Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht Paulsen vielleicht selbst so ein Klötzchen im Sinne, das freilich weder
unbekannt noch undefinirbnr und eigentlich nicht ein Klötzchen, sondern ein
großer Klumpen ist? Kein Seelenleben ohne Gehirn! wird er doch gewiß mit
allen neuern Philosophen sagen. Daraus folgt weiter: Also verschwindet die
Individualseele mit der Zersetzung des Gehirns. Keine Möglichkeit, die Seele
ins Jenseits hinüberzuretten, wenn es das Gehirn, und nicht ein unzerstörbares
Etwas im Gehirn ist, woran das Seelenleben hängt! Unter den Gründen,
die seiner Ansicht nach den Anhängern der Theorie von einer Seelensubstanz
dieses "Gespenst" teuer und unentbehrlich machen sollen, hat er gerade diesen
wichtigsten und allein entscheidenden übersehen. Wir haben schon früher ein¬
mal dargelegt, wie wir uns mit Hilfe der Leibnizischen Hypothese die Sache
zurechtlegen. Die einfnchsteu Elemente der Wirklichkeit sind unteilbare Wesen,
Ausstrahlungen Gottes und einer Wesenheit mit ihm, denen er jedoch relative
Selbständigkeit verliehen hat, sodaß sie, einmal ins Dasein gesetzt, nicht wieder
als Einzelwesen verschwinden. Die Monaden haben die Fähigkeit, ein äußeres
und ein inneres Dasein zu führen. In der Entfaltung der erstern bauen sie
die räumlich ausgedehnte Welt auf, ihr inneres Leben vermag sich zum Seelen¬
leben zu entwickeln. Thatsächlich geschieht das jedoch nur so oft, als es einer
von ihnen glückt, Zcntralmonade eines tierischen Organismus zu werden, und
Menschenseele wird dieses Wesen, das ursprünglich vielleicht ein Wasserstoff -
atom war wie die übrigen einfachsten Wesen, nur dann, wenn es die regierende
Stellung in einem menschlichen Gehirn erlangt. Beim Zerfall dieses Gehirns
geht es nicht nur nicht zu Grunde -- erfreut es sich ja doch der Gabe der
Unzerstörbarkeit wie alle andern Monaden --, sondern bewahrt auch deu in
seiner bevorzugten Stellung erworbnen Inhalt. Wie ihm Gott in seinem
ferneren Leben den Genuß und die Bethätigung dieses Inhalts möglich macht,
ob vielleicht dadurch, daß er ihm die Fähigkeit verleiht, andre Monaden an
sich zu ziehen und sich aus diesen einen neuen "verklärten" Leib zu bilden,
wissen wir nicht. Nicht eine Hypothese wollen wir das nennen, sondern nur
einen Versuch, uns die Fortdauer der Seele nach dem Tode vorstellbar zu
machen. Paulsen machen wir natürlich keinen Vorlvurf daraus, daß er uns
nicht in allen Stücken befriedigt. Was könnte es schlimmres geben, als wenn
ein Denker uns andern nichts mehr zum Denken übrig ließe! Es ist nicht
bloß Thatsache, daß wir Suchende sind, wie es Eucken ausdrückt, sondern es
ist Bedürfnis, daß wir es bleiben.




nicht Paulsen vielleicht selbst so ein Klötzchen im Sinne, das freilich weder
unbekannt noch undefinirbnr und eigentlich nicht ein Klötzchen, sondern ein
großer Klumpen ist? Kein Seelenleben ohne Gehirn! wird er doch gewiß mit
allen neuern Philosophen sagen. Daraus folgt weiter: Also verschwindet die
Individualseele mit der Zersetzung des Gehirns. Keine Möglichkeit, die Seele
ins Jenseits hinüberzuretten, wenn es das Gehirn, und nicht ein unzerstörbares
Etwas im Gehirn ist, woran das Seelenleben hängt! Unter den Gründen,
die seiner Ansicht nach den Anhängern der Theorie von einer Seelensubstanz
dieses „Gespenst" teuer und unentbehrlich machen sollen, hat er gerade diesen
wichtigsten und allein entscheidenden übersehen. Wir haben schon früher ein¬
mal dargelegt, wie wir uns mit Hilfe der Leibnizischen Hypothese die Sache
zurechtlegen. Die einfnchsteu Elemente der Wirklichkeit sind unteilbare Wesen,
Ausstrahlungen Gottes und einer Wesenheit mit ihm, denen er jedoch relative
Selbständigkeit verliehen hat, sodaß sie, einmal ins Dasein gesetzt, nicht wieder
als Einzelwesen verschwinden. Die Monaden haben die Fähigkeit, ein äußeres
und ein inneres Dasein zu führen. In der Entfaltung der erstern bauen sie
die räumlich ausgedehnte Welt auf, ihr inneres Leben vermag sich zum Seelen¬
leben zu entwickeln. Thatsächlich geschieht das jedoch nur so oft, als es einer
von ihnen glückt, Zcntralmonade eines tierischen Organismus zu werden, und
Menschenseele wird dieses Wesen, das ursprünglich vielleicht ein Wasserstoff -
atom war wie die übrigen einfachsten Wesen, nur dann, wenn es die regierende
Stellung in einem menschlichen Gehirn erlangt. Beim Zerfall dieses Gehirns
geht es nicht nur nicht zu Grunde — erfreut es sich ja doch der Gabe der
Unzerstörbarkeit wie alle andern Monaden —, sondern bewahrt auch deu in
seiner bevorzugten Stellung erworbnen Inhalt. Wie ihm Gott in seinem
ferneren Leben den Genuß und die Bethätigung dieses Inhalts möglich macht,
ob vielleicht dadurch, daß er ihm die Fähigkeit verleiht, andre Monaden an
sich zu ziehen und sich aus diesen einen neuen „verklärten" Leib zu bilden,
wissen wir nicht. Nicht eine Hypothese wollen wir das nennen, sondern nur
einen Versuch, uns die Fortdauer der Seele nach dem Tode vorstellbar zu
machen. Paulsen machen wir natürlich keinen Vorlvurf daraus, daß er uns
nicht in allen Stücken befriedigt. Was könnte es schlimmres geben, als wenn
ein Denker uns andern nichts mehr zum Denken übrig ließe! Es ist nicht
bloß Thatsache, daß wir Suchende sind, wie es Eucken ausdrückt, sondern es
ist Bedürfnis, daß wir es bleiben.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215752"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_46" prev="#ID_45"> nicht Paulsen vielleicht selbst so ein Klötzchen im Sinne, das freilich weder<lb/>
unbekannt noch undefinirbnr und eigentlich nicht ein Klötzchen, sondern ein<lb/>
großer Klumpen ist? Kein Seelenleben ohne Gehirn! wird er doch gewiß mit<lb/>
allen neuern Philosophen sagen. Daraus folgt weiter: Also verschwindet die<lb/>
Individualseele mit der Zersetzung des Gehirns. Keine Möglichkeit, die Seele<lb/>
ins Jenseits hinüberzuretten, wenn es das Gehirn, und nicht ein unzerstörbares<lb/>
Etwas im Gehirn ist, woran das Seelenleben hängt! Unter den Gründen,<lb/>
die seiner Ansicht nach den Anhängern der Theorie von einer Seelensubstanz<lb/>
dieses &#x201E;Gespenst" teuer und unentbehrlich machen sollen, hat er gerade diesen<lb/>
wichtigsten und allein entscheidenden übersehen. Wir haben schon früher ein¬<lb/>
mal dargelegt, wie wir uns mit Hilfe der Leibnizischen Hypothese die Sache<lb/>
zurechtlegen. Die einfnchsteu Elemente der Wirklichkeit sind unteilbare Wesen,<lb/>
Ausstrahlungen Gottes und einer Wesenheit mit ihm, denen er jedoch relative<lb/>
Selbständigkeit verliehen hat, sodaß sie, einmal ins Dasein gesetzt, nicht wieder<lb/>
als Einzelwesen verschwinden. Die Monaden haben die Fähigkeit, ein äußeres<lb/>
und ein inneres Dasein zu führen. In der Entfaltung der erstern bauen sie<lb/>
die räumlich ausgedehnte Welt auf, ihr inneres Leben vermag sich zum Seelen¬<lb/>
leben zu entwickeln. Thatsächlich geschieht das jedoch nur so oft, als es einer<lb/>
von ihnen glückt, Zcntralmonade eines tierischen Organismus zu werden, und<lb/>
Menschenseele wird dieses Wesen, das ursprünglich vielleicht ein Wasserstoff -<lb/>
atom war wie die übrigen einfachsten Wesen, nur dann, wenn es die regierende<lb/>
Stellung in einem menschlichen Gehirn erlangt. Beim Zerfall dieses Gehirns<lb/>
geht es nicht nur nicht zu Grunde &#x2014; erfreut es sich ja doch der Gabe der<lb/>
Unzerstörbarkeit wie alle andern Monaden &#x2014;, sondern bewahrt auch deu in<lb/>
seiner bevorzugten Stellung erworbnen Inhalt. Wie ihm Gott in seinem<lb/>
ferneren Leben den Genuß und die Bethätigung dieses Inhalts möglich macht,<lb/>
ob vielleicht dadurch, daß er ihm die Fähigkeit verleiht, andre Monaden an<lb/>
sich zu ziehen und sich aus diesen einen neuen &#x201E;verklärten" Leib zu bilden,<lb/>
wissen wir nicht. Nicht eine Hypothese wollen wir das nennen, sondern nur<lb/>
einen Versuch, uns die Fortdauer der Seele nach dem Tode vorstellbar zu<lb/>
machen. Paulsen machen wir natürlich keinen Vorlvurf daraus, daß er uns<lb/>
nicht in allen Stücken befriedigt. Was könnte es schlimmres geben, als wenn<lb/>
ein Denker uns andern nichts mehr zum Denken übrig ließe! Es ist nicht<lb/>
bloß Thatsache, daß wir Suchende sind, wie es Eucken ausdrückt, sondern es<lb/>
ist Bedürfnis, daß wir es bleiben.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0028] nicht Paulsen vielleicht selbst so ein Klötzchen im Sinne, das freilich weder unbekannt noch undefinirbnr und eigentlich nicht ein Klötzchen, sondern ein großer Klumpen ist? Kein Seelenleben ohne Gehirn! wird er doch gewiß mit allen neuern Philosophen sagen. Daraus folgt weiter: Also verschwindet die Individualseele mit der Zersetzung des Gehirns. Keine Möglichkeit, die Seele ins Jenseits hinüberzuretten, wenn es das Gehirn, und nicht ein unzerstörbares Etwas im Gehirn ist, woran das Seelenleben hängt! Unter den Gründen, die seiner Ansicht nach den Anhängern der Theorie von einer Seelensubstanz dieses „Gespenst" teuer und unentbehrlich machen sollen, hat er gerade diesen wichtigsten und allein entscheidenden übersehen. Wir haben schon früher ein¬ mal dargelegt, wie wir uns mit Hilfe der Leibnizischen Hypothese die Sache zurechtlegen. Die einfnchsteu Elemente der Wirklichkeit sind unteilbare Wesen, Ausstrahlungen Gottes und einer Wesenheit mit ihm, denen er jedoch relative Selbständigkeit verliehen hat, sodaß sie, einmal ins Dasein gesetzt, nicht wieder als Einzelwesen verschwinden. Die Monaden haben die Fähigkeit, ein äußeres und ein inneres Dasein zu führen. In der Entfaltung der erstern bauen sie die räumlich ausgedehnte Welt auf, ihr inneres Leben vermag sich zum Seelen¬ leben zu entwickeln. Thatsächlich geschieht das jedoch nur so oft, als es einer von ihnen glückt, Zcntralmonade eines tierischen Organismus zu werden, und Menschenseele wird dieses Wesen, das ursprünglich vielleicht ein Wasserstoff - atom war wie die übrigen einfachsten Wesen, nur dann, wenn es die regierende Stellung in einem menschlichen Gehirn erlangt. Beim Zerfall dieses Gehirns geht es nicht nur nicht zu Grunde — erfreut es sich ja doch der Gabe der Unzerstörbarkeit wie alle andern Monaden —, sondern bewahrt auch deu in seiner bevorzugten Stellung erworbnen Inhalt. Wie ihm Gott in seinem ferneren Leben den Genuß und die Bethätigung dieses Inhalts möglich macht, ob vielleicht dadurch, daß er ihm die Fähigkeit verleiht, andre Monaden an sich zu ziehen und sich aus diesen einen neuen „verklärten" Leib zu bilden, wissen wir nicht. Nicht eine Hypothese wollen wir das nennen, sondern nur einen Versuch, uns die Fortdauer der Seele nach dem Tode vorstellbar zu machen. Paulsen machen wir natürlich keinen Vorlvurf daraus, daß er uns nicht in allen Stücken befriedigt. Was könnte es schlimmres geben, als wenn ein Denker uns andern nichts mehr zum Denken übrig ließe! Es ist nicht bloß Thatsache, daß wir Suchende sind, wie es Eucken ausdrückt, sondern es ist Bedürfnis, daß wir es bleiben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/28
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/28>, abgerufen am 04.07.2024.