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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Das Königreich Westfalen

ein Fourage- und Heumagaziu. Den Einfluß der Geistlichkeit schlug er nur
gering an. Hierin verkannte er aber die örtlichen Verhältnisse, denn der west¬
fälische Bauer hielt geradeso wie heute noch fest zu seinem geistlichen Herrn,
und in dem ehemaligen Kurhesse" beherrschten die reformirten Pfarrer eben¬
falls die Bevölkerung.

Die schwächste Seite der neuen Verwaltung war das Finanzwesen. Ein¬
zelne Darsteller jener vergangnen Zeiten werden nicht müde, für die schlechte
Geldwirtschaft die Verschwendungssucht des Königs verantwortlich zu machen.
Man erzählte die wunderbarsten Geschichten von seinen Schwelgereien, von
seinen Bädern in Rotwein und kölnischem Wasser. Wilhelmshöhe galt für ein
modernes Babel, dem man jede Orgie zutrauen zu dürfen meinte. Es liegt
nicht in unsrer Absicht, an Jerome in dieser Beziehung eine Mohrenwäsche
vorzunehmen, wenn er auch etwas besser war als sein Ruf; aber darüber
kann kein Zweifel herrschen, daß den finanziellen Ruin des Königreichs lediglich
sein kaiserlicher Bruder herbeigeführt hat, der das Land bis auf den letzten
Tropfen aussog. Als Napoleon seinem Bruder das neue Reich übergab, nahm
er sich gewissermaßen die Generalhhpothek darauf, wenn er für sich die Hälfte
aller Domänen beanspruchte und dazu Jerome die Nachzahlung sämtlicher
rückständigen Kriegsl'outributionen auferlegte. Diese beliefen sich auf 25 Mil¬
lionen Franks.

Jerome hat es nicht an Vielfachen Einwendungen hiergegen fehlen lassen,
anch mit seiner Abdankung gedroht, aber er stieß in Paris auf den zähesten
Widerstand, der um so größer wurde, je mehr man die Machtlosigkeit des
Kasseler Hofes erkannte. So galt es denn einfach, sich dem Gewaltwvrt Na¬
poleons zu beugen und das Geld auf jeden Fall aufzubringen. Wie weit die
Franzosen in der Ausbeutung der Steuerkraft des Landes zu gehen willens
waren, mag ein Beispiel zeigen. Im Kurfürstentum Hannover wurde im
Jahre 1807 eine Kontributionsordnuug erlassen, die die Steuer nahezu in
eine Vermögenseinziehung verwandelte. Bei einem jährlichen Einkommen von
300 bis 400 Thalern sollte ein Prozent gezahlt werden; je höher aber das
Einkommen wuchs, um so mehr stieg die Steuer. Wer über 12000 Thaler
zu verzehre" hatte, sollte 25 Prozent davon um den Staat abliefern.

An der Reform des Finanzwesens hat namentlich der Freiherr von Bülow
mit unermüdlichem Fleis^gecirbeitet. Er unternahm eine Neuordnung der Grund¬
steuer, der Personensteuer u.a., und suchte durch neue Einnahmequellen aus
den Zöllen die Finanzen zu heben. Leicht war seine Aufgabe aber nicht. Die
Höhe der Staatsschulden stellte er auf 60 Millionen Franks fest; rechnet man
hierzu aber noch die Departement- und Gemeindeschnlden, so steigt die Summe
auf 112 667 750 Franks. Noch trauriger werden die Verhältnisse, wenn man
das Budget für 1809 ansieht. Die Reichsstünde hatten eine Einnahme von
37 375000 Franks bewilligt. Hiervon sollte die Grundsteuer 10, die Per-


Das Königreich Westfalen

ein Fourage- und Heumagaziu. Den Einfluß der Geistlichkeit schlug er nur
gering an. Hierin verkannte er aber die örtlichen Verhältnisse, denn der west¬
fälische Bauer hielt geradeso wie heute noch fest zu seinem geistlichen Herrn,
und in dem ehemaligen Kurhesse» beherrschten die reformirten Pfarrer eben¬
falls die Bevölkerung.

Die schwächste Seite der neuen Verwaltung war das Finanzwesen. Ein¬
zelne Darsteller jener vergangnen Zeiten werden nicht müde, für die schlechte
Geldwirtschaft die Verschwendungssucht des Königs verantwortlich zu machen.
Man erzählte die wunderbarsten Geschichten von seinen Schwelgereien, von
seinen Bädern in Rotwein und kölnischem Wasser. Wilhelmshöhe galt für ein
modernes Babel, dem man jede Orgie zutrauen zu dürfen meinte. Es liegt
nicht in unsrer Absicht, an Jerome in dieser Beziehung eine Mohrenwäsche
vorzunehmen, wenn er auch etwas besser war als sein Ruf; aber darüber
kann kein Zweifel herrschen, daß den finanziellen Ruin des Königreichs lediglich
sein kaiserlicher Bruder herbeigeführt hat, der das Land bis auf den letzten
Tropfen aussog. Als Napoleon seinem Bruder das neue Reich übergab, nahm
er sich gewissermaßen die Generalhhpothek darauf, wenn er für sich die Hälfte
aller Domänen beanspruchte und dazu Jerome die Nachzahlung sämtlicher
rückständigen Kriegsl'outributionen auferlegte. Diese beliefen sich auf 25 Mil¬
lionen Franks.

Jerome hat es nicht an Vielfachen Einwendungen hiergegen fehlen lassen,
anch mit seiner Abdankung gedroht, aber er stieß in Paris auf den zähesten
Widerstand, der um so größer wurde, je mehr man die Machtlosigkeit des
Kasseler Hofes erkannte. So galt es denn einfach, sich dem Gewaltwvrt Na¬
poleons zu beugen und das Geld auf jeden Fall aufzubringen. Wie weit die
Franzosen in der Ausbeutung der Steuerkraft des Landes zu gehen willens
waren, mag ein Beispiel zeigen. Im Kurfürstentum Hannover wurde im
Jahre 1807 eine Kontributionsordnuug erlassen, die die Steuer nahezu in
eine Vermögenseinziehung verwandelte. Bei einem jährlichen Einkommen von
300 bis 400 Thalern sollte ein Prozent gezahlt werden; je höher aber das
Einkommen wuchs, um so mehr stieg die Steuer. Wer über 12000 Thaler
zu verzehre» hatte, sollte 25 Prozent davon um den Staat abliefern.

An der Reform des Finanzwesens hat namentlich der Freiherr von Bülow
mit unermüdlichem Fleis^gecirbeitet. Er unternahm eine Neuordnung der Grund¬
steuer, der Personensteuer u.a., und suchte durch neue Einnahmequellen aus
den Zöllen die Finanzen zu heben. Leicht war seine Aufgabe aber nicht. Die
Höhe der Staatsschulden stellte er auf 60 Millionen Franks fest; rechnet man
hierzu aber noch die Departement- und Gemeindeschnlden, so steigt die Summe
auf 112 667 750 Franks. Noch trauriger werden die Verhältnisse, wenn man
das Budget für 1809 ansieht. Die Reichsstünde hatten eine Einnahme von
37 375000 Franks bewilligt. Hiervon sollte die Grundsteuer 10, die Per-


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[0034] Das Königreich Westfalen ein Fourage- und Heumagaziu. Den Einfluß der Geistlichkeit schlug er nur gering an. Hierin verkannte er aber die örtlichen Verhältnisse, denn der west¬ fälische Bauer hielt geradeso wie heute noch fest zu seinem geistlichen Herrn, und in dem ehemaligen Kurhesse» beherrschten die reformirten Pfarrer eben¬ falls die Bevölkerung. Die schwächste Seite der neuen Verwaltung war das Finanzwesen. Ein¬ zelne Darsteller jener vergangnen Zeiten werden nicht müde, für die schlechte Geldwirtschaft die Verschwendungssucht des Königs verantwortlich zu machen. Man erzählte die wunderbarsten Geschichten von seinen Schwelgereien, von seinen Bädern in Rotwein und kölnischem Wasser. Wilhelmshöhe galt für ein modernes Babel, dem man jede Orgie zutrauen zu dürfen meinte. Es liegt nicht in unsrer Absicht, an Jerome in dieser Beziehung eine Mohrenwäsche vorzunehmen, wenn er auch etwas besser war als sein Ruf; aber darüber kann kein Zweifel herrschen, daß den finanziellen Ruin des Königreichs lediglich sein kaiserlicher Bruder herbeigeführt hat, der das Land bis auf den letzten Tropfen aussog. Als Napoleon seinem Bruder das neue Reich übergab, nahm er sich gewissermaßen die Generalhhpothek darauf, wenn er für sich die Hälfte aller Domänen beanspruchte und dazu Jerome die Nachzahlung sämtlicher rückständigen Kriegsl'outributionen auferlegte. Diese beliefen sich auf 25 Mil¬ lionen Franks. Jerome hat es nicht an Vielfachen Einwendungen hiergegen fehlen lassen, anch mit seiner Abdankung gedroht, aber er stieß in Paris auf den zähesten Widerstand, der um so größer wurde, je mehr man die Machtlosigkeit des Kasseler Hofes erkannte. So galt es denn einfach, sich dem Gewaltwvrt Na¬ poleons zu beugen und das Geld auf jeden Fall aufzubringen. Wie weit die Franzosen in der Ausbeutung der Steuerkraft des Landes zu gehen willens waren, mag ein Beispiel zeigen. Im Kurfürstentum Hannover wurde im Jahre 1807 eine Kontributionsordnuug erlassen, die die Steuer nahezu in eine Vermögenseinziehung verwandelte. Bei einem jährlichen Einkommen von 300 bis 400 Thalern sollte ein Prozent gezahlt werden; je höher aber das Einkommen wuchs, um so mehr stieg die Steuer. Wer über 12000 Thaler zu verzehre» hatte, sollte 25 Prozent davon um den Staat abliefern. An der Reform des Finanzwesens hat namentlich der Freiherr von Bülow mit unermüdlichem Fleis^gecirbeitet. Er unternahm eine Neuordnung der Grund¬ steuer, der Personensteuer u.a., und suchte durch neue Einnahmequellen aus den Zöllen die Finanzen zu heben. Leicht war seine Aufgabe aber nicht. Die Höhe der Staatsschulden stellte er auf 60 Millionen Franks fest; rechnet man hierzu aber noch die Departement- und Gemeindeschnlden, so steigt die Summe auf 112 667 750 Franks. Noch trauriger werden die Verhältnisse, wenn man das Budget für 1809 ansieht. Die Reichsstünde hatten eine Einnahme von 37 375000 Franks bewilligt. Hiervon sollte die Grundsteuer 10, die Per-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/34>, abgerufen am 02.07.2024.