Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder ans dem Westen

hätte fassen können, Ochsen, Kühe und Stiere, jene Tiere, die in der Arena ganz
Mexiko in Schauder versetzen durch die blutigen Schauspiele, die sie dort all-
sonntüglich zu geben haben. Ein Fehltritt, und ich lag ihnen preisgegeben zu
ihren Füßen! Wie froh war ich, als Dr. Cutter endlich in der Nähe einer ein¬
mündenden Straße herabsprang und ich ihm nun in den nächsten größern Pferch
folgen konnte, wo fünfzehn bis achtzehn kranke Rinder umherliefen. Sie waren
dnrch ihr unlustiges, träges Wesen, ihre geschwollnen Vorderfüße und ihre
unförmlichen Schnauzen schon von weitem erkennbar. Ein Inspektor mit einer
Jagdbüchse überm Rücken kam mit einigen Gehilfen herbei, da er den Arzt
hatte kommen sehen, und bald waren wir darüber einig, daß diese Tiere nicht
geschlachtet, sondern weggeführt und erschossen werden sollten, um die mikro¬
skopische Untersuchung ihrer Kiefern- und Vorderfnßlnochen vorzunehmen. Sie
wurden in eiuen andern Pferch getrieben, der etwas abseits von den übrigen
an einer Verladuugsbrücke lag, und schnell kletterte der Inspektor mit der
Büchse auf die Pallisaden und hatte in wenigen Minuten mit sechs oder sieben
Schlissen die vier besten Stücke erlegt. Dr. Cutter sorgte dafür, daß die zur
Untersuchung bestimmten Teile abgetrennt und nach der Stadt geschickt wurden.
Dann gingen wir eine der nächsten Straßen entlang an allerhand reinem und
unreinem Getier vorbei, das hier seines Schicksals harrte. Viele waren wegen
krankheitsverdächtigen Erscheinungen vom Tierarzt abgesondert und unter Kon¬
trolle gestellt, bis sie der Tierarzt, der hier täglich seinen Rundgang zu machen
hatte, entweder, wenn sie wieder munter wurden und fraßen, zum Schlachten
zuließ oder sie als krank und untauglich für die Guanvfabriken bestimmte.
In zweifelhaften Füllen, wie eben bei der Kiefergeschwulst, wird der Stadt¬
arzt herangezogen. Die Perlsuchtkoutrolle geschieht meist nur so, daß der
Tierarzt das lebende Tier besichtigt. Vom "koiidemnirtcn" Tiere werden nie¬
mals Untersuchnngsobjekte entnommen. Von mikroskopischer Untersuchung auf
Trichinen und Finnen ist nicht die Rede. Die Zustände im Weltfleischmarkt
müssen eben jeden denkenden Menschen auf eine notwendige Inangriffnahme
internationaler hygienischer Maßnahmen aufmerksam machen.
"

Als wir nach unsrer Rückkehr in die "Sanitätsbude die mit Geschwulst
behafteten Teile vorfanden, holten wir das Mikroskop aus dem Staube der
Rumpelkammer, wo es jahrelang unbenutzt seit seiner Anschaffung gestanden
hatte. Die Untersuchung ergab "Strahlenpilz" (Minomykose), und mit
Hilfe eines Dr. Thompson, der in Wien seine Studien gemacht hatte, wurden
in den nächsten Tagen einige farbige Präparate angefertigt, die die Diagnose
auf jene gefährliche Knochenerkrankung des Rindes, die sich anch auf den
Menschen übertragen läßt, über jeden Zweifel erhoben und den gewissen¬
haften Doktor Cutter aufs beste rechtfertigten. Wenn freilich bei der nächsten
Wahl städtischer Beamten statt eines demokratischen ein republikanischer Sta de-
"rzt gewühlt wird und dieser in der Ausübung seiner Schlachtviehrevision


Bilder ans dem Westen

hätte fassen können, Ochsen, Kühe und Stiere, jene Tiere, die in der Arena ganz
Mexiko in Schauder versetzen durch die blutigen Schauspiele, die sie dort all-
sonntüglich zu geben haben. Ein Fehltritt, und ich lag ihnen preisgegeben zu
ihren Füßen! Wie froh war ich, als Dr. Cutter endlich in der Nähe einer ein¬
mündenden Straße herabsprang und ich ihm nun in den nächsten größern Pferch
folgen konnte, wo fünfzehn bis achtzehn kranke Rinder umherliefen. Sie waren
dnrch ihr unlustiges, träges Wesen, ihre geschwollnen Vorderfüße und ihre
unförmlichen Schnauzen schon von weitem erkennbar. Ein Inspektor mit einer
Jagdbüchse überm Rücken kam mit einigen Gehilfen herbei, da er den Arzt
hatte kommen sehen, und bald waren wir darüber einig, daß diese Tiere nicht
geschlachtet, sondern weggeführt und erschossen werden sollten, um die mikro¬
skopische Untersuchung ihrer Kiefern- und Vorderfnßlnochen vorzunehmen. Sie
wurden in eiuen andern Pferch getrieben, der etwas abseits von den übrigen
an einer Verladuugsbrücke lag, und schnell kletterte der Inspektor mit der
Büchse auf die Pallisaden und hatte in wenigen Minuten mit sechs oder sieben
Schlissen die vier besten Stücke erlegt. Dr. Cutter sorgte dafür, daß die zur
Untersuchung bestimmten Teile abgetrennt und nach der Stadt geschickt wurden.
Dann gingen wir eine der nächsten Straßen entlang an allerhand reinem und
unreinem Getier vorbei, das hier seines Schicksals harrte. Viele waren wegen
krankheitsverdächtigen Erscheinungen vom Tierarzt abgesondert und unter Kon¬
trolle gestellt, bis sie der Tierarzt, der hier täglich seinen Rundgang zu machen
hatte, entweder, wenn sie wieder munter wurden und fraßen, zum Schlachten
zuließ oder sie als krank und untauglich für die Guanvfabriken bestimmte.
In zweifelhaften Füllen, wie eben bei der Kiefergeschwulst, wird der Stadt¬
arzt herangezogen. Die Perlsuchtkoutrolle geschieht meist nur so, daß der
Tierarzt das lebende Tier besichtigt. Vom „koiidemnirtcn" Tiere werden nie¬
mals Untersuchnngsobjekte entnommen. Von mikroskopischer Untersuchung auf
Trichinen und Finnen ist nicht die Rede. Die Zustände im Weltfleischmarkt
müssen eben jeden denkenden Menschen auf eine notwendige Inangriffnahme
internationaler hygienischer Maßnahmen aufmerksam machen.
"

Als wir nach unsrer Rückkehr in die „Sanitätsbude die mit Geschwulst
behafteten Teile vorfanden, holten wir das Mikroskop aus dem Staube der
Rumpelkammer, wo es jahrelang unbenutzt seit seiner Anschaffung gestanden
hatte. Die Untersuchung ergab „Strahlenpilz" (Minomykose), und mit
Hilfe eines Dr. Thompson, der in Wien seine Studien gemacht hatte, wurden
in den nächsten Tagen einige farbige Präparate angefertigt, die die Diagnose
auf jene gefährliche Knochenerkrankung des Rindes, die sich anch auf den
Menschen übertragen läßt, über jeden Zweifel erhoben und den gewissen¬
haften Doktor Cutter aufs beste rechtfertigten. Wenn freilich bei der nächsten
Wahl städtischer Beamten statt eines demokratischen ein republikanischer Sta de-
"rzt gewühlt wird und dieser in der Ausübung seiner Schlachtviehrevision


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216011"/>
          <fw type="header" place="top"> Bilder ans dem Westen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_836" prev="#ID_835"> hätte fassen können, Ochsen, Kühe und Stiere, jene Tiere, die in der Arena ganz<lb/>
Mexiko in Schauder versetzen durch die blutigen Schauspiele, die sie dort all-<lb/>
sonntüglich zu geben haben. Ein Fehltritt, und ich lag ihnen preisgegeben zu<lb/>
ihren Füßen! Wie froh war ich, als Dr. Cutter endlich in der Nähe einer ein¬<lb/>
mündenden Straße herabsprang und ich ihm nun in den nächsten größern Pferch<lb/>
folgen konnte, wo fünfzehn bis achtzehn kranke Rinder umherliefen. Sie waren<lb/>
dnrch ihr unlustiges, träges Wesen, ihre geschwollnen Vorderfüße und ihre<lb/>
unförmlichen Schnauzen schon von weitem erkennbar. Ein Inspektor mit einer<lb/>
Jagdbüchse überm Rücken kam mit einigen Gehilfen herbei, da er den Arzt<lb/>
hatte kommen sehen, und bald waren wir darüber einig, daß diese Tiere nicht<lb/>
geschlachtet, sondern weggeführt und erschossen werden sollten, um die mikro¬<lb/>
skopische Untersuchung ihrer Kiefern- und Vorderfnßlnochen vorzunehmen. Sie<lb/>
wurden in eiuen andern Pferch getrieben, der etwas abseits von den übrigen<lb/>
an einer Verladuugsbrücke lag, und schnell kletterte der Inspektor mit der<lb/>
Büchse auf die Pallisaden und hatte in wenigen Minuten mit sechs oder sieben<lb/>
Schlissen die vier besten Stücke erlegt. Dr. Cutter sorgte dafür, daß die zur<lb/>
Untersuchung bestimmten Teile abgetrennt und nach der Stadt geschickt wurden.<lb/>
Dann gingen wir eine der nächsten Straßen entlang an allerhand reinem und<lb/>
unreinem Getier vorbei, das hier seines Schicksals harrte. Viele waren wegen<lb/>
krankheitsverdächtigen Erscheinungen vom Tierarzt abgesondert und unter Kon¬<lb/>
trolle gestellt, bis sie der Tierarzt, der hier täglich seinen Rundgang zu machen<lb/>
hatte, entweder, wenn sie wieder munter wurden und fraßen, zum Schlachten<lb/>
zuließ oder sie als krank und untauglich für die Guanvfabriken bestimmte.<lb/>
In zweifelhaften Füllen, wie eben bei der Kiefergeschwulst, wird der Stadt¬<lb/>
arzt herangezogen. Die Perlsuchtkoutrolle geschieht meist nur so, daß der<lb/>
Tierarzt das lebende Tier besichtigt. Vom &#x201E;koiidemnirtcn" Tiere werden nie¬<lb/>
mals Untersuchnngsobjekte entnommen. Von mikroskopischer Untersuchung auf<lb/>
Trichinen und Finnen ist nicht die Rede. Die Zustände im Weltfleischmarkt<lb/>
müssen eben jeden denkenden Menschen auf eine notwendige Inangriffnahme<lb/>
internationaler hygienischer Maßnahmen aufmerksam machen.<lb/>
"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_837" next="#ID_838"> Als wir nach unsrer Rückkehr in die &#x201E;Sanitätsbude die mit Geschwulst<lb/>
behafteten Teile vorfanden, holten wir das Mikroskop aus dem Staube der<lb/>
Rumpelkammer, wo es jahrelang unbenutzt seit seiner Anschaffung gestanden<lb/>
hatte. Die Untersuchung ergab &#x201E;Strahlenpilz" (Minomykose), und mit<lb/>
Hilfe eines Dr. Thompson, der in Wien seine Studien gemacht hatte, wurden<lb/>
in den nächsten Tagen einige farbige Präparate angefertigt, die die Diagnose<lb/>
auf jene gefährliche Knochenerkrankung des Rindes, die sich anch auf den<lb/>
Menschen übertragen läßt, über jeden Zweifel erhoben und den gewissen¬<lb/>
haften Doktor Cutter aufs beste rechtfertigten. Wenn freilich bei der nächsten<lb/>
Wahl städtischer Beamten statt eines demokratischen ein republikanischer Sta de-<lb/>
"rzt gewühlt wird und dieser in der Ausübung seiner Schlachtviehrevision</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] Bilder ans dem Westen hätte fassen können, Ochsen, Kühe und Stiere, jene Tiere, die in der Arena ganz Mexiko in Schauder versetzen durch die blutigen Schauspiele, die sie dort all- sonntüglich zu geben haben. Ein Fehltritt, und ich lag ihnen preisgegeben zu ihren Füßen! Wie froh war ich, als Dr. Cutter endlich in der Nähe einer ein¬ mündenden Straße herabsprang und ich ihm nun in den nächsten größern Pferch folgen konnte, wo fünfzehn bis achtzehn kranke Rinder umherliefen. Sie waren dnrch ihr unlustiges, träges Wesen, ihre geschwollnen Vorderfüße und ihre unförmlichen Schnauzen schon von weitem erkennbar. Ein Inspektor mit einer Jagdbüchse überm Rücken kam mit einigen Gehilfen herbei, da er den Arzt hatte kommen sehen, und bald waren wir darüber einig, daß diese Tiere nicht geschlachtet, sondern weggeführt und erschossen werden sollten, um die mikro¬ skopische Untersuchung ihrer Kiefern- und Vorderfnßlnochen vorzunehmen. Sie wurden in eiuen andern Pferch getrieben, der etwas abseits von den übrigen an einer Verladuugsbrücke lag, und schnell kletterte der Inspektor mit der Büchse auf die Pallisaden und hatte in wenigen Minuten mit sechs oder sieben Schlissen die vier besten Stücke erlegt. Dr. Cutter sorgte dafür, daß die zur Untersuchung bestimmten Teile abgetrennt und nach der Stadt geschickt wurden. Dann gingen wir eine der nächsten Straßen entlang an allerhand reinem und unreinem Getier vorbei, das hier seines Schicksals harrte. Viele waren wegen krankheitsverdächtigen Erscheinungen vom Tierarzt abgesondert und unter Kon¬ trolle gestellt, bis sie der Tierarzt, der hier täglich seinen Rundgang zu machen hatte, entweder, wenn sie wieder munter wurden und fraßen, zum Schlachten zuließ oder sie als krank und untauglich für die Guanvfabriken bestimmte. In zweifelhaften Füllen, wie eben bei der Kiefergeschwulst, wird der Stadt¬ arzt herangezogen. Die Perlsuchtkoutrolle geschieht meist nur so, daß der Tierarzt das lebende Tier besichtigt. Vom „koiidemnirtcn" Tiere werden nie¬ mals Untersuchnngsobjekte entnommen. Von mikroskopischer Untersuchung auf Trichinen und Finnen ist nicht die Rede. Die Zustände im Weltfleischmarkt müssen eben jeden denkenden Menschen auf eine notwendige Inangriffnahme internationaler hygienischer Maßnahmen aufmerksam machen. " Als wir nach unsrer Rückkehr in die „Sanitätsbude die mit Geschwulst behafteten Teile vorfanden, holten wir das Mikroskop aus dem Staube der Rumpelkammer, wo es jahrelang unbenutzt seit seiner Anschaffung gestanden hatte. Die Untersuchung ergab „Strahlenpilz" (Minomykose), und mit Hilfe eines Dr. Thompson, der in Wien seine Studien gemacht hatte, wurden in den nächsten Tagen einige farbige Präparate angefertigt, die die Diagnose auf jene gefährliche Knochenerkrankung des Rindes, die sich anch auf den Menschen übertragen läßt, über jeden Zweifel erhoben und den gewissen¬ haften Doktor Cutter aufs beste rechtfertigten. Wenn freilich bei der nächsten Wahl städtischer Beamten statt eines demokratischen ein republikanischer Sta de- "rzt gewühlt wird und dieser in der Ausübung seiner Schlachtviehrevision

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/287>, abgerufen am 22.07.2024.