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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Reform des Mililärstrafprozesses

und dem ganzen militärischen Leben unerläßlich, v. Marck bietet diese Ma¬
terialien auch dein nicht juristisch und uicht militärisch vorgebildeten Leser in
großer, vielleicht etwas zu breiter Vollständigkeit und zeichnet sich, wiewohl
liberwiegend auf militärischem Standpunkte stehend, durch eine ungemein vor¬
urteilslose und gerechte Würdigung des Für und Wider in jeder einzelnen
Frage aus, sodaß wir deu Eindruck behalten, es müsse bei gutem Willen ans
beiden Seiten eine Berstäudignng zwischen deu militärischen und deu bürger¬
lichen Auffassungen recht wohl möglich sein. Auch v. Marck bejaht die Not¬
wendigkeit der Reform, obwohl er ausdrücklich vorausschickt, daß jede Änderung
der Gesetzgebung an sich ein Übel sei, und die Frage sehr richtig dahin for-
mulirt, ob sich das Fortbestehen des gegenwärtigen Rechtszustandes als das
größere von zwei Übeln erweise. Da er seine Positiven Vorschläge nur erst
andeutet und ihre genauere Begründung der noch nicht erschienenen zweiten
Hälfte des Werkes vorbehält, gehen nur hier mir ans die großen Schlagworte,'
um die der Streit vor allem tobt, auf die Frage" der Gerichtsherrlichkeit, der
Ständigkeit der Gerichte, Mündlichkeit und Öffentlichkeit etwas näher ein.

Die GcrichtSherrlichleit besteht darin, daß kein militärgerichtliches Ver¬
fahren anders als auf Befehl des höher" militärischen Vorgesetzten eingeleitet
werden darf, daß derselbe Vorgesetzte weiter darüber entscheidet, ob der An¬
geklagte zur Hauptverhandlung vor Gericht zu stellen sei, und endlich in dem
Rechte des militärischen Befehlshabers, nach Befinden des obersten Kriegs¬
herrn, das ergangne Urteil zu bestätige". Die Einleitung des Verfahrens ist
sowohl nach preußischem als "ach bnirischem Rechte dem Vorgesetzte" vor¬
behalten. Auch in: bürgerlichen Prozeß steht die erste Entschließung einer an
die Weisungen der Regierung gebnndncn Behörde, der Staatsanwaltschaft zu.
Die Frage wird erst schwierig, wenn es sich darum handelt, ob und welche
Rechtsmittel zulässig sein sollen, wenn der militärische Vorgesetzte die Ein¬
leitung des Strafverfahrens verweigert. Man denke an die Mißhandlungen
Untergebner oder an eine strafbare Handlung, durch die eine Zivilperson ver¬
letzt worden ist. Im ersten Falle hängt die Frage mit dem militärischen Be¬
schwerderecht zusammen, die Regelung dieses Beschwerderechts wird aber vom
Bundesrat als eine den gesetzgebenden Gewalten entzogne Kommandoangelegen¬
heit des obersten Kriegsherrn aufgefaßt. Im letztern Falle, wenn der Verletzte
eine Zivilperson ist, steht die Beschwerde an die obern militärischen Instanzen
zwar unbeschränkt offen. Soll sich aber der Verletzte daran genügen lassen,
während ihm nach bürgerlichem Rechte gestattet ist, wenn die Beschwerde
fruchtlos bleibt, noch eine richterliche Behörde, das Oberlandesgericht, an-
zugeben, dessen Entscheidung dann die Staatsanwaltschaft zur Durchfüh¬
rung der Anklage verpflichtet? Bekanntlich bildete diese Frage einen der
Punkte, an denen die Strafprozeßordnung noch in letzter Stunde zu scheitern
drohte. Die Analogie würde dazu führen, für solche Fälle, die ganz


Die Reform des Mililärstrafprozesses

und dem ganzen militärischen Leben unerläßlich, v. Marck bietet diese Ma¬
terialien auch dein nicht juristisch und uicht militärisch vorgebildeten Leser in
großer, vielleicht etwas zu breiter Vollständigkeit und zeichnet sich, wiewohl
liberwiegend auf militärischem Standpunkte stehend, durch eine ungemein vor¬
urteilslose und gerechte Würdigung des Für und Wider in jeder einzelnen
Frage aus, sodaß wir deu Eindruck behalten, es müsse bei gutem Willen ans
beiden Seiten eine Berstäudignng zwischen deu militärischen und deu bürger¬
lichen Auffassungen recht wohl möglich sein. Auch v. Marck bejaht die Not¬
wendigkeit der Reform, obwohl er ausdrücklich vorausschickt, daß jede Änderung
der Gesetzgebung an sich ein Übel sei, und die Frage sehr richtig dahin for-
mulirt, ob sich das Fortbestehen des gegenwärtigen Rechtszustandes als das
größere von zwei Übeln erweise. Da er seine Positiven Vorschläge nur erst
andeutet und ihre genauere Begründung der noch nicht erschienenen zweiten
Hälfte des Werkes vorbehält, gehen nur hier mir ans die großen Schlagworte,'
um die der Streit vor allem tobt, auf die Frage» der Gerichtsherrlichkeit, der
Ständigkeit der Gerichte, Mündlichkeit und Öffentlichkeit etwas näher ein.

Die GcrichtSherrlichleit besteht darin, daß kein militärgerichtliches Ver¬
fahren anders als auf Befehl des höher» militärischen Vorgesetzten eingeleitet
werden darf, daß derselbe Vorgesetzte weiter darüber entscheidet, ob der An¬
geklagte zur Hauptverhandlung vor Gericht zu stellen sei, und endlich in dem
Rechte des militärischen Befehlshabers, nach Befinden des obersten Kriegs¬
herrn, das ergangne Urteil zu bestätige». Die Einleitung des Verfahrens ist
sowohl nach preußischem als »ach bnirischem Rechte dem Vorgesetzte» vor¬
behalten. Auch in: bürgerlichen Prozeß steht die erste Entschließung einer an
die Weisungen der Regierung gebnndncn Behörde, der Staatsanwaltschaft zu.
Die Frage wird erst schwierig, wenn es sich darum handelt, ob und welche
Rechtsmittel zulässig sein sollen, wenn der militärische Vorgesetzte die Ein¬
leitung des Strafverfahrens verweigert. Man denke an die Mißhandlungen
Untergebner oder an eine strafbare Handlung, durch die eine Zivilperson ver¬
letzt worden ist. Im ersten Falle hängt die Frage mit dem militärischen Be¬
schwerderecht zusammen, die Regelung dieses Beschwerderechts wird aber vom
Bundesrat als eine den gesetzgebenden Gewalten entzogne Kommandoangelegen¬
heit des obersten Kriegsherrn aufgefaßt. Im letztern Falle, wenn der Verletzte
eine Zivilperson ist, steht die Beschwerde an die obern militärischen Instanzen
zwar unbeschränkt offen. Soll sich aber der Verletzte daran genügen lassen,
während ihm nach bürgerlichem Rechte gestattet ist, wenn die Beschwerde
fruchtlos bleibt, noch eine richterliche Behörde, das Oberlandesgericht, an-
zugeben, dessen Entscheidung dann die Staatsanwaltschaft zur Durchfüh¬
rung der Anklage verpflichtet? Bekanntlich bildete diese Frage einen der
Punkte, an denen die Strafprozeßordnung noch in letzter Stunde zu scheitern
drohte. Die Analogie würde dazu führen, für solche Fälle, die ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/371>, abgerufen am 22.07.2024.