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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Reform des Militärstrafprozesses

Militärgeschwornen des bairischen Rechts sind, abgesehen davon, daß den letztern
die Mitwirkung bei der Bestimmung des Strafmaßes entzogen ist, weniger dem
Wesen als der Form nach von einander verschieden, v. Marck tritt mit Wärme
für das militärische Schöffengericht, d. h. für das Zusammenwirken rechts¬
gelehrter und militärischer Laienrichter, hier die Standesgenossen des Ange¬
klagten, mit gleichen Rechten und Pflichten ein. Büreankratische Engherzigkeit
nud radikale Anglomanie im Bunde haben dem deutschen Volke bisher immer
noch eine wahrhaft deutsche und volkstümliche Gerichtsverfassung vorenthalten.
Es wäre fast beschämend, wenn die Militärverwaltung ans ihrem Gebiete
damit Bahn bräche, v. Marck zeigt, wie einfach sie dabei zugleich dem Grund¬
satz von der Ständigkeit des Gerichts gerecht werde" kann: die Kommaudir-
rolle genügt.

Mündlichkeit des Verfahrens nud Anklagefvrm sind heute so selbstver¬
ständliche Erfordernisse jeder geordneten Strafrechtspflege, daß ihre Notwendig¬
keit für den Militärstrnfprvzeß nicht besonders nachgewiesen zu werden braucht.
Nach dem wenigen, was über die bisher ausgearbeiteten Entwürfe bekannt
geworden ist, scheint auch das mündliche Verfahren für die Hauptverhandlung
und die Errichtung militärischer Staatsanwaltschaften in sicherer Aussicht zu
stehen. Daß die erkennenden Militärgerichte des preußischen Rechts die
Zeugen niemals von Angesicht zu Angesicht zu sehen, daß sie ihre Aussagen,
auf die sie das Urteil gründen solle", nicht von ihren Lippen und in ihrer
Sprache zu hören bekommen haben, daß jede kvntrollirende Mitwirkung des
Angeklagten bei der Beweisaufnahme ausgeschloffe" ist, hat vielleicht mehr als
irgend etwas das Vertrauen in ihre Rechtsprechung geschwächt. Hier darf die
Reform in der That keine Stunde länger zögern. Der Ruf nach unbeschränkter
Öffentlichkeit des militärischen Strafverfahrens würde nicht so laut ertönen,
wenn wenigstens die Parteiöffentlichkeit bestünde.

Die Frage der Öffentlichkeit ist heilte leider in einem Maße Schlagwort
lind politischer Glaubenssatz geworden, daß die Aussichten, sich hierüber zu
verständigen, schwer getrübt sind. Nun kaun man aber für den bürgerlichen
Prozeß ein geschworner Anhänger der weitesten Öffentlichkeit des Verfahrens
sein -- wir rechnen uns dazu, widersetzen uns energisch jedem Versuch weiterer
Einschrnnknng. wie er z. B. mit der famosen l"zx Heinze geplant wurde, ja
wir reden sogar einer Öffentlichkeit der Voruntersuchung das Wort--, und
man kann dennoch zugeben, daß der militärische Strafprozeß eine unbedingte
Öffentlichkeit weder fordert noch erträgt. Wenn Strafprozeßgrundsätze und
Disziplin mit einander in Streit zu geraten drohen, so muß im Heere not
wendig die Disziplin die Oberhand behalten. "Eine Armee ohne Disziplin
ist auf alle Fülle eine kostspielige, für den Krieg eine nicht ausreichende und
im Frieden eine gefahrvolle Institution" (Moltke). v. Marck macht mit Recht
darauf aufmerksam, daß die moderne Fechtweise und die Abkürzung der Dienst-


Die Reform des Militärstrafprozesses

Militärgeschwornen des bairischen Rechts sind, abgesehen davon, daß den letztern
die Mitwirkung bei der Bestimmung des Strafmaßes entzogen ist, weniger dem
Wesen als der Form nach von einander verschieden, v. Marck tritt mit Wärme
für das militärische Schöffengericht, d. h. für das Zusammenwirken rechts¬
gelehrter und militärischer Laienrichter, hier die Standesgenossen des Ange¬
klagten, mit gleichen Rechten und Pflichten ein. Büreankratische Engherzigkeit
nud radikale Anglomanie im Bunde haben dem deutschen Volke bisher immer
noch eine wahrhaft deutsche und volkstümliche Gerichtsverfassung vorenthalten.
Es wäre fast beschämend, wenn die Militärverwaltung ans ihrem Gebiete
damit Bahn bräche, v. Marck zeigt, wie einfach sie dabei zugleich dem Grund¬
satz von der Ständigkeit des Gerichts gerecht werde» kann: die Kommaudir-
rolle genügt.

Mündlichkeit des Verfahrens nud Anklagefvrm sind heute so selbstver¬
ständliche Erfordernisse jeder geordneten Strafrechtspflege, daß ihre Notwendig¬
keit für den Militärstrnfprvzeß nicht besonders nachgewiesen zu werden braucht.
Nach dem wenigen, was über die bisher ausgearbeiteten Entwürfe bekannt
geworden ist, scheint auch das mündliche Verfahren für die Hauptverhandlung
und die Errichtung militärischer Staatsanwaltschaften in sicherer Aussicht zu
stehen. Daß die erkennenden Militärgerichte des preußischen Rechts die
Zeugen niemals von Angesicht zu Angesicht zu sehen, daß sie ihre Aussagen,
auf die sie das Urteil gründen solle», nicht von ihren Lippen und in ihrer
Sprache zu hören bekommen haben, daß jede kvntrollirende Mitwirkung des
Angeklagten bei der Beweisaufnahme ausgeschloffe» ist, hat vielleicht mehr als
irgend etwas das Vertrauen in ihre Rechtsprechung geschwächt. Hier darf die
Reform in der That keine Stunde länger zögern. Der Ruf nach unbeschränkter
Öffentlichkeit des militärischen Strafverfahrens würde nicht so laut ertönen,
wenn wenigstens die Parteiöffentlichkeit bestünde.

Die Frage der Öffentlichkeit ist heilte leider in einem Maße Schlagwort
lind politischer Glaubenssatz geworden, daß die Aussichten, sich hierüber zu
verständigen, schwer getrübt sind. Nun kaun man aber für den bürgerlichen
Prozeß ein geschworner Anhänger der weitesten Öffentlichkeit des Verfahrens
sein — wir rechnen uns dazu, widersetzen uns energisch jedem Versuch weiterer
Einschrnnknng. wie er z. B. mit der famosen l«zx Heinze geplant wurde, ja
wir reden sogar einer Öffentlichkeit der Voruntersuchung das Wort—, und
man kann dennoch zugeben, daß der militärische Strafprozeß eine unbedingte
Öffentlichkeit weder fordert noch erträgt. Wenn Strafprozeßgrundsätze und
Disziplin mit einander in Streit zu geraten drohen, so muß im Heere not
wendig die Disziplin die Oberhand behalten. „Eine Armee ohne Disziplin
ist auf alle Fülle eine kostspielige, für den Krieg eine nicht ausreichende und
im Frieden eine gefahrvolle Institution" (Moltke). v. Marck macht mit Recht
darauf aufmerksam, daß die moderne Fechtweise und die Abkürzung der Dienst-


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[0373] Die Reform des Militärstrafprozesses Militärgeschwornen des bairischen Rechts sind, abgesehen davon, daß den letztern die Mitwirkung bei der Bestimmung des Strafmaßes entzogen ist, weniger dem Wesen als der Form nach von einander verschieden, v. Marck tritt mit Wärme für das militärische Schöffengericht, d. h. für das Zusammenwirken rechts¬ gelehrter und militärischer Laienrichter, hier die Standesgenossen des Ange¬ klagten, mit gleichen Rechten und Pflichten ein. Büreankratische Engherzigkeit nud radikale Anglomanie im Bunde haben dem deutschen Volke bisher immer noch eine wahrhaft deutsche und volkstümliche Gerichtsverfassung vorenthalten. Es wäre fast beschämend, wenn die Militärverwaltung ans ihrem Gebiete damit Bahn bräche, v. Marck zeigt, wie einfach sie dabei zugleich dem Grund¬ satz von der Ständigkeit des Gerichts gerecht werde» kann: die Kommaudir- rolle genügt. Mündlichkeit des Verfahrens nud Anklagefvrm sind heute so selbstver¬ ständliche Erfordernisse jeder geordneten Strafrechtspflege, daß ihre Notwendig¬ keit für den Militärstrnfprvzeß nicht besonders nachgewiesen zu werden braucht. Nach dem wenigen, was über die bisher ausgearbeiteten Entwürfe bekannt geworden ist, scheint auch das mündliche Verfahren für die Hauptverhandlung und die Errichtung militärischer Staatsanwaltschaften in sicherer Aussicht zu stehen. Daß die erkennenden Militärgerichte des preußischen Rechts die Zeugen niemals von Angesicht zu Angesicht zu sehen, daß sie ihre Aussagen, auf die sie das Urteil gründen solle», nicht von ihren Lippen und in ihrer Sprache zu hören bekommen haben, daß jede kvntrollirende Mitwirkung des Angeklagten bei der Beweisaufnahme ausgeschloffe» ist, hat vielleicht mehr als irgend etwas das Vertrauen in ihre Rechtsprechung geschwächt. Hier darf die Reform in der That keine Stunde länger zögern. Der Ruf nach unbeschränkter Öffentlichkeit des militärischen Strafverfahrens würde nicht so laut ertönen, wenn wenigstens die Parteiöffentlichkeit bestünde. Die Frage der Öffentlichkeit ist heilte leider in einem Maße Schlagwort lind politischer Glaubenssatz geworden, daß die Aussichten, sich hierüber zu verständigen, schwer getrübt sind. Nun kaun man aber für den bürgerlichen Prozeß ein geschworner Anhänger der weitesten Öffentlichkeit des Verfahrens sein — wir rechnen uns dazu, widersetzen uns energisch jedem Versuch weiterer Einschrnnknng. wie er z. B. mit der famosen l«zx Heinze geplant wurde, ja wir reden sogar einer Öffentlichkeit der Voruntersuchung das Wort—, und man kann dennoch zugeben, daß der militärische Strafprozeß eine unbedingte Öffentlichkeit weder fordert noch erträgt. Wenn Strafprozeßgrundsätze und Disziplin mit einander in Streit zu geraten drohen, so muß im Heere not wendig die Disziplin die Oberhand behalten. „Eine Armee ohne Disziplin ist auf alle Fülle eine kostspielige, für den Krieg eine nicht ausreichende und im Frieden eine gefahrvolle Institution" (Moltke). v. Marck macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die moderne Fechtweise und die Abkürzung der Dienst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/373>, abgerufen am 04.07.2024.