Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
?in Philosophie Paiilscus

klingen ist daher Paniscus Seitz als richtig anzuerkennen: "Auch daran mag
doch erinnert sein, daß nach der hierin einstimmigen Erfahrung der Völker
das, was die Moral als das Gute und Rechtschaffne darstellt, sich in der
Wirklichkeit als das Erhaltende und Fördernde, das Böse dagegen als das
Hemmende und Zerstörende darstellt, im Leben der Einzelnen und im Leben
der Völker." Den Wahrheitskern dieses Satzes hat Schiller in den bekannten
Versen ausgesprochen: "Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Ge¬
bild gestalten." Ein zwecksetzender Wille muß sich die treibenden Kräfte unter¬
werfen, wenn bei ihrem Drange etwas herauskommen soll, aber gut im Sinne
der christlichen Moral braucht dieser Wille nicht zu sein; Vernunft muß die
Triebäußeruugeu zügeln und ordnen, aber weit entfernt davon, daß dieses
System geregelter Triebe, diese römische virws Eigenschaften, wie Ungerechtig¬
keit, gransame Härte, Habsucht und Herrschsucht ausschlösse, werden diese viel¬
mehr gefordert, wenn sich die "Tugend" schöpferisch erWeifen soll. Wie geht
es denn zu beim Aufbau großer Vermögen und großer Staaten? Ohne Zweifel
wirken dabei auch Tugenden im gewöhnlichen Sinne des Wortes, wie Fleiß
und Mäßigkeit, Vaterlandsliebe und Opfermut mit. Allein damit allein kommt
man nicht weit; Reichtum ist nicht ohne Armut und ein Großstaat nicht ohne
besiegte und unterworfne Feinde möglich. Nun malen ja die Geschichtschreiber
der wirtschaftlichen und politischen Eroberungen die beiden Parteien ganz ver¬
schieden, je nachdem sie selbst der einen oder der andern angehören. Weil ich
fleißig, klug und sparsam bin, ihr aber faul, dumm und liederlich seid, bin
ich reich geworden und seid ihr arm geblieben, spricht der Reiche; dnrch meine
Tugend habe ich gesiegt, um eurer Laster willen seid ihr unterlegen, lind so
ist mein Sieg ein Gottesgericht, spricht der glückliche Eroberer. Der Arme
dagegen behauptet, er sei beraubt worden, und der Unterjochte, mich in seinem
Falle, wie gewöhnlich ans Erden, habe das Unrecht triumphirt. Mag nun
Recht haben, wer da will, oder mögen beide Parteien Recht haben, in jedem
Falle bildet irgend welche Immoralität mindestens einer Partei die Voraus¬
setzung des Erfolges.

Ja Pciulsen selbst muß zugeben, daß unsre irdische Welt ohne das physische
"ut moralische Übel gar uicht denkbar wäre. Freilich schlüge er dessen Be¬
deutung zu niedrig an, wenn er es nur als Hemmung und unentbehrlichen
Widerstand bezeichnet; haben wir doch eben erwogen, wie Habsucht und Herrsch¬
sucht zu den schöpferischen und auferbauenden Kräften gehören. Auch wenn
wir das sittlich Böse als Entwicklungskrankheit auffassen wollten, so wäre
damit seine Bedeutung für den irdischen Haushalt uoch nicht erschöpft und
nicht einmal ganz richtig angegeben. Die Dinge stehen nicht so, daß jeder
einzelne eine Periode der Sündhaftigkeit durchmachen müßte, um schließlich gut
zu werden, sondern vielmehr so, daß die einen untüchtig sein müssen, damit
die Tüchtigkeit der andern Erfolg habe, wobei es uns unbekannt bleibt,


?in Philosophie Paiilscus

klingen ist daher Paniscus Seitz als richtig anzuerkennen: „Auch daran mag
doch erinnert sein, daß nach der hierin einstimmigen Erfahrung der Völker
das, was die Moral als das Gute und Rechtschaffne darstellt, sich in der
Wirklichkeit als das Erhaltende und Fördernde, das Böse dagegen als das
Hemmende und Zerstörende darstellt, im Leben der Einzelnen und im Leben
der Völker." Den Wahrheitskern dieses Satzes hat Schiller in den bekannten
Versen ausgesprochen: „Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Ge¬
bild gestalten." Ein zwecksetzender Wille muß sich die treibenden Kräfte unter¬
werfen, wenn bei ihrem Drange etwas herauskommen soll, aber gut im Sinne
der christlichen Moral braucht dieser Wille nicht zu sein; Vernunft muß die
Triebäußeruugeu zügeln und ordnen, aber weit entfernt davon, daß dieses
System geregelter Triebe, diese römische virws Eigenschaften, wie Ungerechtig¬
keit, gransame Härte, Habsucht und Herrschsucht ausschlösse, werden diese viel¬
mehr gefordert, wenn sich die „Tugend" schöpferisch erWeifen soll. Wie geht
es denn zu beim Aufbau großer Vermögen und großer Staaten? Ohne Zweifel
wirken dabei auch Tugenden im gewöhnlichen Sinne des Wortes, wie Fleiß
und Mäßigkeit, Vaterlandsliebe und Opfermut mit. Allein damit allein kommt
man nicht weit; Reichtum ist nicht ohne Armut und ein Großstaat nicht ohne
besiegte und unterworfne Feinde möglich. Nun malen ja die Geschichtschreiber
der wirtschaftlichen und politischen Eroberungen die beiden Parteien ganz ver¬
schieden, je nachdem sie selbst der einen oder der andern angehören. Weil ich
fleißig, klug und sparsam bin, ihr aber faul, dumm und liederlich seid, bin
ich reich geworden und seid ihr arm geblieben, spricht der Reiche; dnrch meine
Tugend habe ich gesiegt, um eurer Laster willen seid ihr unterlegen, lind so
ist mein Sieg ein Gottesgericht, spricht der glückliche Eroberer. Der Arme
dagegen behauptet, er sei beraubt worden, und der Unterjochte, mich in seinem
Falle, wie gewöhnlich ans Erden, habe das Unrecht triumphirt. Mag nun
Recht haben, wer da will, oder mögen beide Parteien Recht haben, in jedem
Falle bildet irgend welche Immoralität mindestens einer Partei die Voraus¬
setzung des Erfolges.

Ja Pciulsen selbst muß zugeben, daß unsre irdische Welt ohne das physische
»ut moralische Übel gar uicht denkbar wäre. Freilich schlüge er dessen Be¬
deutung zu niedrig an, wenn er es nur als Hemmung und unentbehrlichen
Widerstand bezeichnet; haben wir doch eben erwogen, wie Habsucht und Herrsch¬
sucht zu den schöpferischen und auferbauenden Kräften gehören. Auch wenn
wir das sittlich Böse als Entwicklungskrankheit auffassen wollten, so wäre
damit seine Bedeutung für den irdischen Haushalt uoch nicht erschöpft und
nicht einmal ganz richtig angegeben. Die Dinge stehen nicht so, daß jeder
einzelne eine Periode der Sündhaftigkeit durchmachen müßte, um schließlich gut
zu werden, sondern vielmehr so, daß die einen untüchtig sein müssen, damit
die Tüchtigkeit der andern Erfolg habe, wobei es uns unbekannt bleibt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215748"/>
          <fw type="header" place="top"> ?in Philosophie Paiilscus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_38" prev="#ID_37"> klingen ist daher Paniscus Seitz als richtig anzuerkennen: &#x201E;Auch daran mag<lb/>
doch erinnert sein, daß nach der hierin einstimmigen Erfahrung der Völker<lb/>
das, was die Moral als das Gute und Rechtschaffne darstellt, sich in der<lb/>
Wirklichkeit als das Erhaltende und Fördernde, das Böse dagegen als das<lb/>
Hemmende und Zerstörende darstellt, im Leben der Einzelnen und im Leben<lb/>
der Völker." Den Wahrheitskern dieses Satzes hat Schiller in den bekannten<lb/>
Versen ausgesprochen: &#x201E;Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Ge¬<lb/>
bild gestalten." Ein zwecksetzender Wille muß sich die treibenden Kräfte unter¬<lb/>
werfen, wenn bei ihrem Drange etwas herauskommen soll, aber gut im Sinne<lb/>
der christlichen Moral braucht dieser Wille nicht zu sein; Vernunft muß die<lb/>
Triebäußeruugeu zügeln und ordnen, aber weit entfernt davon, daß dieses<lb/>
System geregelter Triebe, diese römische virws Eigenschaften, wie Ungerechtig¬<lb/>
keit, gransame Härte, Habsucht und Herrschsucht ausschlösse, werden diese viel¬<lb/>
mehr gefordert, wenn sich die &#x201E;Tugend" schöpferisch erWeifen soll. Wie geht<lb/>
es denn zu beim Aufbau großer Vermögen und großer Staaten? Ohne Zweifel<lb/>
wirken dabei auch Tugenden im gewöhnlichen Sinne des Wortes, wie Fleiß<lb/>
und Mäßigkeit, Vaterlandsliebe und Opfermut mit. Allein damit allein kommt<lb/>
man nicht weit; Reichtum ist nicht ohne Armut und ein Großstaat nicht ohne<lb/>
besiegte und unterworfne Feinde möglich. Nun malen ja die Geschichtschreiber<lb/>
der wirtschaftlichen und politischen Eroberungen die beiden Parteien ganz ver¬<lb/>
schieden, je nachdem sie selbst der einen oder der andern angehören. Weil ich<lb/>
fleißig, klug und sparsam bin, ihr aber faul, dumm und liederlich seid, bin<lb/>
ich reich geworden und seid ihr arm geblieben, spricht der Reiche; dnrch meine<lb/>
Tugend habe ich gesiegt, um eurer Laster willen seid ihr unterlegen, lind so<lb/>
ist mein Sieg ein Gottesgericht, spricht der glückliche Eroberer. Der Arme<lb/>
dagegen behauptet, er sei beraubt worden, und der Unterjochte, mich in seinem<lb/>
Falle, wie gewöhnlich ans Erden, habe das Unrecht triumphirt. Mag nun<lb/>
Recht haben, wer da will, oder mögen beide Parteien Recht haben, in jedem<lb/>
Falle bildet irgend welche Immoralität mindestens einer Partei die Voraus¬<lb/>
setzung des Erfolges.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_39" next="#ID_40"> Ja Pciulsen selbst muß zugeben, daß unsre irdische Welt ohne das physische<lb/>
»ut moralische Übel gar uicht denkbar wäre. Freilich schlüge er dessen Be¬<lb/>
deutung zu niedrig an, wenn er es nur als Hemmung und unentbehrlichen<lb/>
Widerstand bezeichnet; haben wir doch eben erwogen, wie Habsucht und Herrsch¬<lb/>
sucht zu den schöpferischen und auferbauenden Kräften gehören. Auch wenn<lb/>
wir das sittlich Böse als Entwicklungskrankheit auffassen wollten, so wäre<lb/>
damit seine Bedeutung für den irdischen Haushalt uoch nicht erschöpft und<lb/>
nicht einmal ganz richtig angegeben. Die Dinge stehen nicht so, daß jeder<lb/>
einzelne eine Periode der Sündhaftigkeit durchmachen müßte, um schließlich gut<lb/>
zu werden, sondern vielmehr so, daß die einen untüchtig sein müssen, damit<lb/>
die Tüchtigkeit der andern Erfolg habe, wobei es uns unbekannt bleibt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] ?in Philosophie Paiilscus klingen ist daher Paniscus Seitz als richtig anzuerkennen: „Auch daran mag doch erinnert sein, daß nach der hierin einstimmigen Erfahrung der Völker das, was die Moral als das Gute und Rechtschaffne darstellt, sich in der Wirklichkeit als das Erhaltende und Fördernde, das Böse dagegen als das Hemmende und Zerstörende darstellt, im Leben der Einzelnen und im Leben der Völker." Den Wahrheitskern dieses Satzes hat Schiller in den bekannten Versen ausgesprochen: „Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Ge¬ bild gestalten." Ein zwecksetzender Wille muß sich die treibenden Kräfte unter¬ werfen, wenn bei ihrem Drange etwas herauskommen soll, aber gut im Sinne der christlichen Moral braucht dieser Wille nicht zu sein; Vernunft muß die Triebäußeruugeu zügeln und ordnen, aber weit entfernt davon, daß dieses System geregelter Triebe, diese römische virws Eigenschaften, wie Ungerechtig¬ keit, gransame Härte, Habsucht und Herrschsucht ausschlösse, werden diese viel¬ mehr gefordert, wenn sich die „Tugend" schöpferisch erWeifen soll. Wie geht es denn zu beim Aufbau großer Vermögen und großer Staaten? Ohne Zweifel wirken dabei auch Tugenden im gewöhnlichen Sinne des Wortes, wie Fleiß und Mäßigkeit, Vaterlandsliebe und Opfermut mit. Allein damit allein kommt man nicht weit; Reichtum ist nicht ohne Armut und ein Großstaat nicht ohne besiegte und unterworfne Feinde möglich. Nun malen ja die Geschichtschreiber der wirtschaftlichen und politischen Eroberungen die beiden Parteien ganz ver¬ schieden, je nachdem sie selbst der einen oder der andern angehören. Weil ich fleißig, klug und sparsam bin, ihr aber faul, dumm und liederlich seid, bin ich reich geworden und seid ihr arm geblieben, spricht der Reiche; dnrch meine Tugend habe ich gesiegt, um eurer Laster willen seid ihr unterlegen, lind so ist mein Sieg ein Gottesgericht, spricht der glückliche Eroberer. Der Arme dagegen behauptet, er sei beraubt worden, und der Unterjochte, mich in seinem Falle, wie gewöhnlich ans Erden, habe das Unrecht triumphirt. Mag nun Recht haben, wer da will, oder mögen beide Parteien Recht haben, in jedem Falle bildet irgend welche Immoralität mindestens einer Partei die Voraus¬ setzung des Erfolges. Ja Pciulsen selbst muß zugeben, daß unsre irdische Welt ohne das physische »ut moralische Übel gar uicht denkbar wäre. Freilich schlüge er dessen Be¬ deutung zu niedrig an, wenn er es nur als Hemmung und unentbehrlichen Widerstand bezeichnet; haben wir doch eben erwogen, wie Habsucht und Herrsch¬ sucht zu den schöpferischen und auferbauenden Kräften gehören. Auch wenn wir das sittlich Böse als Entwicklungskrankheit auffassen wollten, so wäre damit seine Bedeutung für den irdischen Haushalt uoch nicht erschöpft und nicht einmal ganz richtig angegeben. Die Dinge stehen nicht so, daß jeder einzelne eine Periode der Sündhaftigkeit durchmachen müßte, um schließlich gut zu werden, sondern vielmehr so, daß die einen untüchtig sein müssen, damit die Tüchtigkeit der andern Erfolg habe, wobei es uns unbekannt bleibt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/24>, abgerufen am 02.07.2024.