit, namentlich nicht von dem Bestätigungsrecht
der Urteile lassen. Unser Verfasser, dem die bairische Strafprozeßordnung allzu
bürgerlich, die preußische allzu militärisch erscheint, ist nach Kräften bemüht,
diese Gegensätze auszugleichen. Wenn es sich als unmöglich erweisen sollte,
so rät er zu dem Ausweg, dem Entwurf zu Gunsten der Gerichtsherrlichkeit eine
ol-msulÄ LoruWivk und zu Gunsten der Öffentlichkeit eine olmrsulg, Liiv-U'ieÄ
beizufügen. Die Sache hat bekanntlich für Baiern und Württemberg bereits
einen Vorgang in den großen Reichsjustizgesetzen. Baiern hat sich die Zu¬
ständigkeit der Schwurgerichte für Preßvergehen, Württemberg hat sich seine


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[0375] Die Reform des Militärstrnfprozesses kleiden, v. Marck schlägt deshalb vor, den Offizieren die Anwesenheit in der Hauptverhandlung unbeschränkt zu gestatten, von den Mannschaften eine bestimmte Anzahl von Kameraden des Angeklagten zu kommandiren, darüber hinaus aber im allgemeinen nnr Personen zuzulassen, die ein allgemeines be¬ rechtigtes Interesse an der Militärstrafrechtspflege haben. Zu diese» zählt er die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften, akademische Rechtslehrer, in Stantsämtern befindliche höhere Justizbeamte, nach Ermessen des Vorsitzenden auch Studenten, Referendare und selbst Körperschaften. Es könne z. R. i» einer Garnisonstadt, wo Militär und Zivil auf gespanntem Fuße stehen, nur zur Verbesserung des Verhältnisses beitragen, wenn der Stadtvertretung die Mög¬ lichkeit geboten werde, sich zu überzeugen, wie in einer gewissen Strafsache die Sache liege, und wie die Gerechtigkeit geübt werde. Für die Prozesse wegen Svldateumißhaudlungen sei ferner zu erwägen, ob uicht unter allen Umständen der Verletzte, seine nächsten Angehörigen, anch die Militärpersonen, vor denen die Mißhandlung geschehen sei, und endlich sogar Zivilpersonen, die der That beigewohnt habe», zur Verhandlung zuzulassen seien. Der von der Öffentlich¬ keit der Verhandlung zu befürchtende Schaden für die Disziplin sei in der¬ artigen Fällen schon dnrch die Öffentlichkeit der That aufgehoben. Ja eine solche Öffentlichkeit könne in den Nahmen der Strafschärfungsmittel fallen: bei Mißhandlungen aus Übereilungen wachse damit die Scham, bei Mißhandlungen aus Bosheit die ohnmächtige Wut des Thäters, v. Marck warnt mit Recht davor, von der Öffentlichkeit des Verfahrens an sich schon einen Schutz gegen die beklagenswerten, auch von ihm ans das härteste verurteilten Soldatenmi߬ handlungen zu erwarten. Entweder würden sie in der Leidenschaft begangen, also in einem Zustande, wo der Thäter überhaupt nicht an die möglichen Folgen seiner Handlungsweise, ganz gewiß aber nicht an die Öffentlichkeit einer ihm künftig etwa drohenden Gerichtsverhandlung zu denken pflege. Oder es seien Roheiten, die der Vorgesetzte ohnedies nur im Vertrauen darauf wage, daß sie von den eingeschüchterten Untergebnen nicht ans Licht gezogen werden. Unglücklicherweise droht der Streit über die großen Grundsätze des künf¬ tigen Militärstrafprozesses sich auch mit dem landsmannschaftlichen Gegensatz zu verquicken. Baiern will uicht vou der Öffentlichkeit des Verfahrens, Preußen nicht von der Gerichtshcrrlichkeit, namentlich nicht von dem Bestätigungsrecht der Urteile lassen. Unser Verfasser, dem die bairische Strafprozeßordnung allzu bürgerlich, die preußische allzu militärisch erscheint, ist nach Kräften bemüht, diese Gegensätze auszugleichen. Wenn es sich als unmöglich erweisen sollte, so rät er zu dem Ausweg, dem Entwurf zu Gunsten der Gerichtsherrlichkeit eine ol-msulÄ LoruWivk und zu Gunsten der Öffentlichkeit eine olmrsulg, Liiv-U'ieÄ beizufügen. Die Sache hat bekanntlich für Baiern und Württemberg bereits einen Vorgang in den großen Reichsjustizgesetzen. Baiern hat sich die Zu¬ ständigkeit der Schwurgerichte für Preßvergehen, Württemberg hat sich seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/375>, abgerufen am 30.06.2024.