Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Unser Zeitnngselend mag erregt, das abwechslungsreiche und aufsteigende Situationen bietet, "ut das Einer von den beiden Berichterstatter!, muß da doch Unsinn geschrieben Doch mit dem unerquicklichen Thema des bösen und auch des zu guten Grenzboten IV 189-j os
Unser Zeitnngselend mag erregt, das abwechslungsreiche und aufsteigende Situationen bietet, »ut das Einer von den beiden Berichterstatter!, muß da doch Unsinn geschrieben Doch mit dem unerquicklichen Thema des bösen und auch des zu guten Grenzboten IV 189-j os
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216037"/> <fw type="header" place="top"> Unser Zeitnngselend</fw><lb/> <p xml:id="ID_925" prev="#ID_924"> mag erregt, das abwechslungsreiche und aufsteigende Situationen bietet, »ut das<lb/> der mehrstimmigen Volalkomposition genügenden Naum giebt. Zu dieser theatra¬<lb/> lischen Art zahlt Iktinos Libretto ganz und gar nicht. Es ist eine vcrschwommen-<lb/> schönselige (!), auf der Bühne, sorglos hiugeworfue Novelle mit sogenannter ,,schöner<lb/> Diktion/' welche, mag sie nun ivolleu oder nicht, dazu bestimmt ist, vom Orchester<lb/> weggeblasen und von den Sängern weggesuugen zu werden. Leider that auch die<lb/> Darstellung für den Komponisten nnr wenig. Es gab bedenkliche Schwankungen<lb/> im Ensemble, und nur selten bemerkte mau etwas, das einer seinem vokalen und<lb/> instrumentalen Schattirung ähnlich sah. Was letzteres betrifft, so zeigte sichs wieder<lb/> einmal deutlich, daß das tschechische Theater an Knpellmeisterkalamitäten leidet, welche<lb/> die verdienstvolle, gewissenhafte Direktion wird beseitigen müssen, wenn sie die her¬<lb/> vorragende Bedeutung des Instituts nicht unnötigerweise schmälern will. Die besten<lb/> hiesigen Musiker sind darüber einig! der überaus tüchtigen musikalischen Armee<lb/> fehlt der halbwegs tüchtige General.</p><lb/> <p xml:id="ID_926"> Einer von den beiden Berichterstatter!, muß da doch Unsinn geschrieben<lb/> haben, bewußt oder unbewußt, aus bösem Willen oder aus Unfähigkeit. Aus<lb/> beiden Ursachen wird unglaublich viel gesündigt in der deutschen Presse. Ein<lb/> sogenannter Kollege von uns — er war in jungen Jahren Drechsler oder<lb/> Setzer gewesen, man wußte das nicht genau; spater war er ein Lump in<lb/> Folio, was um so zuverlässiger bekannt war — leistete sich einmal fol¬<lb/> gendes. Über das Konzert einer Sängerin, die zwar kein Genie war, aber<lb/> doch ein hübsches Talent und natürliches Geschick hatte, schrieb er einen Be¬<lb/> richt in den überschwenglichsten Ausdrücken eines begeisterten Lokalpatrioten;<lb/> acht Tage darauf riß er, von einer alten singestundengebendeu Jungfer auf¬<lb/> gehetzt, dieselbe Sängerin in demselben Blatt herunter. Wie bei diesem Bieder¬<lb/> mann, so gehen Dummheit und Charakterlosigkeit bei der Presse gewöhnlich in<lb/> trautem Verein.</p><lb/> <p xml:id="ID_927" next="#ID_928"> Doch mit dem unerquicklichen Thema des bösen und auch des zu guten<lb/> Willens, der leider so vielen Vertretern der Großmacht Presse eigen ist, wollen<lb/> wir uns uicht befasse». An dem Schaden, den ihre Unfähigkeit anrichtet,<lb/> bleibt uns ohnedies noch genug zu besehen. Da wird so viel gejammert über<lb/> den Verfall unsrer Bühnenkunst. Ist dem, das ein Wunder? Man sehe sich<lb/> die Kerlchen doch nur an, die über die Kunst zu Gericht sitzen! Man möchte<lb/> ihnen die Hamburgische Dramaturgie um die Ohren schlagen, wenn mau das<lb/> Zeug liest, das sie da über das deutsche Theater zusammensudeln, vom „geist¬<lb/> vollen" Kritiker jüdisch-deutscher Nation in Berlin bis zum Chefredakteur im<lb/> kleinsten Krähwinkel, der auch noch den Drucker und Verleger in seiner ge¬<lb/> schätzten Person vereinigt. Da beginnt einer seinen Bericht über eine Auf¬<lb/> führung der Heimat von Sudermann: „Der Berliner Erfolg von Suder-<lb/> manns Heimat hat auch bei uns vorgestern ein lautes Echo geweckt." Also<lb/> weil das Stück in Berlin Erfolg hatte, hatte es ihn auch bei „uns"? Sehr<lb/> schmeichelhaft für „uns." „Es ist das interessanteste und technisch vollendetste<lb/> seiner Dramen." Das ist nicht wahr. Sodoms Ende ist interessanter, weil</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 189-j os</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0313]
Unser Zeitnngselend
mag erregt, das abwechslungsreiche und aufsteigende Situationen bietet, »ut das
der mehrstimmigen Volalkomposition genügenden Naum giebt. Zu dieser theatra¬
lischen Art zahlt Iktinos Libretto ganz und gar nicht. Es ist eine vcrschwommen-
schönselige (!), auf der Bühne, sorglos hiugeworfue Novelle mit sogenannter ,,schöner
Diktion/' welche, mag sie nun ivolleu oder nicht, dazu bestimmt ist, vom Orchester
weggeblasen und von den Sängern weggesuugen zu werden. Leider that auch die
Darstellung für den Komponisten nnr wenig. Es gab bedenkliche Schwankungen
im Ensemble, und nur selten bemerkte mau etwas, das einer seinem vokalen und
instrumentalen Schattirung ähnlich sah. Was letzteres betrifft, so zeigte sichs wieder
einmal deutlich, daß das tschechische Theater an Knpellmeisterkalamitäten leidet, welche
die verdienstvolle, gewissenhafte Direktion wird beseitigen müssen, wenn sie die her¬
vorragende Bedeutung des Instituts nicht unnötigerweise schmälern will. Die besten
hiesigen Musiker sind darüber einig! der überaus tüchtigen musikalischen Armee
fehlt der halbwegs tüchtige General.
Einer von den beiden Berichterstatter!, muß da doch Unsinn geschrieben
haben, bewußt oder unbewußt, aus bösem Willen oder aus Unfähigkeit. Aus
beiden Ursachen wird unglaublich viel gesündigt in der deutschen Presse. Ein
sogenannter Kollege von uns — er war in jungen Jahren Drechsler oder
Setzer gewesen, man wußte das nicht genau; spater war er ein Lump in
Folio, was um so zuverlässiger bekannt war — leistete sich einmal fol¬
gendes. Über das Konzert einer Sängerin, die zwar kein Genie war, aber
doch ein hübsches Talent und natürliches Geschick hatte, schrieb er einen Be¬
richt in den überschwenglichsten Ausdrücken eines begeisterten Lokalpatrioten;
acht Tage darauf riß er, von einer alten singestundengebendeu Jungfer auf¬
gehetzt, dieselbe Sängerin in demselben Blatt herunter. Wie bei diesem Bieder¬
mann, so gehen Dummheit und Charakterlosigkeit bei der Presse gewöhnlich in
trautem Verein.
Doch mit dem unerquicklichen Thema des bösen und auch des zu guten
Willens, der leider so vielen Vertretern der Großmacht Presse eigen ist, wollen
wir uns uicht befasse». An dem Schaden, den ihre Unfähigkeit anrichtet,
bleibt uns ohnedies noch genug zu besehen. Da wird so viel gejammert über
den Verfall unsrer Bühnenkunst. Ist dem, das ein Wunder? Man sehe sich
die Kerlchen doch nur an, die über die Kunst zu Gericht sitzen! Man möchte
ihnen die Hamburgische Dramaturgie um die Ohren schlagen, wenn mau das
Zeug liest, das sie da über das deutsche Theater zusammensudeln, vom „geist¬
vollen" Kritiker jüdisch-deutscher Nation in Berlin bis zum Chefredakteur im
kleinsten Krähwinkel, der auch noch den Drucker und Verleger in seiner ge¬
schätzten Person vereinigt. Da beginnt einer seinen Bericht über eine Auf¬
führung der Heimat von Sudermann: „Der Berliner Erfolg von Suder-
manns Heimat hat auch bei uns vorgestern ein lautes Echo geweckt." Also
weil das Stück in Berlin Erfolg hatte, hatte es ihn auch bei „uns"? Sehr
schmeichelhaft für „uns." „Es ist das interessanteste und technisch vollendetste
seiner Dramen." Das ist nicht wahr. Sodoms Ende ist interessanter, weil
Grenzboten IV 189-j os
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