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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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anempfiehlt, so meint man damit, daß er nicht rauchen, nicht trinken, nicht
ins Wirtshaus gehen, keine Ausfluge machen, seiner Frau keinen Flitterstaat
anschaffen, der Frau und den Kindern keine Leckerbissen gestatten, sich selbst
mit geringer Kost begnügen soll, und daß die ganze Familie Kleider, Gerät¬
schaften und Geschirr schönen soll, um der Notwendigkeit häufiger Neuanschaf¬
fungen zu entgehen. Und wenn man vornehmen Leuten Sparsamkeit predigt,
so meint man, sie sollen keinen Luxus treiben, keinen Schaumwein trinken,
keine Delikatessen genießen, keine teuern Cigarren rauchen. Nun fragen wir:
produziren die Branntweinbrenner, die Schaumwein- und Cignrrenfabrikanten,
die Luxusarbeiter zu ihrem Privatvergnügeu? Oder für die Engel des Him¬
mels? Oder will man alle diese Leute totschlagen? Wir fragen: was würde
aus unsrer Industrie und aus der ostelbischen Landwirtschaft werden, wenn
diese Ratschläge befolgt würden, wenn die Sparpredigten nicht glücklicherweise
so unwirksam wären, wie eben Predigten zu sein Pflegen? Was würde dann
aus den Spinnern und Webern, ans den Galanterienrbeitern, aus den Gold¬
schmieden und Juwelieren, ans einer großen Anzahl von Kaufleuten, aus den
Tabakbauern und Cigarremnachern, aus den Weinhändlern und Gastwirten,
vor allem aber aus der preußischen Landwirtschaft, die nach den Beteuerungen
der Agrarier aus der Branntweinbrennerei beruht? Ein Mann, der sich lasten
und sein Einkommen ans milde Stiftungen verwendet, d. h. also zunächst kapi-
talisirt, mag seinen Platz im Himmel sicher haben, auf Erden aber ist er
weniger nutz als ein flotter Bruder, denn dieser hilft wenigstens die Pro¬
duktion im Gange erhalten. Schaden richtet dieser nur dann an, wenn er
über sein Einkommen lebt, und auch in diesem Falle schädigt er nur einzelne
Personen, nicht die Volkswirtschaft im ganzen. Höchstens wenn der Liedrian
zugleich ein Faulpelz ist, was sich allerdings häufig trifft, kann man sagen,
daß er die Volkswirtschaft schädige; aber er thut es nicht dadurch, daß er
verbraucht -- Verbrauchen erhalt ja eben die Volkswirtschaft im Gange --,
sondern dadurch, daß er nichts schafft. Es giebt vielleicht unter den Brot¬
herren, die Güter des Massenverbrauchs herstellen lassen, nicht fünf Prozent,
die nicht auf die Liederlichkeit und Genußsucht ihrer Arbeiter schimpften, zu¬
gleich aber giebt es nicht einen einzigen, der nicht über zu schwache Nachfrage
jammerte. Ist das nicht kindisch? Ist das nicht über die Maßen einfältig
und lächerlich? Jeder will als Brodherr, daß seine Arbeiter bedürfnislos und
sparsam sein sollen, damit sie sich mit geringem Lohne begnügen, und jeder
will zugleich als Unternehmer, daß die Arbeiter aller andern Brotherren das
seien, was er liederlich und genußsüchtig nennt!

Was aber vom sittlichen Standpunkte aus empfohlen werden muß, das
ist nicht die Sparsamkeit, sondern die Wirtschaftlichkeit. Das Einkommen nicht
kapitalisiren, sondern es richtig anwenden, ist eine Tugend: die Tugend der
Wirtschaftlichkeit, die unter allen Umständen Lob verdient und in schönster


anempfiehlt, so meint man damit, daß er nicht rauchen, nicht trinken, nicht
ins Wirtshaus gehen, keine Ausfluge machen, seiner Frau keinen Flitterstaat
anschaffen, der Frau und den Kindern keine Leckerbissen gestatten, sich selbst
mit geringer Kost begnügen soll, und daß die ganze Familie Kleider, Gerät¬
schaften und Geschirr schönen soll, um der Notwendigkeit häufiger Neuanschaf¬
fungen zu entgehen. Und wenn man vornehmen Leuten Sparsamkeit predigt,
so meint man, sie sollen keinen Luxus treiben, keinen Schaumwein trinken,
keine Delikatessen genießen, keine teuern Cigarren rauchen. Nun fragen wir:
produziren die Branntweinbrenner, die Schaumwein- und Cignrrenfabrikanten,
die Luxusarbeiter zu ihrem Privatvergnügeu? Oder für die Engel des Him¬
mels? Oder will man alle diese Leute totschlagen? Wir fragen: was würde
aus unsrer Industrie und aus der ostelbischen Landwirtschaft werden, wenn
diese Ratschläge befolgt würden, wenn die Sparpredigten nicht glücklicherweise
so unwirksam wären, wie eben Predigten zu sein Pflegen? Was würde dann
aus den Spinnern und Webern, ans den Galanterienrbeitern, aus den Gold¬
schmieden und Juwelieren, ans einer großen Anzahl von Kaufleuten, aus den
Tabakbauern und Cigarremnachern, aus den Weinhändlern und Gastwirten,
vor allem aber aus der preußischen Landwirtschaft, die nach den Beteuerungen
der Agrarier aus der Branntweinbrennerei beruht? Ein Mann, der sich lasten
und sein Einkommen ans milde Stiftungen verwendet, d. h. also zunächst kapi-
talisirt, mag seinen Platz im Himmel sicher haben, auf Erden aber ist er
weniger nutz als ein flotter Bruder, denn dieser hilft wenigstens die Pro¬
duktion im Gange erhalten. Schaden richtet dieser nur dann an, wenn er
über sein Einkommen lebt, und auch in diesem Falle schädigt er nur einzelne
Personen, nicht die Volkswirtschaft im ganzen. Höchstens wenn der Liedrian
zugleich ein Faulpelz ist, was sich allerdings häufig trifft, kann man sagen,
daß er die Volkswirtschaft schädige; aber er thut es nicht dadurch, daß er
verbraucht — Verbrauchen erhalt ja eben die Volkswirtschaft im Gange —,
sondern dadurch, daß er nichts schafft. Es giebt vielleicht unter den Brot¬
herren, die Güter des Massenverbrauchs herstellen lassen, nicht fünf Prozent,
die nicht auf die Liederlichkeit und Genußsucht ihrer Arbeiter schimpften, zu¬
gleich aber giebt es nicht einen einzigen, der nicht über zu schwache Nachfrage
jammerte. Ist das nicht kindisch? Ist das nicht über die Maßen einfältig
und lächerlich? Jeder will als Brodherr, daß seine Arbeiter bedürfnislos und
sparsam sein sollen, damit sie sich mit geringem Lohne begnügen, und jeder
will zugleich als Unternehmer, daß die Arbeiter aller andern Brotherren das
seien, was er liederlich und genußsüchtig nennt!

Was aber vom sittlichen Standpunkte aus empfohlen werden muß, das
ist nicht die Sparsamkeit, sondern die Wirtschaftlichkeit. Das Einkommen nicht
kapitalisiren, sondern es richtig anwenden, ist eine Tugend: die Tugend der
Wirtschaftlichkeit, die unter allen Umständen Lob verdient und in schönster


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/222>, abgerufen am 22.07.2024.