Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder aus dem Westen

weniger peinlich ist, so wird vom Weltfleischmarkt ans die Welt wieder einmal
ein paar Jahre lang mit Fleisch versorgt, das von krankem Vieh stammt, und
kein Hahn kräht darnach, es bleibt dabei, solange diese Partei ihren Mann
im Amte hält.

Nach diesen Erfahrungen machte ich mich wieder auf den Weg zu Herrn
Armour, um ihm dringend die Sicherheitsvorrichtungen Berlins, besonders
hinsichtlich der Trichinenschau, zu empfehlen.

Nach mehreren eingehenden Unterredungen lief aber doch schließlich die
Meinung des Mr. Armour auf folgendes hinaus: Gesagt, Sie fänden in
dem hundertsten oder fünfhundertsten Schwein, das wir schlachten, einmal
trichinöses Fleisch, so würde das durch die Zeitungen so aufgebnnscht werden,
daß ich das zu verHuten meinem Geschäft gegenüber verpflichtet bin. Übrigens
ist hier in Amerika bis jetzt noch kein Trichinenfall vorgekommen, und deshalb
glauben wir auch nicht, daß etwas von Bedeutung zu finden sein würde. Da
in unsern großen Wurstfabriken sowohl, wie für die andern Verpackung/?- und
Verseudungsarten das Fleisch einer großen Masse von Tieren gemischt wird, so
ist es ganz unmöglich, daß ein schlechtes Stück unter Hunderten und Tausenden
von guten Stücken Schaden anrichten könnte. Es geht damit wie mit der
Milch. Seitdem durch die großen Molkereianstalten, wo die Milch von Hun¬
derten von Kühen durcheinandergemischt wird, die Ernährung einer Familie
von ein und derselben Kuh vermiede" wird, ist die Verbreitung von Tuber¬
kulose durch Kuhmilch ausgeschlossen. Ich glaube, daß bei Ihnen in Deutsch¬
land Trichinose nur dn vorkommt, wo in kleinern Städten und auf dem Lande
ein trichinöses Schwein unter wenige Familien verteilt wird. Auch werden
die Schweine bei uns reinlicher gefüttert, nur mit Mais, nicht mit Abfällen,
wie bei Ihnen. Und endlich -- entschuldigen Sie -- fällt es keinem gesitteten
Menschen in Amerika ein, auch nur ein Stück ungekochten Schweinefleisches,
weder rohen Schinken noch Cervelatwurst, in den Mund zu nehmen.

Das einzige, was mir nach dieser eingehenden Darlegung zu thun übrig
blieb, war, diese Verhältnisse dem Urteil der einzigen sachverständigen Behörde
zu unterbreiten, und das war der große internationale medizinische Kongreß,
der im August 1890 in Berlin zusammentrat. Da mußte sichs ja entscheiden,
ob das Mauchestertum oder die Wissenschaft, die Macht des Geldes oder die
Macht des Wissens zuletzt Recht behalten würde in der Welt. Bis dahin
blieb mir aber noch hinlänglich Zeit, meine Kenntnisse dieser neuen Stadt des
Westens auch nach Seiten hin auszudehnen, die für gewöhnlich dem Ange des
Touristen und des Zeituugsreporters verschlossen bleiben.




Bilder aus dem Westen

weniger peinlich ist, so wird vom Weltfleischmarkt ans die Welt wieder einmal
ein paar Jahre lang mit Fleisch versorgt, das von krankem Vieh stammt, und
kein Hahn kräht darnach, es bleibt dabei, solange diese Partei ihren Mann
im Amte hält.

Nach diesen Erfahrungen machte ich mich wieder auf den Weg zu Herrn
Armour, um ihm dringend die Sicherheitsvorrichtungen Berlins, besonders
hinsichtlich der Trichinenschau, zu empfehlen.

Nach mehreren eingehenden Unterredungen lief aber doch schließlich die
Meinung des Mr. Armour auf folgendes hinaus: Gesagt, Sie fänden in
dem hundertsten oder fünfhundertsten Schwein, das wir schlachten, einmal
trichinöses Fleisch, so würde das durch die Zeitungen so aufgebnnscht werden,
daß ich das zu verHuten meinem Geschäft gegenüber verpflichtet bin. Übrigens
ist hier in Amerika bis jetzt noch kein Trichinenfall vorgekommen, und deshalb
glauben wir auch nicht, daß etwas von Bedeutung zu finden sein würde. Da
in unsern großen Wurstfabriken sowohl, wie für die andern Verpackung/?- und
Verseudungsarten das Fleisch einer großen Masse von Tieren gemischt wird, so
ist es ganz unmöglich, daß ein schlechtes Stück unter Hunderten und Tausenden
von guten Stücken Schaden anrichten könnte. Es geht damit wie mit der
Milch. Seitdem durch die großen Molkereianstalten, wo die Milch von Hun¬
derten von Kühen durcheinandergemischt wird, die Ernährung einer Familie
von ein und derselben Kuh vermiede» wird, ist die Verbreitung von Tuber¬
kulose durch Kuhmilch ausgeschlossen. Ich glaube, daß bei Ihnen in Deutsch¬
land Trichinose nur dn vorkommt, wo in kleinern Städten und auf dem Lande
ein trichinöses Schwein unter wenige Familien verteilt wird. Auch werden
die Schweine bei uns reinlicher gefüttert, nur mit Mais, nicht mit Abfällen,
wie bei Ihnen. Und endlich — entschuldigen Sie — fällt es keinem gesitteten
Menschen in Amerika ein, auch nur ein Stück ungekochten Schweinefleisches,
weder rohen Schinken noch Cervelatwurst, in den Mund zu nehmen.

Das einzige, was mir nach dieser eingehenden Darlegung zu thun übrig
blieb, war, diese Verhältnisse dem Urteil der einzigen sachverständigen Behörde
zu unterbreiten, und das war der große internationale medizinische Kongreß,
der im August 1890 in Berlin zusammentrat. Da mußte sichs ja entscheiden,
ob das Mauchestertum oder die Wissenschaft, die Macht des Geldes oder die
Macht des Wissens zuletzt Recht behalten würde in der Welt. Bis dahin
blieb mir aber noch hinlänglich Zeit, meine Kenntnisse dieser neuen Stadt des
Westens auch nach Seiten hin auszudehnen, die für gewöhnlich dem Ange des
Touristen und des Zeituugsreporters verschlossen bleiben.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216012"/>
          <fw type="header" place="top"> Bilder aus dem Westen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_838" prev="#ID_837"> weniger peinlich ist, so wird vom Weltfleischmarkt ans die Welt wieder einmal<lb/>
ein paar Jahre lang mit Fleisch versorgt, das von krankem Vieh stammt, und<lb/>
kein Hahn kräht darnach, es bleibt dabei, solange diese Partei ihren Mann<lb/>
im Amte hält.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_839"> Nach diesen Erfahrungen machte ich mich wieder auf den Weg zu Herrn<lb/>
Armour, um ihm dringend die Sicherheitsvorrichtungen Berlins, besonders<lb/>
hinsichtlich der Trichinenschau, zu empfehlen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_840"> Nach mehreren eingehenden Unterredungen lief aber doch schließlich die<lb/>
Meinung des Mr. Armour auf folgendes hinaus: Gesagt, Sie fänden in<lb/>
dem hundertsten oder fünfhundertsten Schwein, das wir schlachten, einmal<lb/>
trichinöses Fleisch, so würde das durch die Zeitungen so aufgebnnscht werden,<lb/>
daß ich das zu verHuten meinem Geschäft gegenüber verpflichtet bin. Übrigens<lb/>
ist hier in Amerika bis jetzt noch kein Trichinenfall vorgekommen, und deshalb<lb/>
glauben wir auch nicht, daß etwas von Bedeutung zu finden sein würde. Da<lb/>
in unsern großen Wurstfabriken sowohl, wie für die andern Verpackung/?- und<lb/>
Verseudungsarten das Fleisch einer großen Masse von Tieren gemischt wird, so<lb/>
ist es ganz unmöglich, daß ein schlechtes Stück unter Hunderten und Tausenden<lb/>
von guten Stücken Schaden anrichten könnte. Es geht damit wie mit der<lb/>
Milch. Seitdem durch die großen Molkereianstalten, wo die Milch von Hun¬<lb/>
derten von Kühen durcheinandergemischt wird, die Ernährung einer Familie<lb/>
von ein und derselben Kuh vermiede» wird, ist die Verbreitung von Tuber¬<lb/>
kulose durch Kuhmilch ausgeschlossen. Ich glaube, daß bei Ihnen in Deutsch¬<lb/>
land Trichinose nur dn vorkommt, wo in kleinern Städten und auf dem Lande<lb/>
ein trichinöses Schwein unter wenige Familien verteilt wird. Auch werden<lb/>
die Schweine bei uns reinlicher gefüttert, nur mit Mais, nicht mit Abfällen,<lb/>
wie bei Ihnen. Und endlich &#x2014; entschuldigen Sie &#x2014; fällt es keinem gesitteten<lb/>
Menschen in Amerika ein, auch nur ein Stück ungekochten Schweinefleisches,<lb/>
weder rohen Schinken noch Cervelatwurst, in den Mund zu nehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_841"> Das einzige, was mir nach dieser eingehenden Darlegung zu thun übrig<lb/>
blieb, war, diese Verhältnisse dem Urteil der einzigen sachverständigen Behörde<lb/>
zu unterbreiten, und das war der große internationale medizinische Kongreß,<lb/>
der im August 1890 in Berlin zusammentrat. Da mußte sichs ja entscheiden,<lb/>
ob das Mauchestertum oder die Wissenschaft, die Macht des Geldes oder die<lb/>
Macht des Wissens zuletzt Recht behalten würde in der Welt. Bis dahin<lb/>
blieb mir aber noch hinlänglich Zeit, meine Kenntnisse dieser neuen Stadt des<lb/>
Westens auch nach Seiten hin auszudehnen, die für gewöhnlich dem Ange des<lb/>
Touristen und des Zeituugsreporters verschlossen bleiben.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0288] Bilder aus dem Westen weniger peinlich ist, so wird vom Weltfleischmarkt ans die Welt wieder einmal ein paar Jahre lang mit Fleisch versorgt, das von krankem Vieh stammt, und kein Hahn kräht darnach, es bleibt dabei, solange diese Partei ihren Mann im Amte hält. Nach diesen Erfahrungen machte ich mich wieder auf den Weg zu Herrn Armour, um ihm dringend die Sicherheitsvorrichtungen Berlins, besonders hinsichtlich der Trichinenschau, zu empfehlen. Nach mehreren eingehenden Unterredungen lief aber doch schließlich die Meinung des Mr. Armour auf folgendes hinaus: Gesagt, Sie fänden in dem hundertsten oder fünfhundertsten Schwein, das wir schlachten, einmal trichinöses Fleisch, so würde das durch die Zeitungen so aufgebnnscht werden, daß ich das zu verHuten meinem Geschäft gegenüber verpflichtet bin. Übrigens ist hier in Amerika bis jetzt noch kein Trichinenfall vorgekommen, und deshalb glauben wir auch nicht, daß etwas von Bedeutung zu finden sein würde. Da in unsern großen Wurstfabriken sowohl, wie für die andern Verpackung/?- und Verseudungsarten das Fleisch einer großen Masse von Tieren gemischt wird, so ist es ganz unmöglich, daß ein schlechtes Stück unter Hunderten und Tausenden von guten Stücken Schaden anrichten könnte. Es geht damit wie mit der Milch. Seitdem durch die großen Molkereianstalten, wo die Milch von Hun¬ derten von Kühen durcheinandergemischt wird, die Ernährung einer Familie von ein und derselben Kuh vermiede» wird, ist die Verbreitung von Tuber¬ kulose durch Kuhmilch ausgeschlossen. Ich glaube, daß bei Ihnen in Deutsch¬ land Trichinose nur dn vorkommt, wo in kleinern Städten und auf dem Lande ein trichinöses Schwein unter wenige Familien verteilt wird. Auch werden die Schweine bei uns reinlicher gefüttert, nur mit Mais, nicht mit Abfällen, wie bei Ihnen. Und endlich — entschuldigen Sie — fällt es keinem gesitteten Menschen in Amerika ein, auch nur ein Stück ungekochten Schweinefleisches, weder rohen Schinken noch Cervelatwurst, in den Mund zu nehmen. Das einzige, was mir nach dieser eingehenden Darlegung zu thun übrig blieb, war, diese Verhältnisse dem Urteil der einzigen sachverständigen Behörde zu unterbreiten, und das war der große internationale medizinische Kongreß, der im August 1890 in Berlin zusammentrat. Da mußte sichs ja entscheiden, ob das Mauchestertum oder die Wissenschaft, die Macht des Geldes oder die Macht des Wissens zuletzt Recht behalten würde in der Welt. Bis dahin blieb mir aber noch hinlänglich Zeit, meine Kenntnisse dieser neuen Stadt des Westens auch nach Seiten hin auszudehnen, die für gewöhnlich dem Ange des Touristen und des Zeituugsreporters verschlossen bleiben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/288
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/288>, abgerufen am 22.07.2024.