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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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quellen wurden uur flüchtig berührt, aber die Aussicht auf Verständigung
blieb wenigstens unversperrt.

Bei Herrn Böckel, dein Haupte der Antisemiten, meinte Herr Richter, stehe
das Zünglein der Wage. Und Herr Böckel fand die Matrikularumlageu un¬
erträglich. Er verwarf die Reichsanleihe und erklärte sich gegen die Vier-,
die Branntwein- und jede Konsumsteuer. Herr Richter, Herr Nickert und Herr
von Bennigsen waren damit einverstanden. Der Herr Reichskanzler "nickte"
auf Herrn Rickerts Frage Zustimmung, und -- der Herr Reichsschatzsekretär,
der seine Hoffnung auf unsre unverwüstlich braven Biervertilger gesetzt hatte,
reichte seine Entlassung ein. Eine Wehrstener würde Herrn Böckel genehm
sein, ohne daß er sich auf den Gegenstand näher einließ. Wir sind nicht der
Ansicht Moltkes, der die Wehrpflicht als Ehrensache betrachtete, die nicht ab¬
gekauft werden könne. Uns dünkt, daß es der behinderte Militärpflichtige als
Ehrenpflicht betrachten sollte, wenigstens einen kleinen Ersatz zu leisten. Doch
kommt der Umstand allerdings in Betracht, daß die bemittelten Militärpflich¬
tiger als Einjährigfreiwillige zu genügen suchen, die eines körperlichen Fehlers
wegen oder durch das Los befreiten aber gewöhnlich noch nicht über eigne
Mittel verfügen. Die Börsensteuer wollte sich Herr Nickert gefallen lassen,
wenn sie die Geschäfte nicht erschwere und den Konkurrenten zutreibe. Wie
das einzufangen sei, muß uns der Herr noch sagen. Herr Böckel wünschte
hauptsächlich ausländische Werte und Emissionen zu treffen. Hinsichtlich seines
Wunsches, "das Ausdauer großer Kapitalien durch Zinsgenuß vermittelst Be¬
steuerung unmöglich zu machen," hat sich Herr Böckel zu kurz gefaßt, wenn
er unsern Rentnern einen Schreck einjagen wollte. Unverkennbar ist seine
Übereinstimmung mit dem "Sozialaristokratcu," der in seinem "Volksdienst"
nnr Tüchtigen Besitz gönnt, ihn allen Untüchtigen entziehen, ans das Wohl¬
wollen der Starken und Reichen gegen die Schwachen und Hilfsbedürftigen
wenig Rücksicht nehmen, sich vorläufig jedoch mit hohen Erbschaftssteuern be¬
gnügen will. Auffälligerweise ist die Erbschaftssteuer im Reichstage nicht weiter
erwähnt worden: es scheint, daß man sie den Staaten vorzubehalten gedenkt,
die, namentlich Preußen, damit umgehen, sie -- und mit Recht, wenn es unter
Schonung der kleinen Vermögen geschieht -- von den Seitenerben ans die
bisher geschonten Erben gerader Linie auszudehnen. Luxussteuern fanden bei
Herrn Böckel, Herrn von Bennigsen und Herrn Richter Empfehlung. Eng¬
land besteuert Wappen, Staatswagen, Livree, Gold- und Silbergeschirr, Frank¬
reich Billards und geschlossene Gesellschaften, seit kurzem auch die Livree. In
der italienischen Deputirtenkammer beantragte Professor Albertoni im März d. I.
Besteuerung der Orden in den fünf Stufen vom Kavalier bis zum Großoffizier.
Der Erfolg des Antrags ist uns entgangen. Doch könnten sowohl die Orden,
wie die über die Amtsbezeichnung hinausgehenden Titel und Adelsdiplvme
auch eine anständige Abgabe vertragen.


quellen wurden uur flüchtig berührt, aber die Aussicht auf Verständigung
blieb wenigstens unversperrt.

Bei Herrn Böckel, dein Haupte der Antisemiten, meinte Herr Richter, stehe
das Zünglein der Wage. Und Herr Böckel fand die Matrikularumlageu un¬
erträglich. Er verwarf die Reichsanleihe und erklärte sich gegen die Vier-,
die Branntwein- und jede Konsumsteuer. Herr Richter, Herr Nickert und Herr
von Bennigsen waren damit einverstanden. Der Herr Reichskanzler „nickte"
auf Herrn Rickerts Frage Zustimmung, und — der Herr Reichsschatzsekretär,
der seine Hoffnung auf unsre unverwüstlich braven Biervertilger gesetzt hatte,
reichte seine Entlassung ein. Eine Wehrstener würde Herrn Böckel genehm
sein, ohne daß er sich auf den Gegenstand näher einließ. Wir sind nicht der
Ansicht Moltkes, der die Wehrpflicht als Ehrensache betrachtete, die nicht ab¬
gekauft werden könne. Uns dünkt, daß es der behinderte Militärpflichtige als
Ehrenpflicht betrachten sollte, wenigstens einen kleinen Ersatz zu leisten. Doch
kommt der Umstand allerdings in Betracht, daß die bemittelten Militärpflich¬
tiger als Einjährigfreiwillige zu genügen suchen, die eines körperlichen Fehlers
wegen oder durch das Los befreiten aber gewöhnlich noch nicht über eigne
Mittel verfügen. Die Börsensteuer wollte sich Herr Nickert gefallen lassen,
wenn sie die Geschäfte nicht erschwere und den Konkurrenten zutreibe. Wie
das einzufangen sei, muß uns der Herr noch sagen. Herr Böckel wünschte
hauptsächlich ausländische Werte und Emissionen zu treffen. Hinsichtlich seines
Wunsches, „das Ausdauer großer Kapitalien durch Zinsgenuß vermittelst Be¬
steuerung unmöglich zu machen," hat sich Herr Böckel zu kurz gefaßt, wenn
er unsern Rentnern einen Schreck einjagen wollte. Unverkennbar ist seine
Übereinstimmung mit dem „Sozialaristokratcu," der in seinem „Volksdienst"
nnr Tüchtigen Besitz gönnt, ihn allen Untüchtigen entziehen, ans das Wohl¬
wollen der Starken und Reichen gegen die Schwachen und Hilfsbedürftigen
wenig Rücksicht nehmen, sich vorläufig jedoch mit hohen Erbschaftssteuern be¬
gnügen will. Auffälligerweise ist die Erbschaftssteuer im Reichstage nicht weiter
erwähnt worden: es scheint, daß man sie den Staaten vorzubehalten gedenkt,
die, namentlich Preußen, damit umgehen, sie — und mit Recht, wenn es unter
Schonung der kleinen Vermögen geschieht — von den Seitenerben ans die
bisher geschonten Erben gerader Linie auszudehnen. Luxussteuern fanden bei
Herrn Böckel, Herrn von Bennigsen und Herrn Richter Empfehlung. Eng¬
land besteuert Wappen, Staatswagen, Livree, Gold- und Silbergeschirr, Frank¬
reich Billards und geschlossene Gesellschaften, seit kurzem auch die Livree. In
der italienischen Deputirtenkammer beantragte Professor Albertoni im März d. I.
Besteuerung der Orden in den fünf Stufen vom Kavalier bis zum Großoffizier.
Der Erfolg des Antrags ist uns entgangen. Doch könnten sowohl die Orden,
wie die über die Amtsbezeichnung hinausgehenden Titel und Adelsdiplvme
auch eine anständige Abgabe vertragen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/354>, abgerufen am 22.07.2024.