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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Flüchtlinge

dessen Treue die Probe bestanden hatte. Kein Wunder, daß die Eltern, die seine
Neigung zu Lucie schon lauge kannten, den Wunsch hegten, die Hand der Tochter
in die des erfahrenen und bewährten Mannes zu legen. Das alles wußte Lucie,
und ihr Herz wurde schwer, wie sie es so überdachte.

O lieber Gott, sagte sie leise. Es ist ja uur ein Stück Erdenglück, und ich
weiß nicht, ob man darum bitten soll, aber ich thue es doch, recht innig bitte ich --
laß es mich finden!

Über der Linde ging in diesem Augenblick ein Stern ans und begrüßte
sie mit seinem Lichte. Das schien ihr eine freundliche Vorbedeutung zu sein,
es wurde wieder hell in ihrer Brust. Sie ging vom Fenster nud kühlte sich
die Wattgen mit frischem Wasser, dann verließ sie das Zimmer und ging die
Treppe hinab.

Als sie an der Schlafkammer der Geschwister vorüberkam, hörte sie drin die
Mutter mit den Kindern reden. Das war ihr lieb, denn sie wünschte zuerst mit
dem Vater allein zu sein. Vor dem Wohnzimmer stand sie noch einmal still
und drückte die Hand gegen das klopfende Herz. Einen Augenblick hatte sie Lust,
umzukehren und°wieder in ihre Kammer hinauszuschleichen, aber schon hatte ihre
unruhige Hand die Thür geöffnet.

Der Vater saß am Tisch und las in einem Buche. Die Lampe verbreitete
nur einen Dämmerschein im Zimmer, und so konnte ihn Lucie begrüßen, ohne daß
er ihre Unruhe bemerkte. Sie nahm eine Arbeit und setzte sich neben ihn. Der
Vater sah auf und fragte: Du warst ausgegangen?

Ja, Vater, antwortete sie leise.

Allein?

Nein, Vater.

Ach hätte er sie doch jetzt ungesehn! Sie wäre ihm um den Hals gefallen,
und ihre Angen hätten ihm alles gesagt, was die Lippen nicht auszusprechen wagten.
Aber er las wieder in seinem Buche.

Lucie merkte, daß auch der Vater unruhig war, und das machte sie noch
verwirrter.

Endlich legte er das Buch zur Seite und sagte wie beiläufig: Herr Albrecht
war heute hier.

So! antwortete sie, indem sie sich zu einem Lächeln zwang. Das ist bei ihm
nichts neues.

Der Schmied hob den Schirm von der Lampe ein wenig in die Höhe nud
sah der Tochter ins Gesicht.

Diesmal, sagte er, war es doch etwas neues. Er hat um deine Hand
angehalten.

Lucie erblaßte, und das Herz stand ihr fast still.

Was hast du ihm geantwortet? fragte sie mit unsichrer Stimme.

Ich konnte ihm nichts Bestimmtes sagen, antwortete der Vater, nur das eine
konnte ich ihm versichern, daß wir niemand so gern unser liebes Kind anvertrauen
würden als ihm. Weiter konnte ich ihm ja nichts versprechen, du mußtest doch
auch gefragt werden, denn schließlich geht dich die Sache doch auch an!

Er versuchte zu scherzen, und Lucie lächelte auch, obwohl es ihr eher wie
Weinen war.

Ich denke, daß die Werbung keine große Überraschung fiir dich ist, sagte der
Vater wieder.

Nein, antwortete sie leise.


Grenzboten IV 1893 41
Die Flüchtlinge

dessen Treue die Probe bestanden hatte. Kein Wunder, daß die Eltern, die seine
Neigung zu Lucie schon lauge kannten, den Wunsch hegten, die Hand der Tochter
in die des erfahrenen und bewährten Mannes zu legen. Das alles wußte Lucie,
und ihr Herz wurde schwer, wie sie es so überdachte.

O lieber Gott, sagte sie leise. Es ist ja uur ein Stück Erdenglück, und ich
weiß nicht, ob man darum bitten soll, aber ich thue es doch, recht innig bitte ich —
laß es mich finden!

Über der Linde ging in diesem Augenblick ein Stern ans und begrüßte
sie mit seinem Lichte. Das schien ihr eine freundliche Vorbedeutung zu sein,
es wurde wieder hell in ihrer Brust. Sie ging vom Fenster nud kühlte sich
die Wattgen mit frischem Wasser, dann verließ sie das Zimmer und ging die
Treppe hinab.

Als sie an der Schlafkammer der Geschwister vorüberkam, hörte sie drin die
Mutter mit den Kindern reden. Das war ihr lieb, denn sie wünschte zuerst mit
dem Vater allein zu sein. Vor dem Wohnzimmer stand sie noch einmal still
und drückte die Hand gegen das klopfende Herz. Einen Augenblick hatte sie Lust,
umzukehren und°wieder in ihre Kammer hinauszuschleichen, aber schon hatte ihre
unruhige Hand die Thür geöffnet.

Der Vater saß am Tisch und las in einem Buche. Die Lampe verbreitete
nur einen Dämmerschein im Zimmer, und so konnte ihn Lucie begrüßen, ohne daß
er ihre Unruhe bemerkte. Sie nahm eine Arbeit und setzte sich neben ihn. Der
Vater sah auf und fragte: Du warst ausgegangen?

Ja, Vater, antwortete sie leise.

Allein?

Nein, Vater.

Ach hätte er sie doch jetzt ungesehn! Sie wäre ihm um den Hals gefallen,
und ihre Angen hätten ihm alles gesagt, was die Lippen nicht auszusprechen wagten.
Aber er las wieder in seinem Buche.

Lucie merkte, daß auch der Vater unruhig war, und das machte sie noch
verwirrter.

Endlich legte er das Buch zur Seite und sagte wie beiläufig: Herr Albrecht
war heute hier.

So! antwortete sie, indem sie sich zu einem Lächeln zwang. Das ist bei ihm
nichts neues.

Der Schmied hob den Schirm von der Lampe ein wenig in die Höhe nud
sah der Tochter ins Gesicht.

Diesmal, sagte er, war es doch etwas neues. Er hat um deine Hand
angehalten.

Lucie erblaßte, und das Herz stand ihr fast still.

Was hast du ihm geantwortet? fragte sie mit unsichrer Stimme.

Ich konnte ihm nichts Bestimmtes sagen, antwortete der Vater, nur das eine
konnte ich ihm versichern, daß wir niemand so gern unser liebes Kind anvertrauen
würden als ihm. Weiter konnte ich ihm ja nichts versprechen, du mußtest doch
auch gefragt werden, denn schließlich geht dich die Sache doch auch an!

Er versuchte zu scherzen, und Lucie lächelte auch, obwohl es ihr eher wie
Weinen war.

Ich denke, daß die Werbung keine große Überraschung fiir dich ist, sagte der
Vater wieder.

Nein, antwortete sie leise.


Grenzboten IV 1893 41
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/329>, abgerufen am 04.07.2024.